Afghanistan

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Afghanistan (Drangiana und Ariana der Alten, von den Eingebornen Urlajat, »Stammland«, genannt; s. die Karten »Zentralasien« und »Persien«), das nordöstliche Iran zwischen Indien, Belutschistan, Bochara und Persien. Das durch die Stellung der afghanisch-indischen Grenzgebiete unter britische Verwaltung und eine Verschiebung der Nordwestgrenze zu gunsten Rußlands auf 624,000 qkm beschränkte Gebiet liegt zwischen 30–37°45´ nördl. Br. und 61–72° östl. L. A. ist reich an Altertümern aus griechischer und buddhistischer Zeit (Kabultal, Tal von Peschawar, Bamian).

Bodengestaltung. A. ist ein nach SW. und N. sich abdachendes Hochland, im NO. von dem massigen Hindukusch (Tiratschmir 7750 m) erfüllt mit seinen Ausläufern nach W.: Sefid Koh (Koh-i-hissar 4525 m) und Paropamisus (2612 m) längs des Nordufers des Herirud, Koh-i-Baba (5140 m), Sisa Koh längs dessen Südufer. Vom Hindukusch zweigen sich auch Ketten nach S. ab: ein zweiter Sefid Koh (Sikaram 4760 m) an der indischen Grenze, die weiter südlich dem Kamm der westlichen Suleimankette folgt. Nach SW. strahlen diese Gebirgszüge fächerförmig aus, den zahlreichen Flüssen die Richtung anweisend. Von den Hauptpässen an der indischen Grenze gehören jetzt zu A. nur noch der Chalberpaß (2081 m) zum Kabul, der kürzeste und meist benutzte, weiter südlich der Paiwarpaß (2600 m), der Sarwandi (2286 m), noch südlicher der Kodschak (2200 m), der über das Chadscha Amrangebirge nach Pischin führt und von Alexander d. Gr. benutzt wurde. Über den Hindukusch gehen der Chawak (3550 m), von Alexander d. Gr. und Timur durchzogen; der Kalu (Hadschi kak, 3500 m) nach Bamian, durch den Dschengis-Chan, Nadir Schah und Leutnant Sturt (1840) zur Probe mit Artillerie zogen. Die Flüsse sind nur für die Bewässerung des Landes nutzbar. Der bedeutendste ist der Hilmend, der wie Chaschrud, Fararud und Harud in den großen Hamunsumpf im S. sich ergießt. Der Kabul fließt südöstlich zum Indus. Alle diese Flüsse entspringen am Südhang des Hindukusch und seiner westlichen Fortsetzungen. Erst westwärts, dann nordwärts ziehen Herirud, der in seinem Unterlauf die Grenze gegen Persien bildet, und Murghab; sie verlieren sich im Turkmenengebiete. Der Amu Darja bildet einen Teil der Nordgrenze. Das Klima ist vorherrschend trocken; die Jahrestemperatur ist im Gebirge niedriger als im benachbarten Indien (strenger Winter mit Schneestürmen); die Tiefländer zeigen Extreme der Hitze (bis 50° im Schatten). An Mineralien ist A. reich. Gold findet sich im Sande des Kabul, eine Goldgrube ist neuerdings bei Kandahar eröffnet, auch die Gebirge im NO. scheinen goldreich. Der Hindukusch hat Adern von Silber, Kupfer, Zinnober, Blei, Antimon, Zink, Schwefel; Eisen und Kohle sind mehrfach gefunden worden, Steinsalz in Menge; Badachschan ist wegen seiner Rubinen berühmt. Die Vegetation hat in den höhern Strichen ganz europäischen Charakter. In den Wäldern sind die Pinusarten, Maulbeeren, Tamarisken, Weiden, Platanen und Pappeln die gewöhnlichsten Bäume; viele unsrer schönsten Zierpflanzen wachsen wild; sehr häufig sind Stinkasant (Asa foetida) und Rhabarber. In der Tierwelt begegnet man Löwen und Leoparden, Tigern, Wölfen, Bären, Hyänen, Schakalen; im südlichen A. dem Kiang, einer besondern Art wilder Esel, im NO. Affen.

Die Bevölkerung soll 4,550,000 Köpfe betragen. Sie gehört zur großen iranischen Völkerfamilie und besteht aus einer Anzahl von Völkern, vereinigt durch den Islam und die politischen Erfolge im 18. Jahrh. Die Afghanen sind nach ihrer Überlieferung Einwanderer aus Syrien, wohnten zuerst im W., zogen im 7. Jahrh. n. Chr. ostwärts und haben heute Kandahar und die hier einmündenden Täler zu Hauptsitzen. Sie nennen sich selbst Paschtun (Mehrzahl Paschtauch) und scheiden sich in eine westliche, östliche und indische Abteilung. Die letzte gehört ganz, die zweite zum Teil zu Britisch-Indien. Von den zahlreichen Stämmen ist der der 800,000 Köpfe zählenden Durani, besonders zwischen Herat und Kandahar, der herrschende, seitdem Achmed Schah 1747 aus diesem damals Abdali genannten Stamme sich zum Herrscher unter dem Titel Duri-DuranPerle des Jahrhunderts«) aufwarf. Noch stärker, nach andern nur 600,000 Köpfe, sollen die Ghilzai sein, die das Hochplateau nördlich von Kandahar einnehmen, östlich zur Suleimankette und nordwärts zum Kabul sich erstrecken. In ihrem Gebiet ziehen die Nasir umher, wahrscheinlich eingewanderte Belutschen. Die Jusufzai (700,000 Köpfe) bewohnen ein großes Gebiet nördlich von Peschawar. Fast ganz unter britischer Botmäßigkeit stehen die Kakar (200,000), Khattak (100,000), Utman Kel, Afridi, Orakzai und Schinwari. Die Afghanen sind groß und schlank, mit schwarzem Haar und meist blasser Hautfarbe. Die einstöckigen Backsteinhäuser mit plattem Dach sind im Innern ohne Tische und Stühle; Zelte, deren Boden mit dickem Filz oder wollenen Decken belegt ist, führen die nomadisierenden Stämme. Vielweiberei ist gestattet, die Frau aber mehr geachtet als bei den westlichen Mohammedanern. Der Afghane ist ausdauernd und unerschrocken, ein geborner Krieger, mutig im Angriff, aber auch leicht entmutigt, verräterisch, treulos und unersättlich in der Rache. Von den nicht afghanischen Völkerschaften sind die bedeutendsten die Tadschik (s. d.) als ansässige, Ackerbau treibende Bevölkerung, in den Städten Handwerker. Vermutlich sind sie die ursprünglichen Bewohner und in ihrer äußern Erscheinung den Afghanen ähnlich. Sie sind eifrige Sunniten. Dagegen sind die in den Städten als Kaufleute, Ärzte, Schreiber wohnenden Kisilbaschis Schiiten, ein schöner, körperlich und geistig den Afghanen überlegener Menschenschlag, denen nebst den Tadschik und den über das ganze Land als Geldwechsler und Großhändler verstreuten Hindki (Hindu) A. alles verdankt, was es an Reichtum besitzt. Auch gibt es als Landarbeiter, Barbiere, Musiker zahlreiche sunnitische Dschat. Die Gesamtzahl dieser Volksstämme wird auf 11/2 Mill. geschätzt. Von entschieden mongolischem Typus sind die noch fast völlig unabhängigen Hazara im schwerzugänglichen Hindukusch und ihre Nachbarn, die Aimak, beide Sunniten, zusammen 200,000 Seelen. In den südöstlichen Berglandschaften und am Hilmend wohnen Belutschen.

Ackerbau und Viehzucht sind Hauptbeschäftigung. Weizen bildet meist die Hauptnahrung, außerdem baut man Gerste, mehrere Linsenarten, in den heißern Strichen Reis, Zuckerrohr, Baumwolle, Tabak und die Dattelpalme, in den kühlern Aprikosen, Birnen, Apfel, Walnüsse und Wein, der hier einheimisch ist. In den niedern Gegenden erntet man zweimal im Jahre. Die Viehzucht beschäftigt sich vornehmlich mit den teils weißen, teils braunen oder schwarzen Fettschwanzschafen. Die Kühe sind sehr milchreich, ihre Produkte bilden einen wichtigen Teil der Nahrung. Kamele beider Arten werden überall gezogen, das einhöckerige ist einheimisch. Jagdhunde werden in mehreren Gegenden gezüchtet. Die Industrie ist unbedeutend. Die frühere Teppichweberei in Herat hörte durch die Auswanderung der Weber nach Birjand 1863 auf. Nennenswert ist die Erzeugung von Seide, meist zu einheimischem Verbrauch, von Filzen, Zeugen aus Wolle, Ziegen- und Kamelhaar, von Schafpelzen, die in bedeutenden Mengen im Pandschab verbraucht werden, und von Rosenkränzen (in Kandahar), die besonders nach Mekka gehen. Der Handel bewegt sich bei dem Mangel an schiffbaren Flüssen und Fahrstraßen auf den uralten Karawanenstraßen von Persien nach Herat, von Bochara nach Herat und Kabul, vom Pandschab nach Kabul oder Kandahar. Als ein Überbleibsel alter Zeiten ziehen die Povinda (jährlich 7000 Männer mit 35,000 Kamelen) in großen, militärisch organisierten Karawanen zwischen Indien, Chorasan und Bochara und dringen selbst bis Assam und Rangun vor. A. führt nach Indien namentlich Wolle, Pferde, Seide, Früchte, Pelzwaren, Farbstoffe, Asa foetida aus und empfängt Baumwollen-, Wollen- und Seidenwaren, Zucker, Tee, Indigo, Gold- und Silbertressen, Schärpen, Lederwaren u.a.; 1891 empfing Indien von Kabul für 208,637, von Tirah und Badschnur für 102,621, von Kandahar, Sewestan und Kelat für 384,314 Pfd. Sterl. Waren und führte dorthin für 469,870, bez. 104,456 und 1,617,468 Pfd. Sterl. Waren aus, während Bochara 1889 Waren für 0,46 Mill. ein- und für 0,71 Mill. Pfd. Sterl. ausführte. Der Povindahandel ist zum größten Teil Transithandel und durch die davon erhobenen Durchgangszölle für A. wichtig. Allgemeine Geldsorten, Maße und Gewichte gibt es nicht, zumal der Handel vielfach auf Warentausch beruht, auch die Abgaben oft in Erzeugnissen bezahlt werden.

Staatsverfassung und Verwaltung. A. ist eine unumschränkte Monarchie unter einem Emir, erblich seit 1862 in der Nachkommenschaft Dost Mohammeds; doch besteht darunter eine militärische Aristokratie und innerhalb dieser eine Anzahl kleiner Republiken, die nur durch ihre Trennung zu beherrschen sind. Die gewöhnliche Einteilung in fünf Provinzen: Kabul, Ghasni, die Hochtäler südlich von Kabul, Kandahar, der Südosten, Seïstan, der Südwesten des Landes, und Herat oder das Tal des Herirud, sind zugleich Einteilungen nach historischen, geographischen und politischen Gesichtspunkten. Die Einkünfte des Emir, aus einer Grundsteuer, Durchgangs-, Ein- und Ausfuhrzöllen und den mühsam eingetriebenen Abgaben bestehend, sollen sich auf 30 Mill. Mk. belaufen, wovon ein großer Teil in natura gezahlt wird, angeblich 81/2 Mill. Mk. auf das Heer verwandt werden, das seit 1869 nach europäischem Muster organisiert und dessen Gesamtstärke auf 50,000 Mann mit 123 Geschützen zu schätzen ist. In der Rechtspflege gilt neben dem Koran ein altes, rohes, ungeschriebenes Gewohnheitsrecht, das Pukhtunwali. Hauptstadt und Residenz des Emir ist Kabul.

Die afghanische Sprache, die sich selbst als Paschtu (nach englischer Schreibung Pushto oder Pushtu) bezeichnet, ist nach Trumpp und Spiegel eine selbständige Sprache, die ein Mittelglied zwischen Indisch und Iranisch bildet, nach den neuern Forschungen von Hübschmann dagegen eine echt iranische Sprache, die nur in verhältnismäßig später Zeit im Wortschatz, in der Flexion und in der Syntax von Indien aus stark beeinflußt wurde, wie sich z. B. die für alle iranischen Sprachen charakteristische Gestaltung der Zischlaute auch im Afghanischen findet. Vgl. die umfassenden grammatischen und lexikalischen Arbeiten Ravertys (»Grammar of the Pushto«, 3. Aufl., Lond. 1867; »Dictionary«, 2. Aufl., das. 1867, und »Pushto manual«, 2. Aufl., das. 1889); Bellews Grammatik und Lexikon (beides das. 1867) und die durch wissenschaftliche Haltung ausgezeichnete »Grammar of the Pasto, or language of the Afghans« (das. 1873) von Trumpp, sowie Hübschmanns »Iranische Studien« (im 24. Bd. der »Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung«). Die Sprache zerfällt in verschiedene Dialekte. Als Schrift dient eine Abart des arabischen Alphabets. Die Literatur ist in ihrem Geiste durch den Islam, in ihren Formen durchweg durch persische Vorbilder bestimmt. Ein Bild derselben geben die Sammelwerke von DornChrestomathy of the Pushtu«, Petersb. 1847), von Raverty (»The Gulshan-i-Roh, being selections prose and poetical«, 2. Aufl., Lond. 1867; »Selections«. das. 1867) und Trumpp in der »Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft« (Bd. 21 u. 23). Eine Sammlung afghanischer Volkslieder veröffentlichte James Darmesteter in »Chants populaires des Afghans, recueillis« (Par. 1889–90, 2 Tle.). Viele afghanische Texte sind neuerdings in Dehli herausgegeben, z. B. »The poetical works of Abd ur Rahman« (1882) u. »Mulla Ahmad's Mirat-ul-Muslimin« (1888).

[Geschichte.] Die Länder, die das jetzige A. bilden, waren einst meist von arischen Völkern bewohnt, die von A. aus nach Indien vordrangen, und bildeten im persischen Reich die Provinzen Drangiane, Areia und Arachosia. Die letzte Landschaft hieß auch Paktyike nach den Hirtenstämmen der Paktyer oder Pachtân, wie sich ihre uns unter dem persischen Namen Afghanen bekannten Nachkommen noch nennen. Alexander d. Gr. eroberte A. 330–329 v. Chr. und gründete hier die Städte Alexandreia Areion (Herat) und Alexandreia Arachoton (Kandahar). Die herrschende Religion war die des Zarathustra. Seit dem 3. Jahrh. v. Chr. gehörte der größte Teil von A. zum Partherreich, seit 226 n. Chr. zum mittelpersischen Reich der Sasaniden; nur die nördlichen und östlichen Landschaften wurden ihnen von den griechischindischen und griechisch-baktrischen Königen streitig gemacht. Von Südwesten her breiteten sich die Pachtan oder Afghanen mehr und mehr aus und führten die noch jetzt bestehende Stammesverfassung ein: das Volk teilte sich in Stämme mit einem Chan als Oberhaupt, diese in Geschlechter und diese in Unterabteilungen, mit Maliks, Muschirs und Spinzeprah (Weißbart) an der Spitze. Der Stamm wie die einzelnen Abteilungen heißen Uluß. Die Dirgha, die Gesamtheit der Familienhäupter, gleichzeitig auch das Gericht, stand über den Chanen. Im 7. Jahrh. wurde A. von den Arabern erobert und zum Islam bekehrt; es stand mit dem von den Arabern eroberten Teil von Indien unter einer Statthalterschaft. Schon 812 erfolgte die erste Auflehnung der arabisch-indischen Statthalter (in Herat der Samanide Ilyâs) gegen die Kalifen, und es bildeten sich, freilich immer nur auf kurze Zeit, selbständige Reiche. 1001 eroberte Mahmud aus der 962 gegründeten Dynastie der Ghasnawiden ganz A.; doch zerfiel deren Reich schon 1186. Auch die folgende afghanische Dynastie der Ghoriden behauptete nur die Herrschaft über Hindostan, die den Afghanen erst durch Baber (Schlacht bei Panipat) 1526 entrissen wurde (1540–55 herrschten sechs Glieder der afghanischen Dynastie Sûr nacheinander über Bengalen), nachdem A. selbst 1215 von den Chwaresmiern unterworfen war; nur in Herat hielten sich Maliks aus der Familie Kurt 1245–1389. Erst im 17. Jahrh. gelangte, nachdem Kabul und Kandahar zum indischen Mogulreich, Herat zu Persien gehört hatte, wieder eine afghanische Dynastie zur Regierung und beherrschte 1722–29 auch Persien. Nach der Ermordung Nadir Schahs von Persien gründete Ahmed Schah Abdâli aus dem Geschlechte der Durrani 1747 ein Afghanenreich, das von Chorasan im W. bis Serhind im östlichen Pandschab, vom Oxus im N. bis zum Indischen Ozean im S. reichte. Innere Streitigkeiten führten bald zu Teilungen und zu fremder Einmischung. Schah Schudschah, ein Enkel Ahmeds, konnte sich nur in Herat gegen Dost Mohammed, den Kabul und Kandahar seit 1826 besetzt haltenden Sohn des Wesirs Payinda Chan und Bruder des mit demselben Amte betrauten Fath Chan aus dem die Wesire von A. liefernden Geschlechte der Barakzai, behaupten und rief 1838 die Hilfe Englands an. Im Frühjahr 1839 rückten 9000 Engländer aus Indien in A. ein, bemächtigten sich 21. April Kandahars, 23. Juli Ghasnis und setzten 7. Aug. Schudschah in Balahissar, der Königsburg von Kabul, wieder ein; nach einer neuen Niederlage ergab sich Dost Mohammed 5. Nov. 1840 den Engländern. Aber durch den Aufstand Akbars, eines Sohnes von Dost Mohammed, wurden im November 1841 außer Schudschah auch die Europäer (unter andern General Mac Naghten, der Reisende Alexander Burnes) in Kabul ermordet. Das englische Heer von 6000 Mann, das sich in einem befestigten Lager bei Kabul behauptet hatte, fand auf dem Rückzug durch den Chaiberpaß mit den Frauen und Kindern der in Kabul getöteten Europäer durch Hunger, Kälte und die Mordstreiche der fanatischen Bevölkerung den Untergang. Nun unternahm Gouverneur Ellenborough 1842 einen neuen Feldzug gegen A. Die Generale Pollock und Nott drangen durch die Gebirgspässe, schlagen Akbar und befreiten die Geiseln und Gefangenen. Das flache Land wurde verwüstet, Kabul und Istalif verbrannt. Nachdem die Engländer Dost Mohammed in Kabul als Herrscher eingesetzt hatten, kehrten sie nach Indien zurück. Dost Mohammed besiegte darauf Kohandil Chan, der Kandahar beherrschte, und unterwarf 1862 Herat, so daß A. wieder vereinigt war; mit den Engländern schloß er 1855 und 1857 neue Verträge und erhielt bis zu seinem Tode (9. Juni 1863) Jahrgelder. Gegen seinen zum Thronfolger bestimmten Sohn Schir Ali Chan lehnten sich dessen Brüder Azim und Assal auf; nachdem beide Kabul eingenommen und 10. Mai 1866 Schir Ali geschlagen hatten, ließ sich Assal 21. Mai als Emir von A. ausrufen und wurde von England anerkannt. Nach seinem Tode (Okt. 1867) folgte ihm Azim zu Kabul. Den Süden und Westen von A. hatte indes noch Schir Ali inne; er wurde aber 17. Jan. 1867 bei Kabul geschlagen und mußte nach Herat fliehen. Von hier aus gelang es ihm mit Hilfe von Balch, im September 1868 Kabul zu nehmen und im September Azim bei Ghasni zu besiegen. Affals Sohn, Abd er Rahmân, versuchte 1869 A. wiederzuerobern, wurde aber zur Flucht nach Turkistan genötigt. Nun erst wurde Schir Ali vom indischen Vizekönig Lord Mayo im März 1869 anerkannt und ihm Hilfsgelder zugesichert. Durch innere Reformen, Lockerung der Lehnsverbände, Zwingen der Vasallen und Verbündeten zur Heeresfolge reizte Schir Ali die Altnationalen zum Widerstand. Als sich diesem sogar Schir Alis Sohn, Jakub Chan, der seit 1871 in Herat herrschte, anschloß, wurde er 1874 in Kabul gefangen genommen und Abdallah Dschan zum Thronerben ernannt; Herat wurde 19. Jan. 1875 von den Truppen Schir Alis besetzt. Doch suchte Schir Ali zur Sicherung seiner Herrschaft und zum Schutze gegen die Russen in Turkistan bei England um ein Schutz- und Trutzbündnis nach; die damals liberale englische Regierung lehnte dies ab. Schir Ali empfing nun, als die Engländer im Februar 1877 Quetta besetzten, den russischen Gesandten General Stoljetow 23. Juli 1878 in Kabul mit auffallendem Entgegenkommen, wogegen er den englischen Gesandten Sir Neville Chamberlain an der Grenze beim Fort Alimusjid beleidigend zurückwies. Daraufhin überschritten die Engländer 21. Nov. 1878 in drei Heeressäulen die Grenze, die erste unter General Browne im Chalberpaß, die zweite unter General Roberts im Kurantpaß und die dritte unter Biddulph von Quetta aus. Schir Ali verließ Mitte Dezember Kabul, setzte den aus der Hast befreiten Jakub Chan als Regenten ein und floh nach Turkistan. Doch war Rußland nicht geneigt, einen Krieg mit England zu beginnen. In der Verbannung starb Schir Ali 21. Febr. 1879. Inzwischen hatte Browne 20. Dez. 1878 Dschelalabad besetzt, Roberts den Paiwarpaß erobert und die Afghanen im Chost-Tal geschlagen, Stewart von Quetta aus 8. Jan. 1879 Kandahar eingenommen. Jakub Chan schloß deshalb 19. (26.) Mai 1879 zu Gandamak einen Vertrag, worin er gegen einen Jahresgehalt von 60,000 Pfd. Sterl. die von Indien nach A. führenden Pässe an England abtrat, ihm die äußere Vertretung Afghanistans übertrug und in Kabul einen britischen Gesandten aufzunehmen versprach. Major Cavagnari zog 24. Juli 1879 in Kabul ein und wurde vom Emir ehrenvoll aufgenommen; aber schon 3. Sept. wurde er mit seinem Gefolge (67 Personen) von meuterischen Soldaten und Einwohnern ermordet. Sofort rückte General Roberts von neuem in A. ein. Jakub Chan erschien 27. Sept. in ihrem Lager bei Kuschi, wurde zur Abdankung veranlaßt und nach Indien gebracht. Nachdem Roberts die afghanischen Truppen und die wilden Ghilzai überwunden hatte, rückte er 12. Okt. in Kabul ein und ließ die Rädelsführer hängen, die aufständischen Landschaften verwüsten. Aber 10. Dez. mußte sich Roberts nach dem befestigten Lager von Schirpur zurückziehen. Nach dem Eintreffen von Verstärkungen unter General Bright besetzte er 27. Dez. mit 10,000 Mann Kabul von neuem. Obwohl nun 12,000 Mann von Peschawar in Anmarsch waren, 9000 Mann in Kandahar und 9150 Mann im Kuram-Tal standen, brachen überall neue Aufstände aus. In Ghasni wurde 1880 Jakubs kleiner Sohn Musa zum Emir ausgerufen und Mohammed Chan zum Vormund-Regenten ernannt, bis er 19. April 1880 von den Engländern besiegt und Ghasni eingenommen ward. Als nun Abd er Rahmân, der Sohn Affals und Enkel Dost Mohammeds, der bisher unter russischem Schutz in Samarkand gelebt hatte, in Badachschan und von den Bergstämmen am Hindukusch zum Herrscher aus gerufen wurde, erkannte auch England ihn an. So wurde auf einer Versammlung afghanischer Häuptlinge zu Kabul Ab der Rahmân (s. d. 5) 22. Juli 1880 zum Emir von A. gewählt. Inzwischen aber war Ejjub Chan, den sein Bruder Jakub zum Gouverneur von Herat ernannt hatte, Ende Juni mit 12,000 Mann und 36 Geschützen gegen Kandahar gerückt. Die einheimischen Truppen des englandfreundlichen Wali Schir Ali von Kandahar liefen davon, und General Burrows' englisch-indische Brigade wurde 27. Juli bei Kuschk-i-Nakhud von Ejjub fast aufgerieben; der Rest floh nach Kandahar, wo General Primrose mit 5000 Mann und 18 Geschützen 10. Aug. von Ejjub eingeschlossen wurde. Nun marschierte General Roberts mit 10,000 Mann, 8000 Mann Lagertroß und 4000 Transporttieren von Kabul nach Kelat in Ghilzai (23. Aug.), zog dessen Besatzung von 1200 Mann an sich und rückte 31. Aug. in Kandahar ein. Ejjub, der am 23. Aug. die Belagerung aufgehoben hatte, wurde 15 km nordwestlich am Baba Wali mit 20,000 Mann 1. Sept. von Roberts vollständig geschlagen und floh nach Herat. Die Engländer räumten Kabul, wo sich nun Abd er Rahmân befestigte, und im April 1881 auch Kandahar, wo Mohammed Hassim Statthalter wurde. Dieser ward schon 26. Juli 1881 von Ejjub, der in Herat seine Streitmacht wieder organisiert hatte, bei Karez-i-Alta besiegt. Ejjub bemächtigte sich Kandahars, unterlag aber 22. Sept. bei den Ruinen des alten Kandahar dem Heer Abd er Rahmâns; 4. Okt. ward Herats Besatzung von Anhängern des Emirs vertrieben. Ejjub mußte auf persisches Gebiet flüchten. Nunmehr war Abd er Rahmân, der auch in Herat zum Emir ausgerufen wurde, Herr von ganz A. unter englischem Schutz. Dafür schob Rußland seine Grenze von Merw her und auf dem Pamirplateau immer weiter vor und zwang A. 13. Febr. 1886 zur Hergabe von Penschdeh, 28. Juli 1887 zur Abtretung des Gebiets zwischen dem Kuschk und Murghab. Den Emir trieb dies natürlich in die Arme Englands; 2. Okt. 1893 nahm er Sir Mortimer Durand in Kabul auf. Nach dem zwischen England und A. 12. November 1893 abgeschlossenen »Durand Agreement« (vervollständigt durch das russisch-englische Übereinkommen vom 11. März 1895) erkannte A. die Besetzung von Tschaman durch die indische Regierung an, trat Teile von Schugnan und Roschan an Rußland ab, gab die Ansprüche auf Swat, Bedschur, Tschitral und Waziristan zu gunsten Englands auf und erhielt dafür, außer einer Erhöhung der Pension um die Hälfte, Asmar und Wachan. Am 9. April 1895 verzichtete die indische Regierung auf Kafiristan; sofort verwüsteten die Truppen des Emirs das Land furchtbar. Um den britischen Einfluß auf A. den Russen gegenüber, die im November 1899 Herat besetzten und Frühjahr 1900 eine ständige diplomatische Agentur in Kabul planten, zu sichern, wurde zur Fortführung der Quettabahn nach Kandahar ein Tunnel durch die Chodscha Amrunberge gebaut und in Nutschaman eine Station errichtet. Nach dem am 3. Okt. 1901 erfolgten Tod Abd er Rahmâns folgte ihm sein Sohn Habib Ullah (geb. 1872). der die englische Zahlung fortempfing.

[Literatur.] Vgl. Bellew, A. and the Afghans (Lond. 1879); Derselbe, The races of A. (das. 1880); Yate, Northern A. (das. 1888); Spiegel, Eranische Altertumskunde (Leipz. 1871); Jaworskij, Reise der russ. Gesandtschaft in A. und Buchara 1878 bis 1879 (deutsch, Jena 1885); Roskoschny, A. und seine Nachbarländer (Leipz. 1885); Karte der seit 1884 tätigen russisch-britischen Grenzkommission (1: 520,640,4 Blatt); Langhans, Politisch-militärische Karte von A., Persien und Vorderindien (Gotha 1901). – Zur Geschichte: Malleson, History of A. (2. Aufl., Lond. 1879); Kaye, History of the war in A. (4. Aufl., das. 1890, 3 Bde.); Hensman, The Afghan war of 1879–1880 (das. 1881); H. Durand, History of the first Afghan war (das. 1879); Walker, A., its history and our dealings with it (das. 1885); A. Forbes, The Afghan wars, 1839–1842 and 1878–1880 (das. 1891); Hanna, The second Afghan war, 1878–80 (das. 1899, Bd. 1).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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