Blitzgefahr

Blitzgefahr

Blitzgefahr, die Gefährdung von Menschen, Tieren, Gebäuden und Bäumen durch den Blitz. Die B. für Menschen und Tiere ist vorzugsweise von deren Aufenthalt abhängig. Schätzungsweise werden in Deutschland jährlich wenigstens 200–300 Personen vom Blitz getroffen und 50–100 getötet; etwa die Hälfte dieser Personen befand sich im Freien und da von wieder der größte Teil unter Bäumen. Auf lebende Wesen wirkt der Blitz so schnell, daß sie meist lautlos und ohne Zuckung umfallen, wohl auch regungslos in ihrer letzten Haltung verharren. Bisweilen zeigen so Getötete keine oder ganz geringe Verletzungen, häufig aber auf der äußern Haut eigentümliche Blutunterlaufungen (Blitzfiguren, Keraunographie), die als zahlreiche, fein geästelte Adern auftreten. Im Innern des Körpers hat man wiederholt Zerreißungen der Gefäße (wohl durch Gasentwickelung) gefunden. Meist tritt zuerst Lähmung oder selbst Erstickung ein; Wiederbelebte klagten über Schmerzen wie bei Brandwunden. Schwere Verletzungen oder der Tod können auch durch blitzlosen elektrischen Ausgleich der Spannung zwischen Erde und Gewitterwolke erfolgen. In den Jahren 1882–91 kamen auf je 10,000 Gestorbene in Preußen 2,4, in Bayern 1,6 und in Sachsen 1,7 vom Blitz Erschlagene; in den Vereinigten Staaten starben 1890–98 im Mittel jährlich 312. Von 1 Mill. Einwohner wurden vom Blitz erschlagen in Preußen 6, in Steiermark und Kärnten 10, in den Vereinigten Staaten 5 Personen.

Die B. für Gebäude hat in neuerer Zeit außerordentlich zugenommen. Hier versteht man unter B. die Zahl der Blitzschläge auf 1 Mill. Gebäude. Für Bayern fand v. Bezold als B.:


1833–40 (32,9)

1841–50 27,5

1851–60 48,9

1861–70 65,8

1871–80 93,2

1881–90 142,1

1891–97 (186,3)


In 50 Jahren hat sich die B. hier versechsfacht; ähnlich, z. T. noch größer, ist die Steigerung im übrigen Deutschland. Die Vermehrung der Schadenblitze ist sowohl auf eine Zunahme der Tage mit solhen, als noch mehr auf eine Steigerung der Gefährlichkeit der einzelnen Gewittertage zurückzuführen. Die Gewitter haben an Häufigkeit und Heftigkeit zugenommen; dabei ist aber die Zahl der zündenden Blitze nicht in gleichem Maße gewachsen wie die der kalten, mechanisch zerstörenden Schläge (das Verhältnis beider war 1883–87: 43 Proz., 1888–92: 36 Proz., 1893–97: 32 Proz.). Die Ursache dieser Erscheinung läßt sich noch nicht bestimmt erkennen; jedenfalls kommen die mit der zunehmenden Industrie stärker werdenden Rauchmassen sehr in Betracht. Bezold hat darauf aufmerksam gemacht, daß in Bayern jedem Maximum der Sonnenflecke ein Minimum der Blitzschäden entspricht, doch gilt der Satz nicht umgekehrt. Die heftigsten Entladungen zertrümmern, die schwächern und verzögerten rufen Zündung hervor, daher sollen Blitzableiter nicht zu schwach sein, da sie sich sonst infolge großen Stromwiderstandes erhitzen und selbst zünden. Es ist für Personen in Gebäuden ratsam, sich von größern Metallmassen, Leitungsrohrenden, Kronleuchtern, Haustüren etc. zu entfernen. Telephon- und Telegraphenleitungen über dem Hause schützen es; einzelne Häuser sind mehr gefährdet als Gruppen. Gebäude mit harter Dachung sind weniger gefährdet als solche mit weicher; Kirchen, Türme und Mühlen sind besonders großer B. ausgesetzt.

Am blitzschlagreichsten erweist sich der gewitterreichste Monat (Juli), doch weist Norddeutschland im September und Oktober eine ungewöhnlich größere Prozentzahl von zündenden Blitzen auf als das übrige deutsche Gebiet. Offenbar rührt dies daher, daß hier häufiger Wirbelgewitter zur Entwickelung gelangen, die zwar schnell vorüberziehen und auch nicht viele Blitze aussenden, bei denen aber meistens der elektrische Ausgleich mit der Erde stattfindet. Diese Gewitter treten auch meist zur Nachtzeit auf. Die meisten Blitzschläge erfolgen in den Nachmittagsstunden von 12 bis 6, dann folgen die Abendstunden 6–12, dann 6–12 am Vormittag, während sie nachts zwischen 12 und 6 Uhr selten sind; das Maximum liegt zwischen 3 und 4 Uhr nachmittags. Wie sich im großen und ganzen die Blitzschläge verteilten, zeigt die folgende Tabelle:

Tabelle

Das blitzschlagreichste Jahr in dieser Periode war 1889 mit 3415 Schlägen in Deutschland. Die Zahl der Tage im Jahre mit Blitzschlägen schwankt in Süddeutschland etwa zwischen 45 und 90, in Mitteldeutschland zwischen 65 und 115 und in Norddeutschland zwischen 60 und 100. In Deutschland betrug die B.:

Tabelle

Auf das Königreich Sachsen mit 9 Proz. des Flächenraums von Mitteldeutschland entfallen 28 Proz. aller Blitzschläge in Mitteldeutschland. Auch das Gebiet längs der Ruhr bis an den Rhein, das des Mains vom Spessart bis zum Rhein und Holstein haben sehr zahlreiche Blitzschläge. Auf 2422 Segelschiffsreisen registrierte die Seewarte 14 Blitzschläge, und zwar 11 bei hölzernen, 3 bei eisernen Schiffen, deren eiserne Masten, Rahen und Tauwerk ein gutes Schutzmittel zu bilden scheinen. Die Blitzschläge beschädigen auf Schiffen in der Regel Masten und Takelung oder reißen das Deck auf, zünden aber sehr selten. Der Blitzschlag macht eiserne Schiffsteile magnetisch, so daß der Kompaß falsch zeigt, auch ist eine Störung des Chronometerganges beobachtet worden.

Der Blitz nimmt seinen Weg nach den hervorragenden und zugleich leitenden Punkten der Erdoberfläche oder der auf ihr befindlichen Gegenstände, um sich von da aus zu benachbarten ausgedehnten Leitmassen zu begeben, die seine allseitige Ausbreitung in der Erde vermitteln. Solche Leitmassen sind hauptsächlich das Grundwasser, fließendes oderstehendes Gewässer, Netze ausgedehnter metallischer Leitungen, die regendurchnäßte Erdoberfläche etc. Der Blitz folgt von der betroffenen Stelle aus im allgemeinen demjenigen Wege zu jenen Leitmassen, auf dem er die kleinsten Widerstände findet. Hierbei entscheidet nicht die galvanische Leitungsfähigkeit allein, sondern der Blitz strebt zugleich auch jenem Wege zu, auf dem ihm die kleinsten elektrischen Gegenkräfte (Selbstinduktion) erwachsen, selbst wenn hierzu die meterlange Durchbrechung von Mauern, Balken etc. erforderlich ist. Dabei kommen Verzweigungen und Seitenentladungen vor. Besonders kann der Blitz von einer mit der Erde schon in guter Verbindung stehenden Leitung (Blitzableiter) auf eine andre benachbarte Leitung von noch besserer Erdverbindung (Gas-, Wasserröhren) überschlagen. Ausgedehnten, besonders von oben nach unten verlaufenden Metallgegenständen (Dachrinnen, Treppen, Röhren) folgt der Blitz meist der ganzen Länge nach.

Seit dem Altertum ist bekannt, daß die B. einzelner Bäume sehr ungleich ist: der Lorbeer wird fast nie, die Eiche sehr oft vom Blitz getroffen. Die Ursache ist in der verschiedenen elektrischen Leitungsfähigkeit des Holzes wie in dem mehr oder weniger wasserreichen Standort zu suchen. Auch das Vorhandensein einer größern Zahl trockner Äste in der Krone erleichtert den Übergang des elektrischen Funkens (Eiche, Pappel). Die elektrische Leitungsfähigkeit ist unabhängig vom Saftgehalte des Baumes, aber abhängig vom »Ölgehalt«; je größer dieser ist, um so größer gestaltet sich der Widerstand beim Durchgang der Elektrizität (Kiefer, Buche). Die Blitzbahn verläuft meist in den wasserreichen jüngsten Jahresringen; eine Verkohlung tritt nicht ein. Nach langjährigen Beobachtungen in den lippeschen Forsten verteilen sich die Blitzschläge folgendermaßen: Eiche 254, Kiefer 39, Lärche 9, Pappel 9, Buche 26, Fichte 31, Birke 6, wobei zu bemerken ist, daß diese Baumbestände sich dem Flächeninhalt nach so verhalten: Eiche 11, Kiefer 6, Buche 70, Fichte 13 Proz. Anderseits verteilten sich dieselben auf die Bodenarten so: Lehmboden 203, Sandboden 73, Kalkboden 19, Ton 64, Keupermergel 37, unsicher 22; ob die B. von der Bodenart abhängt, erscheint neuerdings fraglich. Da alle Kulturpflanzen im Winter ölreicher sind, so sind dieselben in dieser Zeit der B. weniger ausgesetzt.

Die besondere Gefährdung der Telegraphenlinien u. -Ämter unterliegt keinen großen Schwankungen. 1886 wurden von 2291 Orten Gewitter gemeldet. Dabei kamen 2728 Beschädigungen vor, von denen, abgesehen von den Blitzableitern, 146 oder 9 Proz. auf die innern Telegrapheneinrichtungen und 1475 oder 91 Proz. auf die äußern Telegraphenanlagen kamen. Von den letztern betreffen 46 Proz. die Telegraphenstangen, die übrigen die Isolatoren u. Drähte. Vgl. Kaßner: Über zündende und nichtzündende Blitzschläge in Deutschland 1864–1889 (Merseb. 1889), Über Blitzschläge in Deutschland 1876–1891 (das. 1891), Über Blitzschläge in der Provinz Sachsen und dem Herzogtum Anhalt 1887–1897 (das. 1898); Weber, Berichte über Blitzschläge in der Provinz Schleswig-Holstein (Kiel 1882); Blenck, Die Zunahme der B. und die Einwirkung des Blitzes auf den menschlichen Körper (Berl. 1894); Ionesco, Über die Ursachen der Blitzschläge in Bäumen (Stuttg. 1892); v. Bezold, Über die Zunahme der B. während der letzten 60 Jahre (Berl. 1899); Arendt, Über die Zunahme der B. (in der Monatsschrift »Das Wetter«, 1899).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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