Zeitbestimmung

Zeitbestimmung

Zeitbestimmung und Zeitausteilung (hierzu Tafel »Zeitsignale für die Seeschiffahrt« mit Text). Die Kenntnis der genauen Zeit ist infolge des immer mehr gesteigerten Verkehrs für weite Kreise der Bevölkerung ein großes Bedürfnis geworden. In größern Städten und besondern Verkehrszentren hat man Einrichtungen getroffen, durch die an vielen Punkten jederzeit die Kenntnis der genauen Zeit dem Publikum zugänglich gemacht wird, so namentlich durch die Ausstellung von Normaluhren, die, von einer Zentralstelle aus reguliert, die Zeit innerhalb einer besonders festgesetzten Genauigkeitsgrenze angeben. Für die Zwecke der Eisenbahnen, der Telegraphie, der Uhrenindustrie und der Schiffahrt dienen Zeitsignale, die telegraphisch von einer Sternwarte erteilt werden, welche die Einrichtungen für einen derartigen Zeitdienst besitzt und in möglichst kurzen Zwischenräumen Zeitbestimmungen ausführt. Die Bestimmung der Zeit erfolgt meist durch Beobachtung der Meridiandurchgänge der Sonne oder der Fundamentalsterne und beruht darauf, daß die Sternzeit des Meridiandurchganges eines Gestirns gleich seiner Rektaszension ist. Beobachtet man an einem Meridiankreis (s. d.) oder an einem im Meridian aufgestellten Passageninstrument nach einer astronomischen Pendeluhr, die nach Sternzeit reguliert ist, die Durchgangszeit eines Sternes durch den Meridian, so ergibt die Differenz der beobachteten Uhrzeit gegen die Rektaszension des Sternes direkt den Fehler der Uhrangabe gegen die richtige Sternzeit, den Stand der Uhr. Man hat jedesmal die Instrumentalfehler, Kollimation, Neigung und Azimutfehler (vgl. Meridiankreis), zu bestimmen und ihren Einfluß in Rechnung zu ziehen, um die beobachtete Durchgangszeit des Sternes durch den Mittelfaden des Fernrohrs auf die wahre Meridiandurchgangszeit zu reduzieren und den richtigen Stand der Beobachtungsuhr gegen die wahre Sternzeit zu erhalten. Aus den an mehreren Tagen ausgeführten Standbestimmungen der Beobachtungsuhr erhält man die tägliche Standveränderung, den täglichen Gang der Uhr. Um den Stand der Uhr für eine spätere Zeit, zu der ein Zeitsignal gegeben werden soll, zu ermitteln, addiert man zu dem zuletzt beobachteten Stande der Uhr den der Zwischenzeit entsprechenden Gang, stellt also den Stand extrapolatorisch fest. Um aber ein genaues Resultat erhalten zu können, muß die Uhr den Gang, den sie zwischen den letzten beiden Zeitbestimmungen gezeigt hat, auch ferner beibehalten, was aber nur zum Teil unter Zuhilfenahme besonderer Einrichtungen erreichbar ist. Um den Einfluß von Temperaturänderungen auf den Gang der Pendeluhr zu beseitigen, müssen die für den Zeitdienst einer Sternwarte benutzten Uhren mit besondern genauen Kompensationseinrichtungen für Wärme versehen und in Räumen aufgestellt sein, die gegen die schnellen Temperaturänderungen innerhalb eines Tages möglichst geschützt sind, und um die Uhren von dem Einflusse des wechselnden Luftdruckes unabhängig zu machen, werden ste mit Barometerkompensationen versehen oder in luftdicht abgeschlossenen Gehäusen (s. Tafel »Uhren II«, S. I) aufgestellt. Doch kann namentlich bei Perioden trüben Wetters, in denen eine Zeitbestimmung nicht möglich ist, mit einer Uhr allein nicht immer die Kenntnis der genauen Zeit innerhalb der erforderlichen Genauigkeit garantiert werden, es ist vielmehr erforderlich, daß mehrere solcher Uhren in ähnlicher Weise aufgestellt sind, deren Angaben und Stände an jedem Tag ein oder mehrere Male miteinander verglichen und rechnerisch ausgeglichen werden. Diese Vergleichung geschieht gewöhnlich auf elektrischem Wege mittels Chronographen (s. d.), und zwar häufig automatisch. Die Angabe der Normaluhr gegen diejenige der Hauptuhren wird dabei bis auf Hundertel-Sekunde bestimmt und damit aus den extrapolatorisch bekannten Ständen der Hauptuhren der Stand der Normaluhr gegen die richtige mittlere Ortszeit, bez. die betreffende Landeszeit (z. B. mitteleuropäische Zeit) festgestellt. Dieser so ermittelte Stand der Normaluhr wird alsdann entweder durch Auflegen von kleinen Zulagegewichten auf einen am Pendel angebrachten Teller oder durch Einhängen von Hilfspendeln in das Hauptpendel auf Null korrigiert, so daß die Normaluhr wieder die genaue Zeit, soweit sich dieselbe nach der letzten Zeitbestimmung verbürgen läßt, anzeigt. Nach dieser Uhr werden die für verschiedene Zwecke erforderlichen genauen Zeitsignale gegeben, und zwar geschieht dies meistens auch auf automatischem Weg, indem die Normaluhr zu einer festgesetzten Zeit elektrische Kontakte schließt, durch die der elektrische Strom auf verschiedenen weithin verteilten Stationen Signale hervorbringt, die eine Feststellung der genauen Zeit an jeder Station ermöglichen. So wird z. B. in Deutschland jeden Morgen 8 Uhr von Berlin aus ein derartiges Zeitsignal selbsttätig durch eine auf dem Schlesischen Bahnhof in Berlin von der Gesellschaft »Normalzeit« richtig gehaltene Uhr an annähernd alle Stationen des preußischen Eisenbahnnetzes gegeben, und in andern Staaten finden sich ähnliche Einrichtungen. Ferner werden solche Zeitsignale von großer Genauigkeit nach den Sitzen der Uhrenindustrie übermittelt, so von der Sternwarte in Berlin nach Glashütte, von der Sternwarte in Heidelberg nach den Schwarzwaldorten und von der Sternwarte in Neuchâtel nach einer großen Anzahl von schweizerischen Uhrenorten.

Eine andre Art der Zeitausteilung geschieht durch die elektrische Regulierung einer Anzahl von Uhren, die an verschiedenen Orten aufgestellt sind, von einer Zentrale aus, wodurch diese Uhren entweder in voller Übereinstimmung mit der Normaluhr auf der Zentrale bleiben oder nur geringere Abweichungen gegen dieselbe zeigen können. Für die Mitteilung der genauen Zeit bis auf Bruchteile von Sekunden kommen nur die sympathetischen (sympathischen) Uhren in Betracht; die von den Sternwarten aus regulierten öffentlichen Uhren, so die Normaluhren der Sternwarten in Berlin und Hamburg, sind nach diesem System eingerichtet. In diesen Uhren, die, auch ohne ihre Verbindung mit der Regulieruhr der Sternwarte, einen sehr gleichmäßigen kleinen Gang haben, ist am untern Ende des Pendels ein Stück Eisen und seitwärts ein Elektromagnet derart angeordnet, daß das Eisen bei dem größten Ausschwingen des Pendels sich direkt über dem Elektromagneten befindet, dieses erfolgt also bei einem Sekundenpendel jede zweite Sekunde. Die Regulieruhr auf der Sternwarte hat einen elektrischen Kontakt, der jede zweite Sekunde geschlossen wird und dann einen Strom nach dem Elektromagneten entsendet; dieser wird dann magnetisch und zieht den Eisenanker am Pendel an; nähert sich das Pendel im Moment des Stromschlusses dem Elektromagneten, so wird es in seiner Schwingung beschleunigt, entfernt es sich aber bereits wieder vom Elektromagneten, so wird es gewissermaßen zurückgehalten. Dieses Spiel wiederholt sich jede zweite Sekunde, und infolgedessen werden die Schwingungen beider Uhren sich genau in demselben Tempo vollziehen und die Zifferblätter beider Uhren in beständiger Übereinstimmung bleiben. Der Betrieb elektrischer Zifferblätter von einer Normaluhr aus empfiehlt sich nur dort, wo die Entfernung von der Normaluhr nicht groß ist, also innerhalb eines Gebäudes oder eines Grundstückes, da bei längerer Leitung Störungen des Betriebes viel wahrscheinlicher sind. Die dritte Art der Zeitausteilung durch Uhren erfolgt in der Weise, daß vollständige Uhrwerke aufgestellt werden, die ganz selbständig gehen und nur von Zeit zu Zeit mit einer Normaluhr elektrisch verbunden und alsdann auf elektrischem Wege wieder richtig eingestellt werden, falls ihre Angabe von der richtigen Zeit abgewichen sein sollte. Dieses System empfiehlt sich überall dort, wo es sich darum handelt, öffentliche Uhren einzurichten, die für die Zwecke des bürgerlichen Lebens bestimmt sind, und welche die Zeit innerhalb einer Minute genau anzeigen. Nach diesem System hat die Gesellschaft »Normalzeit« in Berlin u. a. O. ein großes Netz von öffentlichen und privaten Uhren eingerichtet, die auch zugleich selbsttätig sich ausziehen (vgl. Tafel »Uhr IV«: Elektrische Uhren).

Die Mitwirkung der deutschen Telegraphenverwaltungen bei der Zeitausteilung begann schon 1849 unmittelbar nach Einführung der elektrischen Staatstelegraphen. Die Abgabe des Uhrenzeichens nach allen Reichstelegraphenanstalten erfolgt von Berlin aus in der Weise, daß im Sommer um 7, im Winter um 8 Uhr früh beim Haupttelegraphenamt auf allen daselbst ausgehenden Leitungen gleichzeitig eine Minute lang die Tasten gedrückt werden; dadurch werden während dieser Zeit die Anker der Morseapparate in den Arbeitsstromleitungen angezogen, in den Ruhestromleitungen abgestoßen. Fünf Minuten vor Abgabe des Uhrenzeichens wird der telegraphische Verkehr eingestellt, die Anstalten halten sich zum Empfange des Zeichens bereit und verbreiten dasselbe in gleicher Weise eine Stunde später nach solchen Anstalten, die nicht mit Berlin unmittelbar telegraphisch verbunden sind. Die Amtsuhren auf den einzelnen Ämtern werden nach dem Gehör, d. h. nach dem Anschlagen des Ankers beim Beginn und zu Ende des Tastendrucks, eingestellt. Nur bei wenigen Ämtern (Köln a. Rh., Frankfurt a. M.) werden in die Leitungen Pendeluhren mit einer Einstellvorrichtung eingeschaltet und selbsttätig durch den von Berlin ausgehenden Strom richtig gestellt. Zur Feststellung der richtigen Zeit vergleicht das Haupttelegraphenamt in Berlin seine Pendeluhr wöchentlich mit der Hauptuhr der Sternwarte. Über die für die Seeschiffahrt bestimmten Zeitsignale vgl. die beifolgende Tafel.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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