Beweis [2]

Beweis [2]

Beweis (im Prozeß). Das Wort B. bezeichnet zunächst jene Tätigkeit im Prozeß (die Beweisführung), durch die für das Gericht die Wahrheit solcher Tatsachen festgestellt wird, die es seinem Urteil zu Grunde legen soll, sodann auch das Ergebnis dieser Tätigkeit. In diesem Sinne sagt man z. B.: es sei für eine Tatsache der B. erbracht; der B. sei mißlungen; es liege voller B. vor etc. Die erstere Bedeutung des Wortes B. ist, wieder frühere Ausdruck für B.: »Beweisung«, zeigt, die ursprüngliche. 1) Den Gegenstand der Beweistätigkeit (den Beweissatz, s. d.) bilden stets Tatsachen. Denn das richterliche Urteil ist eine Schlußfolgerung, die dadurch gewonnen wird, daß man bestimmte Tatsachen unter gewisse Rechtssätze bringt. Diese Tatsachen müssen feststehen, wenn die Schlußfolgerung richtig sein soll. Sie gewiß zu machen, ist Aufgabe des Beweises. 2) Das Ziel der Beweistätigkeit ist hiernach Herstellung der Wahrheit der tatsächlichen Urteilsunterlagen. Je nach der geltenden Beweistheorie (s. d.) ist diese Wahrheit eine »materielle« oder eine »formelle« Wahrheit. Sie ist das letztere, wenn der Richter der Beweistätigkeit gegenüber nicht seine freie Überzeugung walten lassen darf, sondern an bestimmte gesetzliche Regeln gebunden ist. Dagegen wird die materielle Wahrheit erstrebt, wenn die Würdigung des Beweises der freien Überzeugung des Richters überlassen ist. Nach dem deutschen Prozeßrecht gilt im allgemeinen der Grundsatz der freien Beweiswürdigung; in einzelnen Richtungen gelten aber gesetzliche Beweisregeln (s. Beweistheorie). 3) Der Inhalt der Beweistätigkeit (s. Beweisverfahren) setzt sich zusammen aus der Beweisantretung, d. h. der Einführung der Beweismittel (s. d.) in den Prozeß, und aus der Beweisaufnahme oder Beweiserhebung, d. h. der Vorführung dieser Beweismittel in der Gerichtssitzung. Die Beweisantretung erfolgt regelmäßig durch die Parteien: judex secundum probata a partibus judicare debet. Doch besteht ein Unterschied zwischen dem Zivilprozeß und dem Strafprozeß. Im erstern müssen die Parteien regelmäßig, weil es sich um ihre Privatinteressen handelt, für die Tatsachen, auf die sie ihre Ansprüche stützen, B. antreten, widrigenfalls diese Tatsachen als unbewiesen dem Urteil nicht zu Grunde gelegt werden können. Darauf beruht die Verteilung der sogen. Beweislast (s. d.) im Zivilprozeß. In einzelnen Richtungen, z. B. soweit es sich um die Aufrechthaltung der Ehe oder um Entmündigung handelt, darf das Gericht aber auch nach der Zivilprozeßordnung (§ 622, 653, 663, 670) von Amts wegen die Aufnahme von Beweisen anordnen. Im Strafprozeß, bei dem das öffentliche Interesse an der Bestrafung begangener Verbrechen überall durchgreift, ist das Gericht stets hierzu befugt (vgl. die § 220, 243, Abs. 3, der Strafprozeßordnung). 4) Die Beweistätigkeit ist stets für das Gericht bestimmt, dem durch den B. die Grundlage für seine Entscheidung geschaffen werden soll. 5) Bezüglich des Beweises gibt es verschiedene Einteilungen. a) Man unterscheidet zwischen dem natürlichen oder unmittelbaren B., bei dem die Beweistätigkeit unmittelbar auf die zu beweisende Tatsache selbst gerichtet ist, und dem mittelbaren oder künstlichen, auch Indizienbeweis genannten B. Letzterer bezieht sich unmittelbar nicht auf die zu beweisende, sondern auf eine andre Tatsache, aus der das Gericht auf das Bestehen der erstern schließen soll. Die Tatsachen, die zu einem solchen Schlusse berechtigen, werden auch Indizien genannt. Ein solches bildet z. B. das außergerichtliche Geständnis (s. d.). b) Ein weiterer Unterschied wird gemacht zwischen dem vollständigen B., der für sich allein genügt, um den Beweissatz als unzweifelhaft wahr erscheinen zu lassen, und dem unvollständigen B. Letzterer bedarf in der Regel noch einer Ergänzung durch den Eid einer Partei, der aber auch dazu dienen kann, ihm seine Bedeutung zu entziehen (s. Eid! richterlicher Eid). Unter Umständen genügt die bloße (auch als Bescheinigung bezeichnete) Glaubhaftmachung (s. d.), die auch ein unvollständiger B. ist. Im Strafprozeß suchte man früher den unvollständigen B. zu ergänzen durch ein dem Angeschuldigten durch die Folter abgepreßtes Geständnis. Als die Folter abgekommen war, ließ man bei unvollständig geführtem Schuldbeweis den Angeschuldigten wenigstens nicht ganz straflos durchkommen, sondern verurteilte ihn zu einer sogen. Verdachtsstrafe (s. d.) oder sprach ihn doch nur von der Instanz frei (Entbindung von der Instanz, s. Ab instantia absolvieren). Heutzutage ist der allein richtige Grundsatz anerkannt, daß ein Angeklagter, dem man seine Schuld nicht voll beweisen kann, vollständig freigesprochen werden muß. Eine weitere Einteilung ist die in Haupt- und Gegenbeweis. Hauptbeweis nannte man früher den einer Partei im »Beweisinterlokut« auferlegten B. einer Tatsache, während der Gegenbeweis der ihr lediglich nachgelassene, d. h. ihrem Ermessen überlassene und nicht zur Pflicht gemachte B. war. Dadurch, daß das Beweisinterlokut beseitigt und durch den Beweisbeschluß (s. d.) ersetzt worden ist, hat die erwähnte (formelle) Unterscheidung ihre Bedeutung verloren. In sachlicher Beziehung wird aber noch eine weitere Unterscheidung aufgestellt, nach welcher der zur Begründung eines prozessualen Angriffs notwendige Gegenbeweis der lediglich zur Verteidigung geführte B. ist. Dieser Gegensatz zwischen Haupt- und Gegenbeweis besteht auch im geltenden Recht, obgleich die Zivilprozeßordnung den letztern Ausdruck möglichst vermeidet und dafür von B. zur Widerlegung tatsächlicher Behauptungen des Gegners redet. Der Gegenbeweis in diesem Sinn kann in doppelter Weise geführt werden: entweder so, daß man die Unwahrheit der vom Gegner behaupteten und von ihm zu beweisenden Tatsachen darzutun sucht, oder aber so, daß man die vom Gegner zum B. seiner Tatsachenbehauptungen benutzten Beweismittel angreift, indem man ihre Unzulässigkeit oder Unglaubwürdigkeit darzutun sucht. Die letztere Art des Gegenbeweises nennt man Beweiseinreden (vgl. § 283 der Zivilprozeßordnung). Im Strafprozeß entspricht der Einteilung in Haupt- und Gegenbeweis jene in Belastungs- und Entlastungsbeweis. Der erstere hat solche Tatsachen zum Gegenstand, welche die Schuld oder eine Strafschärfung begründen, der letztere solche, die eine Freisprechung, bez. eine Milderung oder Minderung der Strafe bewirken. Früher wurde der B. noch eingeteilt in ordentlichen und außerordentlichen B. Unter letzterm verstand man den B., der außerhalb des für die Beweisführung bestimmten Prozeßabschnitts erfolgte. Wenn der B., was jetzt nach der Zivilprozeßordnung zufolge des Grundsatzes der Beweisverbindung stets geschehen soll, gleichzeitig mit den Behauptungen angetreten wurde, sprach man von Beweisantizipation. Als eine andre Art des außerordentlichen Beweises galt der B. zum ewigen Gedächtnis, der jetzt »Sicherung des Beweises« (s. d.) genannt wird. Diese Sicherung kommt auch nach der Strafprozeßordnung, § 164, 188, 222, 327–336, vor.

Vgl. Endemann, Die Beweislehre des Zivilprozesses (Heidelb. 1860); v. Bar, Recht und B. im Zivilprozeß (Leipz. 1867); Derselbe, Recht und B. im Geschwornengericht (das. 1865); I. Glaser, Beiträge zur Lehre vom B. im Strafprozeß (das. 1883).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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