Weinstock

Weinstock

Weinstock (Rebe, Vitis Tourn., hierzu Tafel »Weintrauben« mit Textbeilage), Gattung der Ampelidazeen, hoch klimmende Sträucher mit blattgegenständigen Ranken, einfachen, oft eckigen oder handförmig gelappten Blättern, blattgegenständigen Rispen mit in Büscheln oder Döldchen vereinigten Blüten, 5–6 Blumenblättern, die beim Aufblühen sich vom Grund an trennen, an der Spitze zusammenhängen und als eine oben gewölbte, unten fünflappige Kappe abgeworfen werden. Die Blüten sind polygamodiözisch. Die Frucht ist eine kugelrunde bis längliche Beere. 28 Arten auf der nördlichen Halbkugel, in den subtropischen Klimaten der Alten, besonders der Neuen Welt häufig, nur wenige weiter nach Norden oder Süden vordringend. Über den echten W. (V. vinifera L., s. Tafel »Genußmittelpflanzen«, Fig. 5, mit Beschreibung). Die Fuchstraube (V. labrusca L.), sehr stark wachsend, mit fast ganzen oder schwach drei- und fünflappigen, unterseits meist rostfarben, spinnwebig unregelmäßig filzigen Blättern, mit Ranken gegenüber jedem Blatte, in kleinen Trauben stehenden Blüten und großen blauen, wohlschmeckenden Beeren von starkem Geruch, ähnlich den schwarzen Johannisbeeren, wächst in Nordamerika, von Neuengland bis Carolina und wird in vielen Varietäten, auch in Europa, kultiviert (Catawba, Isabella etc., rote Kelter- und Tafeltrauben), namentlich auch zu Lauben- und Mauerbekleidungen benutzt. Die Sommerrebe (V. aestivalis Mchx.), mit breit herzförmigen, ungeteilten, bisweilen seicht drei- und fünflappigen, grob und ungleich gezahnten, unterseits graugrün filzigen Blättern, mit rostfarbigen Filzflocken längs der Nerven, in großen Rispen stehenden Blüten, kleinen, dunkelblauen, punktierten, angenehm säuerlichen Beeren und an den jungen Trieben, Ranken und Blütenständen filzig, wächst in den südöstlichen Staaten Nordamerikas, in Mittel- und Südamerika und wird ebenfalls in mehreren Varietäten kultiviert. Ebenso die herzblätterige Rebe (Winterrebe, V. cordifolia Mchx.), von New York bis Arkansas, in Texas und Florida, mit rundlichen bis eiförmigen, ungelappten oder seicht dreilappigen, auf der Unterfläche, besonders auf den Nerven, rauhhaarigen Blättern, lockerer, reichblütiger Rispe und kleinen, schwarzblauen, süßen Beeren. wird bei uns seit langer Zeit zu Lauben, zum Überziehen von Staketen etc. benutzt. Die rundblätterige Rebe (Schlehenrebe, Fuchsrebe der südlichen Staaten, Büffelrebe, Winter-, Forsttraube, V. rotundifolia Mchx., V. vulpina Ant.), in Virginia, südwärts bis Louisiana und Florida, sehr stark wachsend, mit rundlichen, nicht oder undeutlich gelappten, grob gezahnten, meist unbehaarten, glänzenden Blättern, in kleinen Rispen stehenden Blüten und ziemlich großen, dunkelblauen Beeren, liefert besonders Tafeltrauben. V. riparia Mich. (V. odoratissima Don., Uferrebe, wohlriechender W., s. Tafel »Schlingpflanzen«), mit rundlichen, ungelappten oder seicht drei-, selten fünflappigen, sehr grob eingeschnitten gesägten, unterseits kurzhaarigen, in den Nervenwinkeln bärtigen Blättern, sehr wohlriechenden (bei uns fast immer männlichen) Blüten und kleinen, dunkelblauen, herb säuerlichen Beeren, von Kanada bis Florida und Arkansas, wird bei uns als Zierpflanze kultiviert.

Der echte W. fand sich schon im Diluvium in Südeuropa und einem Teil Mitteleuropas und wächst jetzt wild im ganzen Mittelmeergebiet, östlich bis über den Kaukasus, nördlich noch in Süddeutschland. Wahrscheinlich war er vor den Eingriffen des Menschen in die Vegetation noch verbreiteter als jetzt. Vielfach kommt er jetzt auch verwildert vor. Er gedeiht in einer Region, deren mittlere Sommerwärme 20–25° und deren mittlere Wintertemperatur +5 bis 0° beträgt. In Europa läuft die nördliche Verbreitungslinie des Weinstocks von der Mündung der Loire (47,5°) zum Rhein (51°) und in Schlesien bis 52° nördl. Br. (einzelne Weinberge kommen noch bis 53° nördl. Br. vor), fällt dann rasch nach Süden und in Bessarabien auf 46°. In Norwegen reift die Traube an den Ufern des Sognefjords noch unter 61°. Die Äquatorialgrenze läuft ziemlich parallel mit dem 30.°, sinkt jedoch km Seeklima bis zum 10.°. In Nordamerika reicht der Weinbau bis 50° nördl. Br. In den Alpen steigt die Rebe zu Camperlongo in Piemont unter dem 45.–46.° bis 970 m Höhe, sonst aber erhebt sie sich durchschnittlich nicht über 530 m. In frühern Zeiten baute man den W. in England und Norddeutschland, wo die Traube jetzt nur in sehr geschützter Lage und am Spalier kümmerlich reift, aber er ist in diesen nördlichen Lagen nicht etwa einer ungünstigen Klimaveränderung halber verschwunden, sondern weil dort bei den verbesserten Verkehrsmitteln die Kultur nicht mehr verlockend erscheint.

Der W. gedeiht auf sehr verschiedenartigem Boden, in vulkanischen Verwitterungsprodukten, in Tonschiefer, Lias, Keuper, Muschelkalk, in der Sandsteinformation, im Urgebirge und im angeschwemmten Lande, fordert aber wärme- und wasserbindende Kraft und namentlich eine geschützte, sonnige Lage. Er bedarf wiederholter kräftiger Düngung, am besten mit Stallmist, Kompost mit Guano oder mit Thomasschlackenmehl, Superphosphat und schwefelsaurem Kali, schwefelsaurer Magnesia, Chilisalpeter. Man pflanzt in den Weinbergen (die nicht immer Berge sind) und Gärten nach vorheriger Entwässerung des Untergrundes in Reihen, deren Entfernung sich nach dem Rebsatz (den anzupflanzenden Weingattungen), nach Behandlung wie nach Boden und Lage richtet. Früher pflanzte man möglichst viele Sorten durcheinander, heute strebt man nach Reinheit des Satzes und beschränkt sich auf eine oder zwei harmonierende Sorten. In Deutschland kultiviert man in reinem Rebsatz fast nur zwitterblütige Sorten, in Ungarn in gemischtem Rebsatz neben zwitterblütigen sehr allgemein weibliche Sorten. In den Weinbergen werden die Stöcke an Pfählen, Rahmen oder Draht erzogen. Im Garten pflanzt man je nach Klima und Lage sicher reifende Sorten am besten an der Südseite von Gebäuden, Mauern, Bretterwänden; spätreifende mit großen wertvollen Trauben werden unter Fenstern an Mauern gezogen, nur wenige Sorten (meist blaue Trauben) eignen sich zur Früherziehung, bez. Treiberei, die besonders in England und Belgien (Hoeylaart bei Brüssel), in Holland, Frankreich, neuerdings auch in Deutschland, betrieben wird. Seitdem man erkannt hat, daß die amerikanischen Reben (außer V. labrusca) reblausfest sind, benutzt man sie in Europa als Unterlagen für die europäischen Kulturformen. Eine Verschlechterung der Weine durch die Veredelung findet nicht statt, es wird im Gegenteil angegeben, daß die Veredelung die Fruchtbarkeit erhöht, die Frucht verbessert und die Reife beschleunigt. Man hat auch Hybriden zwischen französischen und amerikanischen Reben (franko-amerikanische Reben) und zwischen amerikanischen Reben (amerikano-amerikanische Reben) erzogen. Von diesen zahlreichen Züchtungen besitzen nur verhältnismäßig wenige praktischen Wert (selektionierte Reben), doch verfügt man jetzt für jede Bodenart und für jedes Klima über eine geeignete, gegen Reblaus unempfindliche Sorte als Rebunterlage zur Rekonstruktion der Weinberge. Die Fortpflanzung des Weinstocks geschieht durch Augen, durch Stecklinge aus reifem Holz, durch Senker oder Ableger. Aus Samen erzogene Stöcke müssen veredelt werden, was aber umständlicher ist als bei den übrigen Obstarten. Man pflanzt meist im Frühjahr und so tief, daß auch die bewurzelten Reben nur mit einem, höchstens zwei Augen über den Boden hervorsehen, und sucht die Wurzeln möglichst in die Tiefe zu leiten. Die weitere Behandlung des Weinstocks ist nach Klima, Lage, Sorte und Gebrauch sehr verschieden, sowohl im Berge als im Garten. Auf dem Stamme des Weinstocks steht die Rebe, und diese trägt die Rute, den diesjährigen fruchtbaren Trieb. Aus älterm Holz sich entwickelnde Wasserschosse sind in der Regel unfruchtbar. Die Rute besitzt in Abständen von 10–15 cm Knoten, und an dem untern Teile jedes Knotens sitzt ein Blatt mit gewöhnlich zwei Augen im Blattwinkel. Von diesen Augen treibt eins noch im Sommer aus, während das andre im nächsten Jahre die Tragrute mit 2–5 Trauben liefert. Der Geiz stärkt das schlafende Auge, wird er ausgebrochen, so treibt das schlafende Auge aus, und es bildet sich ein drittes Auge, das aber nicht hinreichend erstarkt, um im nächsten Jahre eine fruchtbare Tragrute zu liefern. Dem Blatte gegenüber sitzt eine Ranke oder eine Traube. Die junge Rute beginnt mit 2–5 leeren oder nur mit schwachen Ranken besetzten Knoten, bringt dann eine oder zwei Trauben, darauf einen leeren Knoten und vielleicht noch zwei Trauben. Folgt auf eine Traube eine Ranke, so erscheint später keine Traube mehr. Die Ruten werden in angemessener Länge gekappt, und wenn nun der Geiz um so kräftiger treibt, so kappt man ihn ebenfalls, damit er Nebenruten treibt. In Weinbergen sind die am häufigsten angewendeten Erziehungsmethoden der Kopfschnitt, der Bockschnitt, die Rheingauer Methode, der niedere und höhere Pfälzer Rahmenschnitt, der Württembergische Bogenschnitt, die Elsässer und Breisgauer Methoden. In den Gärten wendet man an die Kechtsche Methode, den Winkelschnitt, die Methode von Thomery, die wagerechte Girlande und den senkrechten Kordon. Über die durch die Kultur entstandenen Varietäten des Weinstocks s. die Textbeilage (mit Literatur).

Der W. ist vielerlei Gefahren ausgesetzt: im Frühjahre den Frösten, später auch andern nachteiligen Witterungsverhältnissen. Krankheiten, wie Bleichsucht (Chlorose), schwarze Knoten (Fäulnisstellen an der Rebe), Traubenfäule, Krebs, Gelbsucht etc., richten oft großen Schaden an. Viele Krankheiten werden durch Pilze und andre Organismen hervorgebracht, wie die Anthraknose (Brenner, Schwarzer Brand), die Schwarze Fäule (Black root), Meltau, Traubenkrankheit, Falscher Meltau, Schwärze, Wurzelschimmel, Rotbrenner, Weißfäule etc. Sehr viele Tiere, namentlich Insekten, richten in Weinbergen großen Schaden an, vor allem die Reblaus, der Weinstockfallkäfer (Eumolpus vitis), Rebenschneider (Lethrus cephalotes), der Rebenstecher (Rhynchites betuleti), der Dickmaulrüßler (Otiorhynchus sulcatus), der Weinlaubkäfer (Anomala vitis), Springwurmwickler (Tortrix Pilleriana), Traubenwickler (Heuwurm, Sauerwurm, T. ambiguella), der Spinnwurm (Weinmotte, Sauerwurm, Grapholita botrana), mehrere Eulen, der Ohrwurm, eine Milbe (Phytoptus vitis), eine Schildlaus (Dactylopius vitis), die den weißen Traubenrost (Fumagina) erzeugt, dann auch Bienen, Wespen, Hornissen, Ameisen, Schnecken, Staren, Kramtsvögeln, Weindrosseln, Elstern, Rebhühnern, Sperlingen, Füchsen, Dachsen, Mardern, Wieseln und dem Hochwild. So kommt es, daß oft ein guter Ertrag den Ausfall vieler ungünstiger Jahre decken muß. In den letzen 100 Jahren hatten wir in Deutschland 38 gute Weinlesen, aber nur 11 eigentliche Hauptjahre, in denen Qualität und Quantität gleich befriedigten.

Die Zeit der Weinlese (in alemannischen Gegenden Wimmet, Wimmete) wird hier und da, durch die Veyorde oder durch eine Versammlung der Weinbergbesitzer eines Gebietes festgesetzt, welche die Weinberge bei eintretender Reife der Trauben auch für die Eigentümer bis zum Beginn der Lese schließt. Frühe rote Trauben werden in Deutschland schon im September gelesen, die Haupternte aber fällt in den Oktober und zieht sich oft in den November hinein. Vgl. Wein. Ein Nachreifen der abgeschnittenen Trauben, ähnlich dem des Obstes, findet nicht statt. Möglichst später Lesung verdanken die Weine des Rheingaues, Tokajs und der Gironde ihre vorzüglichen Eigenschaften; doch eignen sich nicht alle Traubensorten dazu. Oft werden besonders gut entwickelte Trauben zuerst gesammelt, um für sich allein auf beste Weine verarbeitet zu werden (Ausbruch), auch hält man wohl eine Vorlese, bei der nur völlig reife Trauben abgenommen werden, und wartet dann das Reifen der übrigen Trauben ab. Für manche Weinsorten werden die Traubenstiele zunächst nur eingeknickt, worauf man die Trauben noch einige Zeit hängen läßt. Man erntet die Trauben durch Abbrechen mit der Hand, durch Abschneiden mit dem Messer oder mit der Schere und benutzt für Tafeltrauben eine solche Schere, welche die abgeschnittene Traube festhält, nicht fallen läßt. Zur Konservierung der Trauben steckt man sie mit einem Stück der Rebe in mit Wasser gefüllte Flaschen, auch bringt man sie in dicht geschlossene Räume, in denen man etwas Alkohol verdunsten läßt. Man benutzt die Trauben in erster Linie zur Bereitung von Wein (die Abfälle von der Weinbereitung zu Haustrunk, Branntwein, Essig, Grünspan, Pottasche, Weinstein, Weinsäure, Weinrebenschwarz), dann als Tafeltrauben, zur Traubenkur, getrocknet als Rosinen und Korinthen; den Most auch zur Bereitung eines alkoholfreien Getränkes, dickt ihn zu Traubensirup ein, der zur Weinbereitung und zum häuslichen Gebrauch dient; auch kocht man aus reifen Trauben Marmelade (raisiné, charlotte d'automne) und benutzt sie zu Traubenlikör. Die Traubenkerne geben fettes Öl und Gerbstoff. Das Weinlaub, das beim Schnitte der Reben abfällt, dient als Viehfutter und Gründünger, das Holz zu Drechslerarbeiten, Pottaschebereitung und als Brennmaterial, die Reben liefern Spazierstöcke. Rebenabschnitte und Rebenholz werden auch auf Frankfurterschwarz verarbeitet. Über Geschichte, Statistik etc. s. Wein (nebst Textbeilage »Weinbereitung etc.«).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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