Wehr [2]

Wehr [2]

Wehr (Stauwerk), ein quer durch ein fließendes Gewässer gelegter Bau, der eine Erhöhung des obern Wasserspiegels hervorbringt, aber auch zu einer zeitweiligen gänzlichen Aufhebung der Strömung in künstlichen Wasserläufen benutzt wird. Wehre in künstlichen Wasserläufen werden auch Schleusen genannt. Eine große Rolle spielen die Wehre oder Stauschleusen bei Ent- und Bewässerungen für die Landwirtschaft und bei gewerblichen Anlagen, wo sie dazu dienen, das Betriebswasser aus einem natürlichen Wasserlauf in einen Kanal zu drängen und es den Wasserkraftmaschinen zuzuleiten, dergestalt, daß das auf einer bestimmten Strecke des natürlichen Wasserlaufs vorhandene Gefälle an der geeignetsten Stelle sich ausnutzen läßt. Die Schiffahrt wird durch Wehre begünstigt, indem mittels derselben die Kanalisierung der Flüsse sich ermöglichen läßt, wodurch eine größere Wassertiefe hergestellt werden kann (Kanalisierung der Flüsse). In solchen Fällen ist mit dem W. stets eine Schiffschleuse verbunden. Die Stauwerke für landwirtschaftliche Zwecke sind seit Jahrtausenden und solche für gewerbliche Anlagen seit vielen Jahrhunderten bekannt. In einfachster Weise waren sie aus Holz oder Stein als feste oder als Schützenwehre mit kleinen Öffnungen erbaut. Poirée schuf 1835 die ersten Nadelwehre mit zum Umlegen eingerichteten, eisernen Wehrböcken, was die Herstellung beliebig weiter Stauwerköffnungen ermöglicht. Hiernach folgten als Vervollkommnung die bereits 1818 bekannten Klappenwehre, die mittels Wasserdrucks getriebenen Klappen- oder Trommelwehre von Desfontaines sowie die Schützenwehre mit beweglichen Böcken von Boulé (1875).

Im allgemeinen unterscheidet man feste Wehre, deren Stauwand sich nicht beseitigen läßt, und bewegliche Wehre, wo dies der Fall ist. Ferner Grundwehre, bei denen die Krone tiefer liegt als der ursprüngliche Wasserspiegel, und Überfallwehre mit höher liegender Krone. Die festen Wehre sind aus Holz, aus Holz und Stein oder nur aus Stein hergestellt. Überfallwehre laufen zuweilen zeitweise trocken und werden, soweit Nässe und Trockenheit wechseln, schnell zerstört, wenn sie aus Holz bestehen. Aus diesem Grunde richtet man das Bauwerk auch wohl so ein, daß der obere Teil abnehmbar ist und ausgewechselt werden kann. Je nach ihrer Richtung zur Flußachse sind die Wehre senkrecht oder schief. Es gibt Stufenwehre und Wehre mit geneigtem Abschluß. Sind die Wehre aus Holz und Stein zusammengesetzt, so bildet der Holzbau das Gerippe, das den Zusammenhalt und die Form des Bauwerkes sichert, indem er die Steine entweder als Trockenmauerwerk oder unregelmäßig eingeworfen in ihrer Lage erhält. Trockenmauerwerk und Steinwurf sind an sich nicht wasserdicht, werden es aber mit der Zeit, wenn der Fluß viel Schlamm führt und das W. dick ist. Bessere Dichtigkeit wird durch Mörtelmauerwerk erzielt. Steinerne Wehre werden entweder ganz aus Werkstücken hergestellt oder mit Hintermauerung versehen und nur in den Ansichtflächen mit Hausteinen verkleidet. Oft werden auch die ganzen Wehrkörper aus Zementbeton gestampft.

Von den beweglichen Wehren schließen sich die Schützenwehre (Fallenwehre) mit ihrer Sohle an diejenige des Flusses an, diese muß durch Spundwände, Vorboden und Sturzbett gegen Unterspülen gesichert werden. Die Schützen setzen sich auf eine Schwelle, den Fachbaum oder die Wehrschwelle, und werden durch hölzerne, steinerne oder eiserne Pfosten (Griesständer) gegen den Wasserdruck gehalten und in denselben geführt. Die Schützen werden aus Holz oder Eisen hergestellt. Zum Ausziehen verwendet man Aufzugsstangen, Schraubenspindeln, Zahnstangen, Flaschenzüge und Krane.

Dammbalkenwehre, aus wagerecht auseinander gelegten Balken bestehend, werden bei großen Öffnungen angewendet. Wenn es zulässig ist, das Schließen und Öffnen des Wehres langsam vor sich gehen zu lassen, so werden die Balken in den beiderseitigen Widerlagern in Nuten eingelegt. Will man rasch öffnen, dann muß auf einer Seite ein Setz- oder Drehpfosten die Balken halten, auf der andern Seite ist eine erweiterte Nute, so daß die Balken nach Wegnahme des Drehpfostens flußabwärts abschwimmen können. Damit sie nicht davonschwimmen, hängt man sie an Ketten.

Beim Nadelwehr wird der Verschluß durch etwas schrägstehende schmale Bohlen (Nadeln) hergestellt. Ein Falz in der Flußsohle und oben ein Balken dienen den Nadeln als Anlehnung. Die Stärke der Nadeln richtet sich nach der Höhe des Wasserstandes, und ihre Breite wird bestimmt durch die Rücksichtnahme, daß ein Mann die Nadeln einsetzen muß. Der obere Stützpunkt der Nadeln wird durch einen widerstandsfähigen Steg quer durch den Fluß gehend hergestellt; der Steg kann Pfeiler oder Joche erhalten. Wo diese wegen der Hochwasserstände nicht stehen bleiben können, treten an ihre Stelle sogen. Wehrböcke, d. h. eiserne Rahmen, die ganz in die Sohle niedergelegt werden können (Bauart Poirée, Fig. 1). Die Nadelwehre lassen sich rasch beseitigen, ihre Wiederaufstellung erfordert aber großen Zeit- und Kraftaufwand.

Rasch zu beseitigen und ebenso rasch wieder auszurichten sind die Klappenwehre. Der Verschluß besteht hier aus einzelnen Tafeln, die um eine wagerechte Welle drehbar sind. Die ältesten von Thenard erbauten Klappenwehre wurden gebildet aus einer, bez. zwei Klappen mit Stützen; die Stützen lassen sich wegschieben, die aufrechtstehenden Klappen fallen um, und der Stau hört auf.

Fig. 1. Nadelwehr von Poirée.
Fig. 1. Nadelwehr von Poirée.

Selbstwirkende Klappenwehre sind so angeordnet, daß der Wasserdruck bei niedrigem Stande sie geschlossen hält, dagegen das W. öffnet, wenn höhere Wasserstände eintreten. Großes Verdienst um die Ausbildung derartiger Klappenwehre hat sich namentlich Chanoine erworben. Klappenwehre, die durch Benutzung des Wasserdrucks ausgerichtet und niedergelegt werden, hat bereits 1818 Josiah White im Lehighfluß in Pennsylvanien gebaut. Klappenwehre sind in Frankreich viel gebaut und durch die von Caro in Vorschlag gebrachten Gelenkklappen wesentlich verbessert worden.

Fig. 2. Trommelwehr.
Fig. 2. Trommelwehr.

Eine weitere Vervollkommnung der Klappenwehre bilden die Trommelwehre, die von Desfontaines erfunden wurden und bis heute angewendet werden. Der Vorteil der Trommelwehre den Klappenwehren gegenüber besteht darin, daß der Wasserdruck bei ihnen mit größerer Sicherheit auf die in der Trommel sich bewegende Klappe übertragen wird, welche die mit ihr verbundene, auf der nämlichen Welle sitzende Stauklappe mitnimmt (Fig. 2). Der Klappenstau besteht aus einer nachgiebigen Klappe, die aus schmalen Holzstreifen mit Lederbeschlag zusammengesetzt ist, und kommt fast nur in Moorkanälen vor. Die Kähne gleiten über die Klappe hinweg, indem sie dieselbe niederdrücken, und der Druck der Strömung richtet sie wieder auf. Das Rollladenwehr setzt sich aus wagerecht aneinander gelegten Holzstäben zusammen, die mit Gelenken verbunden sind und mittels Ketten in die Höhe gezogen und über Böcke gelegt werden. Die Rolladen sind sehr dicht, und man kann mit ihnen große Stauhöhen erreichen.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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