Wasserleitungen

Wasserleitungen

Wasserleitungen (hierzu Tafel »Wasserleitungen« mit Text), Anlagen zur Versorgung von Ortschaften mit gutem, reinem Wasser, das aus größerer oder geringerer Entfernung zugeleitet werden muß. Derartige Anlagen wurden in großartigem Maßstabe schon von den Alten, namentlich von den Römern, ausgeführt (vgl. Aquädukt). Das Mittelalter ließ diese Anlagen verfallen und beschränkte sich auf die Brunnen innerhalb der Stadtmauern. Erst die letzten Jahrzehnte des 19. Jahrh. schufen neue W., während aber das Altertum nur gemauerte, gewöhnlich bedeckte Kanäle zur Leitung des Wassers benutzte, wendet man jetzt fast ausschließlich Röhrensysteme an und gewinnt dadurch die Möglichkeit, unter Anwendung von Druck das Wasser, das gewöhnlich durch Filtration gereinigt wird, auch in die obern Stockwerke der Häuser zu führen. Das zur Wasserversorgung der Städte zu benutzende Wasser muß eventuell nach der Filtration und anderweitiger Behandlung den Anforderungen entsprechen, die an gutes Trinkwasser (s. Wasser) gestellt werden. Ein großer Teil des Wassers wird zwar für Zwecke benutzt, für die auch minder reines Wasser genügt, indes erscheint es weder rentabel noch ratsam, eine besondere Leitung für derartiges Nutz- oder Brauchwasser auszuführen. Das Wasser wird Seen, Flüssen, Staubecken, Quellen etc. entnommen, indes ist man in neuester Zeit von der Benutzung des Oberflächenwassers vorwiegend zur Benutzung von Grundwasser übergegangen. Das Reichsgesundheitsamt hat 1905 Grundsätze für Anlage und Betrieb von Wasserwerken zur Beschaffung eines hygienisch einwandfreien Wassers aufgestellt, die bei Überwachung der öffentlichen Wasserversorgungsanstalten als Richtschnur dienen sollen. Über die Ausführung von W. s. beifolgende Tafel mit Text, und über die Reinigung des Wassers s. Wasserreinigung nebst Tafel mit Text.

Seitdem man die hohe Bedeutung einer reichlichen Versorgung der Städte mit gutem Wasser für die Gesundheit und Lebenshaltung der Bewohner erkannt hat, sind viele Städte mit W. versehen und dabei Einrichtungen getroffen worden, die eine Steigerung des Wasserverbrauchs in allen Schichten der Bevölkerung bezweckten. Die zunehmende Bevölkerung der Städte, das Anwachsen der Industrie, Verfeinerungen in der Lebenshaltung etc. haben aber den Wasserbedarf in den letzten Jahrzehnten so enorm erhöht, daß es heute, zumal bei der steigenden Boden- und Flußverunreinigung, oft sehr schwer fällt, genügende Mengen brauchbaren Wassers, die für absehbare Zeit vor Verunreinigung gesichert sind, in nicht zu großer Entfernung von den Versorgungsstellen zu finden. Der Wasserverbrauch zeigt ungemein starke Schwankungen. In 80 Städten (vorzugsweise deutschen, daneben österreichischen und schweizerischen) betrug der Hauswasserverbrauch für den Tag und Kopf 13–446 Liter, am häufigsten 40–60 Lit., mehrfach 60–80, nicht allzuoft über 100 Lit. Dabei schwankt der Verbrauch nach Jahres- und Tageszeit und nach den Verhältnissen der Bevölkerung. In Berlin betrug der Verbrauch für den Tag und Kopf 1904. 82,1 Lit., 1905: 83,3 und 1906: 85,12 Lit. In Bezirken mit wohlhabender Bevölkerung beträgt der Verbrauch für den Kopf mehr als 20mal soviel wie in Bezirken mit armer Bevölkerung. Der größte Tagesbedarf beträgt etwa das 1,5fache des durchschnittlichen Tagesbedarfs und der größte Stundenbedarf 10 Proz. des letztern. In England und namentlich in Amerika ist der Wasserverbrauch erheblich größer als in Deutschland. Der Verbrauch für gewerbliche Zwecke schwankt noch stärker als der für häusliche Zwecke, und er ist ebensowenig allgemein bestimmbar wie der für öffentliche Zwecke. Am größten ist der Wasserverbrauch, wo das Wasser in unbeschränkter Menge den Verbrauchern unentgeltlich verabfolgt wird, d. h. wo die Kosten desselben aus den gewöhnlichen städtischen Einnahmen gedeckt werden und keine besondere Wasserabgabe erhoben wird. Diese Fälle bilden die Ausnahme; wo eine Wasserabgabe erhoben wird, ist die Bezahlungsweise und ihre Höhe sehr verschieden. Es kommen vor: Erhebung der Wasserabgabe in Form eines festen Zuschlags zur Gebäudesteuer, Erhebung einer besondern Abgabe, bemessen nach dem Mietwert oder der Wohnungsgröße oder nach der Kopfzahl der Bewohnerschaft eines Hauses, endlich lediglich nach der Höhe des Wasserverbrauchs mit steigender oder fallender Preisskala und ohne Rücksicht auf den Gebrauchszweck des Wassers. Der geringste Wasserverbrauch tritt ein, wenn nach Verabfolgung eines gewissen »normalen« Bedarfs gegen normalen Einheitspreis ein etwaiger Mehrverbrauch nach progressiv steigenden Sätzen bezahlt werden muß. Folgende Übersicht zeigt die Verteilung des Wasserverbrauchs in sechs deutschen Städten mittlerer Größe mit großen Ungleichheiten im Gesamtcharakter:

Tabelle

Für gewisse Verbrauchszwecke ergeben sich nach Grahn und Thiem folgende Wassermengen für den Tag und Kopf:

Tabelle

Vgl. Curtius, Über städtische Wasserbauten der Hellenen (Berl. 1847); des Sextus Frontinus (s. d.) Schrift über die W. der Stadt Rom (deutsch von Dederich, Wesel 1841); Bauer, Die Wasserwerke Roms im Anfange der Kaiserzeit (Berl. 1876); Merckel, Die Ingenieurtechnik im Altertum (das. 1899); Lueger, Die Wasserversorgung der Städte (in »Der Städtische Tiefbau«, Bd. 2, Darmst. 1895); Östen und Frühling, Wasserversorgung der Städte (im 3. Bd. des »Handbuches der Ingenieurwissenschaften«, 4. Aufl., Leipz. 1904); Grahn, Die städtische Wasserversorgung im Deutschen Reich sowie in einigen Nachbarländern (Münch. 1898–1902, 2 Bde.); Iben, Tabellarische Zusammenstellung der Abgabebestimmungen, Wasserpreise etc. für die Wasserversorgung von 137 Städten (das. 1895); Riedler, Neuere Wasserwerkspumpmaschinen (Berl. 1900); König, Anlage und Ausführung von Wasserleitungen und Wasserwerken (4. Aufl., Leipz. 1907); Lange, Die Wasserversorgung der Gebäude (das. 1902); Macpherson, Waterworks distribution (2. Aufl., Lond. 1907); Turneaure und Russell, Public water supplies (New York 1901); Tudsbery und Brightmore, The principles of waterworks engineering (3. Aufl., Lond. 1905); »Journal für Gasbeleuchtung und Wasserversorgung« (Münch., seit 1878); »Der Hydrotekt« (Berl., seit 1902).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

Игры ⚽ Нужна курсовая?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Wasserleitungen — Bei der Gewinnung oder Entnahme des Wassers kommt es darauf an, welche Gewinnungsart die bequemste ist und ob das Wasser sich für den gegebenen Zweck am besten eignet. Von allem Nutzwasser, mit Ausnahme desjenigen, das zum Bewässern von… …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Pergamon Wasserleitungen — Um 200 hatte die antike Stadt Pergamon ca. 160 000 Einwohner, die über ein gut funktionierendes System mit Wasser versorgt wurden. Neben Zisternen gehörten zu dem System neun Wasserfernleitungen, davon sieben hellenistische Tonrohr und zwei… …   Deutsch Wikipedia

  • Aquädukt — Die römische Aquäduktbrücke „Pont du Gard“ in Südfrankreich Aquädukt bedeutet (aus dem lateinischen) Wasserleitung (von aqua = Wasser + ductus = Führung, Leitung; wörtl. übersetzt also „Wasserführung“). Inhaltsverzeichnis …   Deutsch Wikipedia

  • Aquadukt — Die römische Aquäduktbrücke „Pont du Gard“ in Südfrankreich (2002) Aquädukt bedeutet (aus dem lateinischen) Wasserleitung (von aqua = Wasser + ductus = Führung, Leitung; wörtl. übersetzt also „Wasserführung“). Inhaltsverzeichnis …   Deutsch Wikipedia

  • Aquaeduct — Die römische Aquäduktbrücke „Pont du Gard“ in Südfrankreich (2002) Aquädukt bedeutet (aus dem lateinischen) Wasserleitung (von aqua = Wasser + ductus = Führung, Leitung; wörtl. übersetzt also „Wasserführung“). Inhaltsverzeichnis …   Deutsch Wikipedia

  • Aquaedukt — Die römische Aquäduktbrücke „Pont du Gard“ in Südfrankreich (2002) Aquädukt bedeutet (aus dem lateinischen) Wasserleitung (von aqua = Wasser + ductus = Führung, Leitung; wörtl. übersetzt also „Wasserführung“). Inhaltsverzeichnis …   Deutsch Wikipedia

  • Aquäduct — Die römische Aquäduktbrücke „Pont du Gard“ in Südfrankreich (2002) Aquädukt bedeutet (aus dem lateinischen) Wasserleitung (von aqua = Wasser + ductus = Führung, Leitung; wörtl. übersetzt also „Wasserführung“). Inhaltsverzeichnis …   Deutsch Wikipedia

  • Rohre — werden aus Metallen oder andern Stoffen als lange, beiderseits offene Hohlzylinder hergestellt, die sich zu geraden Rohrsträngen oder mehrfach abgelenkten Rohrleitungen oder verzweigten Rohrnetzen verbinden lassen, um den Inhalt, in der Regel… …   Lexikon der gesamten Technik

  • Wasserleitung — Fließendes Wasser aus einem Wasserhahn Bei einer Wasserleitung handelt es sich um ein technisches System zum Transport von Wasser an Orte, an denen es auf natürlichem Wege nicht zur Verfügung steht. Inhaltsverzeichnis …   Deutsch Wikipedia

  • Wasserversorgung im Römischen Reich — Der Pont du Gard, der Nîmes mit Wasser versorgte. Die Wasserversorgung im Römischen Reich mit Wasserleitungen über Aquädukte gelten als typischer Bestandteil der römischen Kultur. Sie führten Wasser bis zu 100 km weit (zum Beispiel… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”