Vertrag

Vertrag

Vertrag (Contractus, Kontrakt), die übereinstimmende Willenserklärung zweier oder mehrerer Personen (Kontrahenten) zur Regelung gegenseitiger Rechtsverhältnisse. Verträge gibt es auf dem Gebiete des öffentlichen wie privaten, des formellen wie materiellen Rechts. Am häufigsten sind natürlich die des bürgerlichen Rechts, da sich das bürgerliche Leben fast ganz durch Verträge regelt. Man unterscheidet einseitige Verträge, bei denen nur für den einen Teil Verpflichtungen entstehen, z. B. die Schenkung (s. d.), und zweiseitige (gegenseitige, synallagmatische), bei denen für beide Teile Verbindlichkeiten begründet werden, z. B. Kauf, Miete. Soweit nichts Besonderes vorgeschrieben ist, sind Verträge an keine bestimmte Form (s. d.) gebunden. Sie kommen durch Stellung eines Antrags (Offerte), d. h. der einem andern gegenüber zum Zwecke eines Vertragsschlusses gemachten Willensäußerung und deren Annahme zustande. Wer einem andern gegenüber einen Vertragsantrag macht, ist daran gebunden, sofern er diese Gebundenheit nicht ausschließt, der Antrag erlischt aber, wenn er abgelehnt oder nicht rechtzeitig angenommen wird. Unter Anwesenden und bei telephonischem Verkehr erlischt der Antrag, falls er nicht auf der Stelle angenommen wird, unter Abwesenden, wenn er nicht rechtzeitig angenommen wird. Rechtzeitig bedeutet bis zu dem Zeitpunkt, in dem unter regelmäßigen Umständen der Eingang der Antwort erwartet werden kann oder falls eine Annahmefrist gestellt würde, innerhalb dieser Frist. Falls das verspätete Eintreffen der Annahmeerklärung offensichtlich, z. B. durch den Aufgabepoststempel, auf eine Unregelmäßigkeit in der Beförderung zurückzuführen ist, muß der Antragsteller dem Absender sofort die Verspätung mitteilen, sonst gilt die Annahme als nicht verspätet. Eine verspätete Annahme gilt als neuer Antrag, eine Annahme unter Erweiterung, Einschränkungen oder sonstigen Änderungen als Ablehnung, verbunden mit einem neuen Antrag. Die Annahme wird für gewöhnlich in dem Augenblick wirksam, wo sie dem Antragsteller rechtzeitig zugegangen ist (Empfangstheorie). Ausnahmsweise kommt ein V. jedoch durch bloße Annahme des Antrags zustande, wenn nach der Verkehrssitte eine Annahmeerklärung nicht zu erwarten ist, z. B. wenn sofortige Leistung verlangt wird, wenn der Antragende auf sie verzichtet. Wird ein V. gerichtlich oder notariell beurkundet, ohne daß beide Teile gleichzeitig anwesend sind, so kommt er, falls nichts andres bestimmt, mit der Beurkundung der Annahme zustande. Der Tod oder der Eintritt der Geschäftsunfähigkeit des Antragenden vor der Annahme hindert im Zweifel nicht das Zustandekommen des Vertrags. Solange die Parteien nicht über alle Punkte des Vertrags einig sind, gilt er im Zweifel als nicht geschlossen. Ebenso steht es, wenn eine Beurkundung verabredet wurde, solange sie nicht stattgefunden hat. Haben sich die Parteien über einen Punkt, der Gegenstand des Vertrags sein sollte, in Wirklichkeit nicht geeinigt, so gilt der V. nur dann, wenn anzunehmen ist, daß er auch ohne eine Bestimmung hierüber geschlossen sein würde. Bei einer Versteigerung kommt der V. erst durch den Zuschlag zustande. Bei Streitigkeiten über Verträge ist ihr Inhalt nach den Grundsätzen über Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte, d. h. nach der den Geschäftsverkehr tatsächlich beherrschenden Übung, auszulegen. Vgl. Bürgerliches Gesetzbuch, § 145–157. Bei gegenseitigen Verträgen ist für gewöhnlich Zug um Zug zu leisten, d. h. hie Geld, hie Ware, es sei denn, daß der eine der Kontrahenten vorzuleisten hat. Tritt nach Abschluß des Vertrags in den Vermögensverhältnissen des andern Teils eine wesentliche Verschlechterung ein, so kann der Gegner seine Leistung verweigern, bis die Gegenleistung bewirkt oder Sicherheit geleistet ist. Ist der eine der Kontrahenten mit der ihm obliegenden Leistung im Verzug, so kann ihm der andre Teil eine angemessene Frist zur Bewirkung der Leistung stellen, mit der Erklärung, daß er nach dem fruchtlosen Ablauf die Annahme der Leistung ablehnen werde. Nach Ablauf der Frist kann er Schadenersatz wegen Nichterfüllung verlangen oder vom V. zurücktreten, dagegen ist der Anspruch auf Erfüllung ausgeschlossen. Hat dagegen die Erfüllung des Vertrags infolge Verzugs für den andern Teil kein Interesse mehr, er hat sich z. B. zu einer Audienz einen neuen Frack bestellt, so hat er Schadenersatzanspruch und Rücktrittsrecht ohne Fristsetzung. Vgl. Bürgerliches Gesetzbuch, § 321 ff. Unter Verträgen zugunsten Dritter versteht man Verträge, in denen eine Leistung an einen Dritten derart versprochen wird, daß der Dritte unmittelbar das Recht erwirkt. die Leistung zu verlangen. Am häufigsten kommt dieser Fall im Lebensversicherungsvertrag vor, wenn dort die Leistung der Versicherungssumme an einen Dritten, gewöhnlich den Erben, vereinbart worden ist.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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