Venezuēla

Venezuēla

Venezuēla (Vereinigte Staaten von V.), Föderativrepublik in Südamerika (s. Karte »Peru etc.«), zwischen 0°50'-12°12' nördl. Br. und 60°30'-73°30' westl. L., grenzt nördlich an das Antillenmeer, nordöstlich an den Atlantischen Ozean, östlich an das britische Guayana, südlich an Brasilien und westlich an Kolumbien; es umfaßt 942,300 qkm. Das Land ist teils Gebirgs-, teils Tiefland. Das Gebirgsland läßt drei Systeme unterscheiden, deren erstes durch die Verzweigungen der Ostkordilleren von Kolumbien gebildet wird. Der Hauptzweig wendet sich von Pamplona aus nach ONO. und bildet die alpine Region der Republik als eine breite, kompakte Gebirgsmasse mit einigen die Schneelinie erreichenden Gipfeln, wie die Sierra Nevada de Merida (4581 m), die Paramos von Muenchies (4230 m), Salado (4220 m), Conejos (4180 m). Das zweite System, das des von W. nach O. streichenden Küstengebirges, bildet ein für sich bestehendes Gebirgssystem, das die schönsten und kultiviertesten Striche des Landes enthält, und besteht aus einer doppelten Kette, deren mittlere Erhebung aber nur 1650 m bei 110–220 km Breite beträgt. Der östliche Teil des Gebirges (das Gebirgsland von Cumaná) hat ebenfalls die doppelten, durch ein Querjoch verbundenen Ketten, die bis zum Pariagolf reichen. Die nördliche Küstenkette steigt gegen ihr östliches Ende hin nahe bei Caracas in der Silla de Caracas bis 2665 m und in dem Gipfel von Naiguata zu 2782 m auf. In der südlichen Kette erhebt sich im Ostteil der Turumiquiri (2048 m). Parallel den eben erwähnten beiden Ketten dieses Gebirges ist noch eine nördlichere, größtenteils submarine Kette, die in den der Küste vorliegenden Inseln, in den felsigen Vorgebirgen der Provinz Coro und in der Sierra Aceite auf der Halbinsel Goajira westlich vom Golf von Maracaibo in ihren höchsten Spitzen hervortritt und an mehreren Punkten (Macanao, Copey, Aceite, San Luis) 1000–1300 m ü. M. erreicht. Das dritte, völlig isolierte System ist das der Sierra Parima (s. Parima). Die Form der Tiefebene tritt in V. in eigentümlich ausgeprägtem Charakter auf in den Llanos und Sabanas. Die Llanos (s. d.) dehnen sich von dem südlichen Abfall der Küstengebirgskette und der Kordillere von Mérida bis zu den Urwäldern Guayanas aus. Nach W. Sievers gehört nur die Kordillere von Mérida, die Sierra de Perijá und das Gebirgsland von Coro zum Kordillerensystem, während die Karibischen Gebirge von Mittel- und Ostvenezuela ein älteres, selbständiges Gebirge darstellen. Vulkane fehlen, Erdbeben jedoch sind nicht selten und mitunter sehr heftig (vgl. Caracas). Durch die Llanos des Orinoko zerfällt V. in zwei in bezug auf die geologischen Verhältnisse verschieden gebaute Gebiete. Der südlich von den Llanos gelegene Teil gehört zu der sogen. brasilischen Masse, er besitzt den gleichen Bau wie Guayana: über gefalteten kristallinischen Schiefern dehnen sich horizontal geschichtete, wahrscheinlich paläozoische Sandsteine aus. Dagegen ist der nördlich von den Llanos gelegene große Gebirgszug, die Sierra Nevada de Mérida und das Karibische Gebirge, ein Faltengebirge von dem gleichen Bau wie die Anden von Kolumbien. Beide bestehen aus Gneis und kristallinischen Schiefern, welche die Hauptachse des Gebirges bilden, und aus Sandsteinen, Schiefern und Kalksteinen der Kreideformation sowie aus Tertiär, welche die randlichen und zumal die unter die Llanos hinabtauchenden südlichen Ketten zusammensetzen. Auch Glazialbildungen sind aus den Anden von Mérida beschrieben worden. Unter den nutzbaren Mineralien nimmt das Kupfer (aus den Gruben von Aroa) die erste Stelle ein. Gold findet sich im Sande des Yuruarí und andrer Flüsse in Venezolanisch-Guayana, auch auf Quarzgängen bei Callao am Yuruarí (1886–89 wurden 67,952 kg im Werte von 165,6 Mill. Mk., 1892 aber nur noch 1521 kg im Werte von 3,7 Mill. Mk. gewonnen). Bleierze werden bei Carúpano, Kohlen bei Naricual in Barcelona abgebaut. Auch Zinn- und Eisenerze kommen vor. Erdöl dringt aus Kreideschichten am See von Maracaibo hervor. Die Bewässerung ist sehr reich, und zwar sind zu unterscheiden das Gebiet des Orinoko, dem fast 4/7 des Landes angehören, das des Cuyuní (Essequibo), des Rio Negro, des Sees von Maracaibo und Paria und das maritime Becken oder das der Küstenflüsse des Antillenmeers. In klimatischer Beziehung nimmt die heiße Region (tierra caliente) in V. den weitaus größern Teil des Landes ein. Sie reicht bis zu ungefähr 700 m ü. M. und hat eine Durchschnittswärme von 26°. Die gemäßigte Region (tierra templada) liegt zwischen 700 und 2000 m; die wärmsten Monate sind April und Mai (mit selten mehr als 25°), die kühlsten Dezember und Januar, Caracas (927 m hoch) Jahr 21,8°, Januar 21,8°, Mai 23,3°, mittlere Jahresextreme 26,5 und 14,3°. Die kalte Region (tierra fria) endlich reicht von 2000 m bis zur Schneegrenze, die in V. zwischen 6 und 8° nördl. Br. in einer Höhe von 4520 m liegt, jedoch in kühlern Jahren um 400 m tiefer sinkt. Die mittlere Temperatur beträgt hier 2–3°. Vorherrschende Winde im Sommer Nordost, im Winter Süd und Südost. In den Llanos des Südens fällt die Regenzeit auf Mai bis Oktober, während im Gebirge zwar in allen Monaten Regen fällt, aber doch eine eigentliche, auf die Monate Juni bis November sich erstreckende Regenzeit sich geltend macht. Im allgemeinen ist das Klima in V. nicht ungesund zu nennen. Auch in der heißen Küstengegend tritt das gelbe Fieber nur selten auf. In der Vegetation zeigt das Gebiet des Orinoko den ausgesprochenen Charakter der südamerikanischen Savannen: Grasfluren, untermischt mit tropischen Holzgewächsen sowie vielen Epiphyten und Schlingpflanzen. Doch sind die Savannen von V. einförmiger als diejenigen von Guayana und mitunter ohne allen Baumwuchs. Wo das Wasser auch während der trockenen Jahreszeit ausdauert, entwickelt sich ein reicher Tropenwald von Palmen (Mauritia), Farnen und Scitamineen. Charakteristisch für die ebenen Flächen der Llanos sind die Proteazee Roupala, die Malpighiazee Byrsonima verbascifolia, daneben Leguminosen (Swartzia) und Gruppen von Fächerpalmen (Copernicia tectorum), die herrschenden Gräser sind Chlorideen, Festukazeen und die Cyperazee Kyllingia. Darunter mischen sich Mimosen und Stauden, die zur Regenzeit das üppige Grün des Rasens mit Blüten schmücken, zu denen Myrtazeen und Malpighiazeen beisteuern. In der regenlosen Zeit von Oktober bis April gleicht die Savanne einer pflanzenlosen Wüste. Die Küstenkette von V. ist wenig bewaldet, in den Gebirgen wächst der Kuhbaum (Galactodendron). Zoologisch gehört V. zur brasilischen Subregion der neotropischen Region und besitzt fast alle Charaktertiere dieses an Tieren überraschend reichen Gebietes (s. Neotropische Region). Die Vogel- wie die Insektenwelt zeichnet sich durch Farbenreichtum und Farbenpracht aus. Unter den Insekten treten auch häufig die Moskitos auf.

[Bevölkerung.] Die Einwohnerzahl hat sich in den letzten Jahren sehr schnell vermehrt; sie betrug 1810 nach Humboldt erst 800,000 und 1825 nach dem Unabhängigkeitskrieg sogar nur 660,000, dagegen 1854 bereits 11/2, 1905 über 21/2 Mill. (bedeutend mehr Frauen als Männer) in 13 Staaten, 5 Territorien und dem Bundesdistrikt: Aragua 152,364, Bermudez 364,158, Bolivar 56,119, Carabobo 221,891, Falcón 173,968, Guárico 78,117, Lara 272,252, Mérida 121,593, Miranda 142,959, Táchira 135,534, Trujillo 184.861, Zamora 225,620, Zulia 172,579, Territorien (Amazonas 49,105, Colón 2933, Cristobal Colon 9754, Delta Aracuro 7683, Yuruari 23,837), zusammen 93,312 und Bundesdistrikt 207,165 Einw., wozu noch 2 Kolonien Independencia (früher Guzman Blanco) und Bolivar mit unbekannter Bevölkerungszahl treten, also in Summa 2,602,492 Einw. Diese Einteilung ist die alte, wie es scheint, im allgemeinen gebräuchliche. Doch wurde seit 1899 eine neue offiziell eingeführt, und zwar die territoriale Einteilung von 1864 wiederhergestellt, die (alte Namen in Klammern) unterscheidet: 1 Bundesdistrikt; 20 Staaten: Maracaibo (Zulia), Coro (Falcon), Lara (Barquisimeto), Trujillo, Mérida (Guzman), Tachira, Zamora, Apure, Portuguesa, Cojédes, Yuracuy, Carabobo, Miranda (Guzman Blanco), Sucre (Bolivar), Guárico, Barcelona, Aragua (Maturin), Cumana, Nueva Esparta, Guayana; 4 Territorien (Colon, Goajira, Yuruari, Amazonas) und die beiden oben genannten Kolonien. Die Indianer schätzt man auf 325,000, davon 240,000 zivilisierte, 20,000 in festen Wohnsitzen Untergebrachte und mehr als 60,000 noch in voller Ungebundenheit Lebende. Mulatten und Sambos bilden 93, Indianer 4, Europäer 2 und Kreolen 1 Proz. der Bevölkerung. Der Elementarunterricht ist frei, und dem Gesetz gemäß herrscht Schulzwang, doch sind über drei Viertel der Bevölkerung Analphabeten. Es bestehen drei Universitäten zu Carácas, Mérida und Maracaibo, von denen indes nur die erste diesen Namen verdient, eine Polytechnische Schule und 5 Lehrerseminare. Staats religion ist die katholische mit einem Erzbischof in Caracas, Bischöfen in Barquisimeto, Calabozo, Guayana und Mérida, doch sind alle andern Bekenntnisse geduldet. Seit 1873 sind Zivilehe und Zivilstandsregister eingeführt. Die (1894) 3515 Protestanten waren fast alle eingewanderte Ausländer. Die Einwanderung ist gering.

[Erwerbszweige etc.] Das Land zerfällt seiner physikalischen Beschaffenheit nach in eine Zone des Ackerbaues, eine Zone der Weiden (Llanos) und eine Zone der Urwälder (Selvas). Die wichtigsten Erzeugnisse des Ackerbaues sind Mais, das Hauptnahrungsmittel des Volkes, der vier Ernten im Jahr ergibt, Kaffee und Kakao, während der Bau von Tabak und Baumwolle sehr abgenommen, der von Indigo ganz aufgehört hat. Auf Kaffee und Kakao beruht hauptsächlich das Wirtschaftsleben des Landes; vom Preise des Kaffees hängen Wohlstand und Verarmung ab. Zucker, Reis, Weizen, Gerste, die V. in Menge erzeugen könnte, müssen eingeführt werden. Auf den ausgedehnten Llanos wird fast ausschließlich Viehzucht betrieben. In den Wäldern sammelt man Tonkabohnen, Kautschuk, Sassaparille, Kopaivbalsam, mittelmäßige Chinarinde, auch beutet man einigermaßen die vortrefflichen Holzarten aus. Der Fischreichtum in den Flüssen und im Meer ist sehr groß, aber ihm wird nicht genügend Beachtung geschenkt. Die Industrie steht noch auf niedriger Stufe und beschränkt sich auf grobe Baumwollenstoffe, Hängematten, Strohhüte, Tongeschirre, Musikinstrumente, in neuester Zeit entstanden in den Städten jedoch auch Fabriken für Zündhölzer u. a. Der Handel leidet unter dem Mangel an guten Straßen, doch betrug die Länge der Bahnen 1905: 870 km (die Bahnen La Guaira-Caracas und Puerto Cabello-Valencia sind britische Gründungen, die Bahn Carácas-Valencia [196 km] ist mit deutschem Geld erbaut). Die Haupthäfen sind Ciudad Bolivar, La Guaira, Puerto Cabello, Maracaibo, letzteres steht für die Ausfuhr an erster Stelle. Für den Handel, bei dem zu berücksichtigen ist, daß 1898 das kritische Jahr infolge des Fallens der Kaffeepreise war und das Revolutionsjahr 1902 sowie die Kämpfe mit Kolumbien ihn ungünstig beeinflußt haben, stellen sich die Zahlen für die Einfuhr 1902/03 auf: 28,108,804, 1903/04: 59,460,227, 1904/05: 48,434,143 Bolivares; die Ausfuhr zu gleichen Zeiten auf: 39,651,606, 80,694,142, 72,516,051 Bolivares (über den Bolivar s. unten). Den Hauptanteil an der Ausfuhr haben Kaffee und Kakao (fast zwei Drittel der Gesamtsumme). Neuerdings haben die Vereinigten Staaten England und Deutschland überholt in Einfuhr und Ausfuhr; doch spielen die Europäer in V. die ausschlaggebende Rolle.

Das Maß- und Gewichtssystem ist dem Gesetze nach metrisch; aber man bedient sich vielfach altkastilischer Größen mit etlichen Abweichungen: 1 Vara = 84,772 cm, daneben das englische Yard, auch das Weingallon von 3,785 Lit., 1 Quintal Kaffee = 46 kg, 1 Fanega Kakao = 50,6 kg. Im Münzwesen gilt seit Juni 1887 die lateinische Münzkonvention mit dem Bolivar (B) zu 100 Centimos = 1 Frank oder 81 Pfennig der Talerwährung als Münzeinheit; im Fremdverkehr teilt man auch den Venezolano von 1871 (V, Peso de oro von 1857) in 8 Reales statt 5 Bolivares. Nach dem Gesetz vom 9. Juli 1891 werden auswärts Stücke zu 5, 2, 1, 1/2 und 1/4 Bolivar in Silber, zu 121/2 und 5 Centavos in Nickel geprägt.

[Staatsverfassung.] Nach der Verfassung vom 27. April 1904 werden der Präsident, der aus 40 Mitgliedern bestehende Senat und die Abgeordnetenkammer auf 6 Jahre gewählt. Die Einnahmen und Ausgaben balancierten für das Finanzjahr 1905/06 mit 55,000,000 Bolivares, die Staatsschuld betrug 233,991,722 Bolivares. Das stehende Heer zählt nach der Verordnung vom 10. Aug. 1904: 7600 Mann, 3 Kanonenboote, 1 bewaffnetes Transport-, 1 bewaffnetes Schleppschiff und 1 Torpedoboot, das Personal aus 1 Bataillon Marinesoldaten.

Das Wappen s. auf Tafel »Wappen III«. Orden s. auf Tafel »Orden III«, Fig. 11, und dazu gehöriger Textbeilage, S. V. Landesfarben sind Gelb, Blau und Rot. Die Kriegsflagge ist horizontal gestreift mit sechs weißen Sternen, kranzförmig inmitten des blauen Streifens um einen siebenten geordnet. Im obern gelben Streifen am Flaggstock erscheint das Wappen: der Schild ist halbgespalten und im Bogen geteilt; oben rechts in Rot eine goldene Garbe, links in Gold zwei silberne Säbel mit zwei Fahnen gekreuzt, unten in blau ein nach links laufendes, zurücksehendes silbernes Pferd. Die Handelsflagge führt kein Wappen (s. Tafel »Flaggen I«).

Vgl. M. Tejera, V. pintoresca (Par. 1875, 2 Bde.); Spence, The land of Bolivar (Lond. 1877, 2 Bde.); Appun, Unter den Tropen, Bd. 1: V. (Jena 1870); Sachs, Aus den Llanos (Leipz. 1878); Sievers, Venezuela (Hamb. 1888), Zweite Reise in V (das. 1896, mit Karte) und V. und die deutschen Interessen (Halle 1903); Pappafava, Die Vereinigten Staaten von V. (Verfassung, Innsbr. 1896); Scruggs, The Columbian and Venezuelan republics (2. Aufl., Boston 1905); »V., geographical sketch, natural resources, laws, etc; issued by the Bureau of American Republics« (Washingt. 1904); Suarez, Los extranjerosen V. (die Rechtsverhältnisse der Ausländer betreffend, Carácas 1905); Reiseschilderungen von Curtis (Lond. 1896), W. E. Wood (das. 1897), Triana (das. 1902), P. F. Martin (das. 1905); »Statistischer Jahresbericht über die Vereinigten Staaten von V.« (amtlich, Carácas); Karte von Tejera (Par. 1877).

[Geschichte.] Die Küste von V. ward 1498 von Kolumbus entdeckt und 1499 von Vespucci und Hojeda nach einem auf Pfählen erbauten Dorf bei dem jetzigen Coro V. (»Kleinvenedig«) benannt. Die ersten Besiedelungsversuche wurden in V. seit 1528 von den Augsburger Welsern gemacht, die eine ganze Reihe von Expeditionen (s. Dalfinger) in das Binnenland entsandten, die wirtschaftliche Erschließung des Küstenlandes aber nicht ausreichend wahrnahmen, so daß ihre Konzession 1552 für verfallen erklärt wurde. Weiterhin entwickelte sich V. als Generalkapitanat Carácas hauptsächlich durch seine Viehzucht, daneben auch durch Plantagenbau. Bereits 1810 sagte sich V. von dem Mutterland los und proklamierte 5. Juli 1811 seine Unabhängigkeit als Konföderation von V. Zweimal, 1811 und 1814, ward es von den Spaniern wieder unterworfen, zweimal von Bolivar (s. d.) wieder befreit und durch die Verfassung vom 17. Dez. 1819 mit Neugranada und Quito zu dem Bundesstaat Kolumbien (s. d.) vereinigt, von dem sich V. aber 1830 wieder losriß, um fortan als Republik V. einen selbständigen Staat zu bilden. Der erste Präsident der neuen Republik war José Antonio Paëz, dessen Tätigkeit vornehmlich die Erhaltung von Ruhe und Ordnung zuzuschreiben war. Der zweite Präsident war (seit 1835) Vargas, dem Paëz 1839 wieder folgte. Unter Carlos Soublette wurde 20. April 1843 eine Reform der Verfassung vom 14. Sept. 1830 bewirkt und durch den Madrider Vertrag vom 30. März 1845 die Unabhängigkeit der Republik V. von Spanien anerkannt. Mit Ausnahme eines kurzen Bürgerkriegs 1835 genoß die Republik innern Frieden; nur brach 1846 ein Rassenkrieg zwischen der weißen und farbigen Bevölkerung aus, den Paëz mit diktatorischer Gewalt unterdrückte. Von 1847 ab aber ward dies anders. Als der Präsident Tadeo Monagas bei dem Kongreß auf Widerstand stieß, trieb er unter Blutvergießen die Abgeordneten auseinander, machte sich zum Diktator und nötigte Paez und seinen Anhang zur Auswanderung. Unter ihm und seinem Bruder Gregorio, die sich bis 1858 an der Spitze von V. behaupteten, bekämpften sich Föderalisten und Oligarchen fast unausgesetzt, so daß das Land von allem Kulturfortschritt abgeschlossen blieb. Erst 1858 zwang der General Juliano Castro den Monagas zur Abdankung, berief einen Nationalkonvent und gab dem Land eine neue Verfassung, die am 29. Jan. 1859 verkündigt wurde, aber den Zwiespalt zwischen den Parteien nicht beendigte. Im August ward Castro gestürzt und Tovar zum Präsidenten gewählt. Aber schon im August 1860 veranlaßten die Föderalisten neue Unruhen, und nachdem Tovar die Präsidentschaft niedergelegt hatte, ward Paez als Diktator ausgerufen. Trotzdem dauerte der Bürgerkrieg fort, und erst 23. März 1863 kam zu Cocha bei Caracas zwischen den Föderalisten und der Regierungspartei ein Friedensvertrag zustande, wonach aus jeder Provinz vier (von jeder Partei zwei) Repräsentanten zur Wahl eines neuen Präsidenten einberufen werden sollten. Diese erwählten 17. Juni den General Falcon, das Haupt der Föderalisten, zum provisorischen Präsidenten, und dieser berief eine Konstituierende Versammlung, welche die neue Föderativverfassung vom 28. März 1864 ausarbeitete, durch die V. in einen Staatenbund (Vereinigte Staaten von V.) verwandelt wurde. Auf dem Kongreß in Carácas im März 1865 wurde Falcon zum Präsidenten erwählt. Im Februar 1868 brach jedoch abermals eine weitverzweigte Revolution aus, und der Bürgerkrieg schwankte, das Land schrecklich verwüstend, unentschieden hin und her, bis der General Antonio Guzman Blanco, ein Anhänger der föderalistischen Partei, im April 1870 sich in der Hauptstadt Caracas zum provisorischen Präsidenten der Republik erklärte. Guzman Blanco ward auf die Zeit vom 20. Febr. 1873 (bis dahin hatte er diktatorische Gewalt ausgeübt) bis 20. Febr. 1877 zum Präsidenten der Republik erwählt. 1874 ward eine neue Verfassung vereinbart. Der neue Präsident führte ein kräftiges Regiment. Wenn er auch die ungeheure, leichtsinnig kontrahierte Schuldenlast nicht ohne weiteres beseitigen konnte, so begann er doch die Zinsen der auswärtigen Schuld wieder zu bezahlen, trat den Anmaßungen der Geistlichkeit entgegen, hob 1874 die Klöster auf, ließ 9. Mai 1876 durch den Kongreß sogar die Konstituierung einer Nationalkirche von V. beschließen und beendigte den Konflikt mit den Niederlanden, deren Schiffen er die Häfen von V. wegen des von Curassao aus betriebenen Schmuggels verboten hatte, auf ehrenvolle Weise. Nachdem von 1877–79 drei verschiedene Präsidenten rasch wieder gestürzt worden waren, wurde im Mai 1879 Guzman Blanco wiederum zum Präsidenten erhoben. Blanco regierte bis 1884 und nach der kurzen Präsidentschaft des Generals Crespo (1884–86) wieder bis August 1887, worauf er die Präsidentschaft an Lopez abgab. In diese Zeit fällt das Aufblühen Venezuelas, das unter der aufgeklärten Diktatur Blancos eine geachtete Stellung erreichte. Sein direkter Nachfolger, Rojas Paul, blieb in denselben Bahnen; als aber 1892 Palacio den Versuch machte, die Verfassung von 1881 zu stürzen, um sich an der Spitze zu behaupten, erhob sich ein Teil des Kongresses unter Führung des Generals Crespo; Palacio floh nach Europa, und nach Verkündigung einer neuen Verfassung (21. Juni 1893) wurde Crespo 1894 zum Präsidenten bis 1898 erwählt. Die Ruhe kehrte aber nicht in V. zurück. Crespo hatte während seiner ganzen Amtszeit mit Aufständen zu kämpfen, und sein Nachfolger, Andrade, wurde schon im Mai 1899 von einer Militärrevolte unter Castro gestürzt, der sich zwar anfangs nur mit Mühe gegen andre Präsidentschaftskandidaten behauptete, schließlich aber in einer für Europäer fast unverständlichen Weise seine Herrschaft über V. befestigt hat. Unter ihm kam 3. Okt. 1899 der Grenzstreit mit England zum Austrag, den das Schiedsgericht zugunsten Venezuelas entschied. Dagegen stürzte Castro das Land mutwillig in diplomatische Konflikte, indem er die amerikanische Asphaltgesellschaft und die deutsche Eisenbahngesellschaft ihrer vertragsmäßigen Rechte beraubte, englische Schiffe mit Beschlag belegte u. a. Diese Herausforderungen veranlaßten schließlich eine internationale Vereinbarung zu einer Blockade der Häfen Venezuelas im Winter 1902/03, bei der besonders Deutschland in den Vordergrund trat. Allein der Vertrag, zu dem V. gezwungen wurde, blieb ein totes Stück Papier, und Castro setzt unter geschickter Ausnutzung der internationalen Eifersüchteleien sein aller Gerechtigkeit Hohn sprechendes Verfahren gegen die Ausländer fort und findet dafür trotz gelegentlicher Aufstandsversuche im Volk einen Rückhalt. 1905 führten die Vereinigten Staaten einen unglücklichen diplomatischen Feldzug gegen V. zum Schutz ihrer Untertanen. Über die Geschichte vgl. Tejera, Compendio de la historia de V. (1875); Baralt und Urbaneja, Historia de V., 1498–1831 (Carácas 1865); Oviedo y Baños, Historia de la conquista y población de la provincia de V. (Madr. 1885, 2 Bde.); Heredia, Memorias sobre las revoluciones de V. (Par. 1895); Landaeta Rosales, Los gobiernos de V. desde 1810 hasta 1905 (Caracas 1905); Hantzsch, Deutsche Reisende des 16. Jahrhunderts (Leipz. 1895); Dawson, The South American republics, Bd. 2 (New York 1904); Humbert, Les origines vénézuéliennes (Bordeaux 1905); Gil Fortoul, Historia constitucional de V. (Bd. 1, Berl. 1907).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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