Bertillonsches System

Bertillonsches System

Bertillonsches System (Bertillonage, anthropometrisches Signalement, Identifikation), ein anthropometrisches Verfahren, das von A. Bertillon (s. d. 2) herrührt und den Zweck verfolgt. die Identität einer Person auf Grund gewisser anthropologischer Merkmale, die früher an ihr festgestellt worden sind, nachzuweisen. Es besteht in der Aufnahme bestimmter körperlicher Merkmale, denen eine gewisse Konstanz für das ganze Leben zukommt. Als solche betrachtet Bertillon 1) Kopflänge, 2) Kopfbreite, 3) Mittelfingerlänge, 4) Fußlänge, 5) Unterarmlänge, 6) Kleinfingerlänge. Weniger konstant, aber immer noch innerhalb sehr geringer Grenzen schwankend, sind weiter 7) die Höhe des gesamten Körpers (die Berliner Maßmethode zieht die Jochbeinbreite vor), 8) die des Oberkörpers, 9) die Armspannweite sowie 10) die Höhe und 11) die Breite des linken Ohres. Die angeführten 11 Maße genügen vollständig zu einer exakten Identifikation; sie ermöglichen 177,147 Kombinationen. Da Bertillon außerdem noch 7 verschiedene Merkmale am Auge, die auf der Intensität und Pigmentation der Regenbogenhaut beruhen, mit verwertet, so steigt die Zahl der Möglichkeiten auf 1,240,029. Weiter werden die Beschaffenheit der Nase, der Kopf- und Barthaare, sowie Farbe derselben, etwaige Narben, Muttermäler, Tätowierungen und andere in die Augen fallende Abnormitäten bei dem Signalement registriert, das schließlich noch durch Hinzufügung zweier photographischer Aufnahmen (von vorn und von der Seite) sowie des Namens, Vornamens, Pseudonyms, Alters etc. vervollständigt wird. Das Resultat des anthropometrischen Signalements wird sogleich auf Meßkarte mittels vereinbarter Abkürzungen verzeichnet; die Karten selbst werden nach einem bestimmten Prinzipe sortiert in Kästchen und diese wieder in Fächer verteilt, so daß das Herausfinden einer Person, um ihre etwaige Identität mit einer früher gemessenen bekannten Person festzustellen, sehr schnell gelingt. Das B. S. soll vor allem ermöglichen, die Persönlichkeit rückfälliger Verbrecher, die unter anderem Namen eingeliefert werden, festzustellen. Es erweist sich aber auch in sozialer, juristischer, forensisch-medizinischer etc. Hinsicht nützlich, sobald es sich darum handelt, Zweifel über die Identität einer Person mit einer andern zu beseitigen. (Ausweis vor Gericht, auf Reisepässen, Signalement auf Steckbriefen, Feststellung eines entwichenen Geisteskranken, eines Verunglückten, vom Schlage Getroffenen, einer aufgefischten Leiche u. a. m). Auf Anregung von Bertillon ist sein Meßverfahren in fast allen europäischen und außereuropäischen Kulturstaaten eingeführt worden. Es wird in 60 deutschen Städten geübt, und die Zentrale in Berlin steht in direktem Verkehr und Meßkartenaustausch mit den Zentralen des Auslandes. Das Instrumentarium zu den Messungen besteht in einem Tasterzirkel, einem großen und einem kleinen Stangenzirkel, einem 0,4 m hohen Holzsessel, einem 1,1 m hohen Tischchen und einer Wandbekleidung aus Holz, die sowohl in der Vertikalen, wie auch in der Horizontalen Millimetereinteilung und einen in der Senkrechten verschiebbaren Galgen besitzt. Einen weitern Ausbau erfuhr das B. S. durch Georges B., wodurch die Möglichkeit erbracht wird, aus den Kleidungsstücken einer Person (Schuh, Hut, Beinkleider, Rock, Handschuh) mit annähernder Sicherheit die betreffenden Knochenlängen zu berechnen. Vgl. die »Instructions signalétiques« von Alphons Bertillon (s. d. 2); Georges Bertillon, »De la reconstruction du signalement anthropométrique an moyen des vêtements« (Lyon 1892); Klatt, Die Körpermessung der Verbrecher nach Bertillon (Berl. 1902).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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