Ungarn

Ungarn

Ungarn (hierzu Karte »Ungarn, Galizien und Bukowina«, mit Textblatt; magyar. Magyarország, spr. mádsar órßāg, »Magyarenland«, türk. Magyaristan, lat. Hungaria, franz. Hongrie, engl. Hungary), Königreich, das die östliche, größere Hälfte des Gebietes der Österreichisch-Ungarischen Monarchie bildet, erstreckt sich von 44°6'–49°38' nördl. Br. und von 14°24' bis 26°36' östl. L., besteht aus den Ländern der Sankt Stephanskrone, und zwar aus dem eigentlichen U. mit dem ehemaligen Siebenbürgen, aus Fiume samt Gebiet sowie aus Kroatien, Slawonien und der frühern Militärgrenze und grenzt im N. an Österreichisch-Schlesien und Galizien, im O. an die Bukowina und Rumänien, im S. an letzteres, Serbien, Bosnien und Dalmatien und im W. an Istrien, Krain, Steiermark, Niederösterreich und Mähren.

Das vom mächtigen Bogen der Karpathen auf drei Seiten umschlossene Becken der mittlern Donau bildet mit dem nördlichen Gebirgsland und dem Siebenbürgischen Hochland oro- und hydrographisch ein einheitliches Gebiet. Von Siebenbürgen abgesehen, zerfällt das Land in einen kleinern gebirgigen und einen dreimal so großen ebenen Teil. Die Gebirge gehören teils zu den Karpathen, teils zu den Ausläufern der Ostalpen oder zum ungarischen Mittelgebirge. Die Karpathen (s. d.) umgeben U. in einem mächtigen Halbbogen (Westkarpathen, Zentralkarpathen und inneres Bergland, Karpathisches Waldgebirge und Siebenbürgische [Südost-] Karpathen) und enden mit den Banater Bergen wieder am Donaustrom, den sie, mit den Balkanausläufern zusammenstoßend, zwischen Bazias und Orsova (Eisernes Tor) einengen. Die höchste Erhebung (2663 m) erreichen sie in dem in der Mitte Nordungarns liegenden Knoten der Zentralkarpathen (Hohe Tátra), von dem aus sich zahlreiche Gebirgszüge fächerförmig bis zur Tiefebene im Innern des Landes ausbreiten. Die Ostalpen senden ihre Vorberge von der Westgrenze Ungarns aus einerseits bis an die Donau, wo sie bei Hainburg (Leithagebirge) und bei Gran (Pilischergebirge) mit den Karpathen zusammentreffen, anderseits aber dringen sie in Kroatien-Slawonien, zwischen Drau und Save zungenförmig bis zur Donau vor. Das zu Kroatien gehörige Karstgebiet wird von den Ketten und Ausläufern des Karst (s. d.) erfüllt. Sehr reich ist U. an merkwürdigen Eis- und Tropfsteinhöhlen (Abaliget, Dobschau, Szilicze, Baradla, Skerisora, Rév und die Schwefelhöhlen im Berg Büdös). Die Tiefebene Ungarns wird durch das sogen. ungarische Mittelgebirge (Bakonyer Wald, Vértesgebirge) in zwei Teile getrennt. Im W. breitet sich die 12,000 qkm (220 QM.) umfassende, fruchtbare kleine oder obern ugarische Tiefebene (Preßburger Becken, mit der Schüttinsel) 130 m ü. M. an beiden Donauufern aus; die große oder niederungarische Tiefebene (Pester Becken) hingegen, das ungarische Alföld, besteht aus einer 109,477 qkm (1988,2 QM.) weiten Fläche, die im NW., N. und O. von den Karpathen, im W. vom genannten Mittelgebirge und im S. von der Save und Donau umschlossen wird. (Vgl. »Petermanns Geographische Mitteilungen«, 1906, Heft 2). Das Alföld liegt im Mittel 108 m hoch, hat seine tiefste Lage längs der Theiß und deren Nebenflüssen und wird vielfach von weiten Sumpfgründen unterbrochen. Im N. des Alföld liegt die sandige Kecskeméter Heide, an die sich südlich Sumpfland und die sogen. Bácska mit der Telecskaer Sandplatte (169 m) und dem Titeler Plateau (133 m) anschließt; im NO. breitet sich die fruchtbare Munkácser Ebene, das Sumpfland Bodrogköz, das Ecseder Moor, im O. die Sandplatte der Nyirség, die Debrecziner Heide (Hortobágyer Pußta) und der Sárréter Sumpf aus; im SO. endlich liegt das Alibunárer Moor und die Deliblater Sandwüste. Der östliche, von Gebirgen begrenzte Gürtel des Alföld hat Wein- und Obstgärten und Waldgebiet, die Mitte des letztern jedoch enthält teils fruchtbaren Boden, teils die als Weide dienende Pußta (s. d.), die aber an vielen Orten schon in Ackerland umgewandelt ist.

Die Flüsse und Bäche (über 600) gehören, mit Ausnahme des der Weichsel zufließenden Poprád und Dunajec, zum Gebiete der Donau, die rechts die Leitha, Raab, Sárviz und Drau (mit Mur) und Save und links die March, Waag mit der Neutra, Gran, Eipel und Theiß (mit Borsova, Latorcza, Laborcza, Bodrog, Sajó, Hernád und Zagyva links und Szamos, dreifache Körös und Maros rechts) aufnimmt. Insbesondere die Zuflüsse der Theiß verursachen noch immer Überschwemmungen, obwohl viele Niederungen trocken gelegt und auch die Sohle der Donau im Eisernen Tor vertieft wurde. Zur Entsumpfung einzelner Flußgebiete und zur Erleichterung der Schifffahrt wurden zahlreiche Kanäle gebaut, unter denen der Franzenskanal zwischen Donau und Theiß, der Begakanal zwischen dieser und der Bega, der Sárviz- und Palatinalkanal zwischen Stuhlweißenburg und Szegszárd, der Kapos- oder Zichykanal im Tolnaer Komitat und der Siókanal zwischen Plattensee und Donau die wichtigsten sind. Der seit Jahrzehnten projektierte zweite Donau-Theißkanal geht der Verwirklichung entgegen. In der Ebene besitzt U. nur zwei größere Seen, und zwar den Platten- und den Neusiedler See, kleinere sind der Palicser und Velenczeer See; desto mehr Seen hat es aber in bedeutender Höhe in den Karpathen (Meeraugen, s. Karpathen, S. 671). Unter den Morästen und Sümpfen (s. oben) ist noch der an den Neusiedler See angrenzende Hanság (s. d.) zu erwähnen.

Areal und Bevölkerung.

Das Areal von U. samt Nebenländern beträgt offiziell 324,851 qkm (5899,6 QM.; nach Pencks Berechnung: 325,323 qkm), wovon auf das eigentliche U. (samt Siebenbürgen und Fiume) 282,317 qkm (5127,2 QM.) und auf Kroatien und Slawonien 42,534 qkm (772,4 QM.) entfallen. U. (ohne Siebenbürgen) wurde früher in vier administrative Kreise (diesseit und jenseit der Donau, diesseit und jenseit der Theiß) und in Komitate eingeteilt, seit der endgültigen Einverleibung Siebenbürgens (1867) und dessen Einteilung in Komitate jedoch unterscheidet man in U. sieben Landesteile: 1) Landesteil links der Donau, 2) rechts der Donau, 3) Landesteil zwischen Donau und Theiß, 4) rechts von der Theiß, 5) links von der Theiß, 6) Theiß-Maros-Winkel, 7) Landesteil des Königsteiges (Siebenbürgen); dazu Fiume und Gebiet.

Die Volkszählung vom 1. Jan. 1901 ergab eine Gesamtbevölkerung von 19,254,559 Seelen (Ungarn allein: 16,838,255; 1850: 13,1, 1869: 15,4 und 1880: 15,6 Mill. Einwohner). U. nimmt daher unter den europäischen Staaten die siebente Stelle ein. Die Bevölkerung hat seit 1880 um 9,96 Proz. zugenommen (in Ungarn allein um 10,3 Proz.), am meisten in den magyarischen Komitaten im Donau-Theißbecken mit der Hauptstadt (17,91 Proz.). Die Dichtigkeit (59 Einw. auf 1 qkm) ist eine mittlere. Die dichteste Bevölkerung weisen die Komitate Warasdin, Pest, Csanád, Grau und Ödenburg auf; am dünnsten sind die Komitate Csik und Bistritz-Naszód bewohnt. Von der Zivilbevölkerung waren 9,449,933 Männer, 9,672,407 Frauen (auf 1000 Männer entfallen 1024 Frauen). Auf je 1000 Einw. entfallen 8,5 Ehen, 40 Geburten und 26,8 Sterbefälle. Das Anwachsen der Bevölkerung wird durch die geringe Zunahme der Geburten, durch die große Kindersterblichkeit und durch die starke Auswanderung (1906: 239,000) beeinträchtigt.

In ganz U. gab es 1907: 26 Städte mit Munizipalrecht, 127 Städte mit geordnetem Magistrat, 1996 Groß- und 10,446 Kleingemeinden und 21,648 Pußten und Ansiedelungen. In Kroatien-Slawonien gab es 533 politische Gemeinden, zu denen 7932 kleinere Ortschaften gehören. Die volkreichsten fünf Städte sind: Budapest, Szegedin, Maria-Theresiopel, Debreczin und Preßburg. Weiteres über Areal und Bevölkerung der Komitate, geologische Beschaffenheit, Klima, Pflanzen- und Tierwelt s. auf der Textbeilage.

Nationalität, Trachten, Beschäftigung, Religion.

Unter den Nationalitäten (vgl. die »Ethnographische Karte von Österreich-Ungarn« im 15. Bd.) nehmen die Magyaren (s. d.) als herrschende Nation seit Begründung Ungarns die erste Stelle ein, und zwar nicht nur wegen ihrer größern Anzahl (im eigentlichen U. 8,651,520 Einw. = 51,4 Proz., in ganz U. 8,742,301 = 45,4 Proz.), sondern auch deshalb, weil sie die Mitte des fruchtbarsten Gebiets in ungeteilter Masse bewohnen. Der magyarische Volksstamm überwiegt im Alföld, namentlich zwischen Donau und Theiß, am rechten Donauufer und in den übrigen ebenen Landstrichen; im siebenbürgischen Gebiete dagegen bewohnen die Magyaren hauptsächlich die Täler der Maros und Szamos und als Székler die hochgelegenen Teile der östlichen Komitate und erreichen hier nur 32 Proz. In Kroatien-Slawonien betragen sie nur 3,8 Proz. Nach ihnen sind in ganz U. die Slawen am zahlreichsten, und zwar vor allem die Serben (1,052,180) und Kroaten (1,678,569), zusammen 13,12 (in Kroatien-Slawonien allein 61,6 und 25,4) Proz., von denen die Serben im SO. von U. und in Kroatien-Slawonien, die Kroaten aber meist im kroatischen Gebiet wohnen; die Slowaken (2,019,641 = 10,5 Proz. in ganz U.) bilden eine meist kompakte Masse im NW. und N. und sporadisch im S. (Békés und Csanád); in den nordöstlichen Karpathen (Máramaros, Bereg, Ung) haben sich die Ruthenen (429,447 = 2,2 Proz.) niedergelassen. Die sich stark vermehrenden Rumänen (2,799,479 = 14,5 Proz.) wohnen als kompakter Stamm im O. und SO. in den siebenbürgischen Komitaten, die Wenden dagegen nur im W., in Eisenburg und Zala (ca. 70,000) sowie in Kroatien-Slawonien (94,000). Die Deutschen (2,135,181 = 11,1 Proz., und zwar 1,999,060 = 11,9 [1890 = 13,1] Proz. im eigentlichen U.) wohnen zerstreut und sind meist in den westlichen Komitaten (Preßburg, Ödenburg, Wieselburg, Eisenburg), ferner im Komitat Baranya, in den drei Banatkomitaten, in einigen nördlichen Bergstädten, in der Zips, schließlich als Siebenbürger Sachsen besonders um Hermannstadt, Kronstadt, in den Tälern der beiden Kokel und im Komitat Bistritz Naszód ansässig. In Budapest leben 104,520 Deutsche. Nach dem Westen sind sie schon seit den Zeiten Karls d. Gr., in die übrigen Gegenden zuerst unter Stephan I. und Geisa II., zumeist aus der Mosel- und Rheingegend und aus Flandern (s. Gründner, Häudörfer), später aber in kleinern Scharen aus Schwaben und Franken etc. (meist im 17. und 18. Jahrh.) eingewandert. Der Rest der Bevölkerung von U. (397,761 = 2,1 Proz.) sind Armenier (in Udvarhely, Torda-Aranyos), Bulgaren, Griechen, Italiener (Fiume und Littorale) und Mazedowalachen oder Zinzaren; die Armenier und Griechen leben meist in Handelsstädten. Die Zigeuner (ca. 91,000) sprechen Magyarisch, Serbisch oder Rumänisch und halten sich am zahlreichsten jenseit der Donau und im siebenbürgischen Gebiet auf. Unter den Volkstrachten ist die magyarische die schönste. Der Magyar ist meist mittelgroß, muskulös, ebenmäßig gebaut, hat eine scharf geschnittene Gesichtsbildung, dunkle, feurige Augen und schwarzes Haar. Er ist intelligent, gutmütig und gastfreundlich, besitzt feuriges, leicht erregbares Temperament, rednerische Begabung und große Vaterlandsliebe, liebt Musik und Tanz, ist als Soldat äußerst tapfer und ein geschickter Reiter. Originell und charakteristisch ist der ungarische Nationaltanz (Tschardasch) und Volksgesang, ersterer bald langsam (Lassú), bald ungemein lebhaft (Friss), die Volksweisen dagegen sind vorwiegend schwermütig. Die Magyaren beschäftigen sich meist mit Ackerbau, Viehzucht und Fischfang oder sind selbständige Handwerker; die Slowaken bringen sich als Holzarbeiter und Flößer, zum Teil umherwandernd als Bauarbeiter, Hausierer, Drahtbinder und Rastelbinder fort; viele Tausende verdienen in den Naphthagruben und Kohlenbergwerken Nordamerikas ihr Brot. Die Ruthenen sind meistens Waldarbeiter und Hirten; die Kroaten betreiben Ackerbau und Handel, die Deutschen Gewerbe, Handel, Landwirtschaft, Bergbau etc.; die Armenier, Juden und Griechen beschäftigen sich meist mit Handel; unter den Zigeunern gibt es viele Musikanten und Schmiede.

Der Religion nach sind in U. die Römisch-Katholischen überwiegend (9,919,913 = 51,52 Proz., hiervon 8,198,497 = 48,69 Proz. im eigentlichen U.), am dichtesten im SW., rechts der Donau sowie im NW.; die Kroaten sind meist römisch-katholisch, ebenso die Székler. Griechisch-katholisch sind Ruthenen und Rumänen (1,854,143 = 9,63 Proz., hiervon 1,841,272 = 10,93 Proz. im eigentlichen U.), griechisch-orientalisch die Serben und ein großer Teil der Rumänen (2,815,713 = 14,62 Proz., hiervon 2,199,195 = 13,06 Proz. im eigentlichen U.). Der evangelischen Kirche Augsburger Konfession (1,288,942 = 6,69 Proz., hiervon 1,258,860 = 7,48 Proz. im eigentlichen U.) gehören meist Slowaken und Deutsche im N. und W. sowie die siebenbürgischen Sachsen an; die Reformierten (2,441,142 = 12,68 Proz., hiervon 2,427,232 = 14,41 Proz. im eigentlichen U.) haben ihre Hauptsitze in magyarischen Gegenden; die Unitarier (68,568–0,36 Proz.) leben fast nur in siebenbürgischen Komitaten. Die Israeliten endlich (851,378 = 4,42 Proz., hiervon 831,162 = 4,94 Proz. im eigentlichen U.) sind im NO. (Komitate Zemplin, Bereg, Ung, Máramaros), dann in den Städten Budapest, Großwardein, Szatmár-Németi besonders zahlreich vertreten.

Bildung und Unterricht.

Die geistige Kultur ist im Fortschritt begriffen. 1905 waren des Lesens und Schreibens kundig: in ganz U. 59,9 Proz., im eigentlichen U. 61,2, in Kroatien-Slawonien 44,1 Proz. Im Schuljahr 1904/05 gab es 3,125,121 schulpflichtige Kinder (im Alter von 6–14 Jahren), wovon im Durchschnitt 70 Proz. die Schule besuchten. Kinderbewahranstalten gab es 1905: 2580, Volksschulen: 17,969, darunter 1995 staatliche, 2819 Gemeinde- und 12,814 konfessionelle Schulen. Die Zahl der Lehrer betrug 32,271, jene der Schüler 346,929; Bürgerschulen gab es 398, mit 4112 Lehrkräften und 57,261 Schülern. Von den 200 Mittelschulen waren 168 Gymnasien und 32 Realschulen; Gesamtzahl der Lehrkräfte 3999, der Schüler 66,993 (in Gymnasien 48,917, Realschulen 18,076). Höhere Töchterschulen gab es 27 mit 570 Lehrkräften und 4680 Schülerinnen. Vollsschullehrer-Präparandien bestanden 95 (davon nur 27 staatliche) mit 1204 Lehrkräften und 10,923 Zöglingen. Vgl. Szöllösi, Das öffentliche Unterrichtswesen Ungarns (Bd. 1, Volksschulwesen, Budap. 1904). Seminare für das höhere Lehramt waren 2 (in Budapest und Klausenburg). Theologische Hochschulen gab es 46, Rechtsakademien 10 (darunter 3 staatliche). Universitäten bestehen in Budapest (320 Professoren, 6551 Hörer), in Klausenburg (108 Professoren, 2290 Hörer) und eine kroatische in Agram (86 Professoren, 1174 Hörer). U. besitzt nur eine Technische Hochschule in Budapest (138 Professoren, 1336 Hörer). Die Zahl der weiblichen Hörer an den drei Universitäten betrug 1905: 218. Außerdem besitzt U. (ohne Kroatien) 585 niedere und 133 höhere Gewerbe- und Handelsschulen, ferner zwei Handelsakademien, eine Orientalische Akademie (Budapest), Fachschulen für verschiedene Industriezweige (eine Kunstgewerbe- und eine Musterzeichen- sowie eine Zeichenlehrerbildungsschule in Budapest), eine landwirtschaftliche Akademie in Ungarisch-Altenburg und 4 landwirtschaftliche Fachschulen, eine Berg- und Forstakademie in Schemnitz, eine tierärztliche Hochschule in Budapest, eine nautische Akademie in Fiume, eine Marineschule in Buccari sowie eine Militärakademie für Honvédoffiziere (Ludoviceum), eine Landestheater- und eine Musikakademie, 2 Meisterschulen für Malerei und eine für Bildhauerei (sämtlich in Budapest), ferner 40 höhere Musikschulen und Konservatorien. An philantropischen Anstalten bestehen 16 für Taubstumme, 6 für Blinde, eine für Idioten, 120 Waisen- und 33 Rettungshäuser, 409 Spitäler etc. Von den Gesellschaften und Anstalten für Wissenschaften und Künste sind zu erwähnen: die ungarische Akademie der Wissenschaften (seit 1830), die Kisfaludy-, die Petöfi-, die Geographische, die Geologische und die Historische Gesellschaft; jene der Naturforscher und Ärzte, das Geologische Institut, das Statistische Landesbureau und das Budapester statistische Bureau, das Nationalmuseum, das Landesgewerbe- und das Handelsmuseum, das Landesarchiv, die Landesgemäldegalerie und historische Porträtgalerie, die Gesellschaft für bildende Kunst und der »Nationale Salon«, das Künstlerhaus (sämtlich in Budapest), ferner mehrere magyarische Kulturvereine sowie der Ungarische und der Siebenbürgische Karpathenverein, endlich die Museen in Budapest, das Bruckentalische Museum (und Galerie) in Hermannstadt, das städtische Museum in Preßburg, das Siebenbürgische Museum in Klausenburg, das Székler-Museum in Sepsi-Szent-György, das Karpathenmuseum in Poprád, das Tátra-Museum in Felka, das Nationalmuseum in Agram. endlich 234 Bibliotheken und Archive in vielen Städten. Unter den Theatern stehen obenan das ungarische Nationaltheater und die königliche Oper in Budapest. In U. erschienen 1905: insgesamt 1615 Zeitungen und Zeitschriften, davon 1199 in magyarischer und 169 in deutscher Sprache. Buchdruck und Buchhandel sind durch mehrere hervorragende Kunstinstitute (auch ein kartographisches Institut in Budapest) vertreten.

Land- und Forstwirtschaft.

(Vgl. hierzu die Karte »Landwirtschaft in Österreich-Ungarn« im 15. Bd.)

U. ist auch heute noch in erster Reihe ein Ackerbaustaat und eins der wichtigsten Getreideproduktionsgebiete; 68,4 Proz. der Gesamtbevölkerung (= 13,1 Mill. Einw.) beschäftigen sich mit Landwirtschaft. Pachtsystem und Verwaltung durch Ökonomiebeamte sind sehr entwickelt, und die. Landwirtschaft, die auf großen Gütern rationell betrieben wird, hat sich durch die Fürsorge des Landes-Agrikulturvereins sowie der landwirtschaftlichen Vereine bedeutend gehoben. Für einzelne Zweige sind Wanderlehrer bestellt; auch sind 64 Ackerbau- und Winzerschulen tätig. Die produktive Bodenfläche betrug 1905 in ganz U. 32,483,870 Hektar (im eigentlichen U. 28,4 Mill. Hektar). Hiervon entfielen (in Hektar) auf:

Tabelle

Landwirtschaftliche Betriebe gibt es in U. 2,795,885. Darunter sind 52,23 Proz. Zwergwirtschaften (bis 5 Joch), 46,89 Proz. Kleinbetriebe (5–100 Joch), 0,74 Proz. Mittelbetriebe (100–1000) und 0,14 Proz. Großbetriebe (über 1000 Joch). Die meisten Latifundien (Gesamtareal 32 Proz., meist Fideikommißgüter und Kirchengut) befinden sich jenseit der Donau (Weißenburg), dann in Szabolcs, Zemplin und im Banat. Der mittlere und kleine Gutsbesitz ist stark belastet. Die Ernte des sehr fruchtbaren Jahres 1906 betrug: Weizen 56,53, Roggen und Halbfrucht 15,5, Gerste 15,78, Hafer 13,53, Mais 47,88, Kartoffeln 56 Mill. metr. Ztr. Zuckerrüben wurden 1905: 19,3, Futterrüben 37,7, Luzerne und Klee 18,6, Tabak 0,467 Mill. metr. Ztr. geerntet, ferner in großen Mengen Hanf, Wicken, Kürbisse, Kraut, Melonen, Gurken, Paprika etc. Der Gesamtwert der Ernte wurde 1906 auf 21/4 Milliarden Kronen geschätzt. Der Weinbau hat sich von der Reblausseuche im großen und ganzen erholt; 1905 wurden in U. 3,170,000, in Kroatien 667,000 hl im Werte von 104 Mill. Kronen produziert (s. Ungarweine). Obst gedeiht besonders im westlichen Hügelland (Ödenburg), in Siebenbürgen, neuerdings aber auch in den Sandkulturen des Tieflandes (Kecskemét, Körös, Halas).

Die Viehzucht zeigt nur in einigen Zweigen einen Aufschwung. Im J. 1904 zählte man 1,892,707 Pferde (gegen die Zählung von 1895:-79,741), 14,731 Esel (-6655), 4,275,210 Schweine (-2,171,363), 206,449 Ziegen (-79,936) und 6,843,064 Schafe (-683,622). Der Rindviehstand hat insgesamt um 150,256 Stück abgenommen, aber die Zahl des Zuchtviehes (Stiere und Kühe) hat bedeutend zugenommen. Über die Anzahl der übrigen Haustiere liegt nur die Zählung von 1895 vor. Geflügel gab es 32 Mill. Stück; die Eier- und Federnausfuhr ist im Steigen begriffen. Zahl der Bienenkörbe 769,000; produziert wurden 1905: 31,466 metr. Ztr. Honig und 2020 metr. Ztr. Wachs. Die Seidenraupenzucht lieferte Kokons im Gewichte von 1,9 Mill. kg (Wert: 3,4 Mill. Kronen). Das ungarische Pferd zeichnet sich durch große Ausdauer und Schnelligkeit aus und verdankt seine Veredelung den Staatsgestüten in Mezöhegyes (englisches Voll- und Halbblut 1905: 2224 Pferde), Bábolna (arabisches und englisches Voll- und Halbblut), Kisbér (englisches Voll- und Halbblut) und Fogaratz (Lippizzaner mit arabischem Blut gekreuzt), zu denen 1042 Beschälstationen mit 3288 Hengsten gehören. Pferderennen werden jährlich in Budapest, Alag, Debreczin, Klausenburg, Preßburg, Raab, Siófok, Steinamanger, Totis, Schmecks etc. abgehalten. Die Rinderzucht wird hauptsächlich im Westen, im Alföld und im siebenbürgischen Gebiete mit Erfolg betrieben. Gezüchtet wird zumeist die ungarische und siebenbürgische Rasse (weißhaarig, mit langen, gebogenen Hörnern), außerdem die Pinzgauer und Simmentaler Rasse. Die im Niedergang begriffene Schafzucht wird am lebhaftesten im gebirgigen Norden und Osten betrieben, wo die Schafkäsebereitung (Karpathenkäse, Brinzen, Liptauer, Székler Käse) sich erfreulich entwickelt. Die Borstenviehzucht ist in U. seit jeher hervorragend; man züchtet das kraushaarige, insbes. das weiße Mangalitzaschwein (gedrungen, fett), weniger die glatthaarige Gattung (schlank, fleischig). Zentralpunkte der Schweinezucht und des Schweinehandels sind Steinbruch, Barcs, Debreczin, Raab, Szegedin etc. Seit kurzem wird das englische Fleischschwein (Yorkshire) zu Zuchtzwecken eingeführt. Vgl. Egan, Landwirtschaftliche Skizzen aus U. (Wien 1898); Rudloff, Die Landwirtschaft Ungarns (Berl. 1898); Milhoffer, Ungarns Landwirtschaft (Budap. 1904, 3 Bde.). Der ehemals sprichwörtliche Reichtum an Fischen ist stark im Schwinden begriffen, obgleich die Regierung und 75 Teichgesellschaften um die Fischzucht bemüht sind. Reiche Jagdreviere besitzt U. noch heute. Auf den Felsen der Tátra (insbes. in den Besitzungen des Fürsten Hohenlohe und des Prinzen von Koburg) und in den siebenbürgischen Hochgebirgen hausen auch Gemsen, und dort sowie in den Wäldern der Máramaros gibt es Bären und Wölfe in größerer Anzahl.

Die ungeheuren Waldkomplexe, die fast ganz U. mit einem breiten Gürtel umgeben, umfassen 9,05 Mill. Hektar. Am bewaldetsten sind die Komitate Máramaros, Krassó-Szörény, Hunyad, Bihar, Lika-Krbava, Agram, Háromszék, Csík und Gömör. Auf Nadelholz entfallen 1,9 Mill Hektar, auf Eichen 2,3 Mill., auf Buchen und andres Laubholz 4,7 Mill. Hektar (Reinertrag 1905: 9,1 Mill. Kronen). Die Waldkultur steht seit der Wirksamkeit des Forstgesetzes von 1879 günstiger und wird insbes. in den Staatswäldern, die 1,420,448 Hektar umfassen, rationell betrieben. Ihr Wert wird auf 210 Mill. Kronen geschätzt.

Bergbau.

In bezug auf mineralische Schätze gehört U., das fast unerschöpfliche Salz-, Eisen- und Kohlenlager sowie reiche Blei- und Kupfer- wie auch Silber-, Gold- und andre Erzgänge besitzt, zu den reichsten Ländern Europas und besaß 1905 ein Grubenterritorium von 87,462 Hektar. Die Anzahl der Arbeiter betrug 73,806 (davon in staatlichen Gruben: 69,486). Der Metallbergbau konzentriert sich in sieben Gebieten, und zwar im Kremnitz-Schemnitzer, oberungarischen (Zips-Gömörer), Nagybányaer, siebenbürgischen (Zalatna), im Banater (Oravicza), Agramer und im Budapester Montangebiet. Hauptsitz der Goldproduktion ist das siebenbürgische Gebiet (Abrudbánya, Nagyág, Offenbánya, Verespatak, Zalatna, Brád), wo der Goldbergbau teilweise schon zur Römerzeit betrieben wurde; reiche Gruben besitzt ferner das Nagybányaer und Neusohler Revier (Nagy- und Felsöbánya, Kremnitz und Schemnitz); endlich wird auch Waschgold in den Flüssen Aranyos, Maros und Szamos gewonnen. Silber findet sich besonders im Nagybányaer und Neusohler Gebiet, in der Zips (Igló), im Zalatnaer Bezirk und in Oravicza. Hervorragend ist der Bergbau auf Blei in Nagybánya und Zalatna. Der Ertrag der Kupferwerke (Zips-Gömörer Bezirk, Zalatna, Oravicza, Neusohl und Nagybánya) hat abgenommen, dagegen hat sich der Eisenbergbau und die Eisenindustrie in den Komitaten Zips, Gömör, Abauj-Torna, Krassó-Szörény und Hunyad bedeutend gehoben. Besondere Erwähnung verdient der Edelopal, dessen einzige Heimat U. ist (Vörösvágás, Nagy-Mihály). Außerdem findet man Pyrite und Granate, Bergkristalle (Máramaroser Diamanten), Obsidiane (Hegyalja), Quarze und Quarzsand, Töpferton, Porzellanerde, Dachschiefer, Mühlsteine, Marmor (Piszke und Vulkánpaß), Basalt (bei Sümeg, Korlát), Granit (Kis-Sebes), Tellurerze (Krennerit, Nagyágit), Sand- und Kalkstein (St.-Margareten im Leithagebirge und Kis-Sebes). Großen Aufschwung zeigt der Kohlenbergbau. Braunkohle findet sich in mächtigen Lagern im Graner Komitat, dann bei Totis (Komorn), Szászvár, im Brennberg bei Ödenburg. Steinkohle in Salgó-Tarján, Fünfkirchen, Anina-Steierdorf, im Krassó-Szörényer Komitat, im Schyltal etc. Vgl. Böckh und Gesell, Die Lagerstätten von Edelmetallen, Erzen, Mineralkohlen etc. (Budap. 1898); Kalecsinszky, Der Mineralkohlenbau der Länder der ungarischen Krone (das. 1903). Der ergiebigste Salzbergbau (Staatsmonopol) ist in der Máramaros (Szlatina, Rónaszék, Sugatag) sowie im siebenbürgischen Gebiet (Deésakna, Maros-Ujvár, Parajd, Torda und Vizakna); in Sóvár wird nur Sudsalz erzeugt. Salpeter und Pottasche finden sich häufig in natürlichem Zustand (zwischen Theiß und Berettyó), Mineralöl in den nordöstlichen Komitaten. Die Produktion der Berg- und Hüttenwerke betrug 1905:

Tabelle

Der Wert der Bergwerks- und Hüttenprodukte wurde 1905 auf 106 Mill. Kronen geschätzt. Das Salzmonopol lieferte 1,954,097 metr. Ztr. (Wert 28 Mill. Kronen). U. besitzt über 900 Mineralquellen, darunter berühmte Thermen und Wässer; zu nennen sind außer den unter »Karpathen« und »Kroatien-Slawonien« angeführten noch folgende Quellen und Kurorte: Balatonfüred am Plattensee, Deutsch-Kreuz (Sauerbrunnen), Harkány (Schwefeltherme), Héviz (indifferente Therme), Moha, Palics (Natronseebad), die Budapester Bäder und Bittersalzquellen; ferner die Jodthermen von Lipik und Csíz, das Salzbad Szováta (Maros-Torda), die Lithionquelle Salvator (Sáros) und der alkalische Eisensäuerling Málnás. Über die Kurorte und Heilquellen Ungarns vgl. die Werke von Chyzer (Stuttg. 1887), Boleman (Budapest 1897, deutsch) und Papp-Hankó (das. 1907, magyar.).

Industrie.

(Vgl. die »Industriekarte von Österreich-Ungarn« im 15. Bd.)

Bis in die jüngste Zeit hatte die eigentliche Fabrikindustrie mit den Schwierigkeiten des Beginns zu kämpfen und vermochte sich erst in den letzten Jahrzehnten mit Hilfe des Staates zu entwickeln Trotz letzterer ist U. besonders auf dem Gebiete der Textilindustrie noch immer vom Ausland abhängig. Von der Gesamtbevölkerung liegen 13,5 Proz. (2,604,082 Personen) der Industrie ob. Die Zahl der Kleinbetriebe (mit weniger als 20 Arbeitern) beträgt etwa 6000, jene der größern gewerblichen Unternehmungen (mit 20–4000 Arbeitern, Montanindustrie inbegriffen) betrug 1905: 2433 (mit zusammen 218,456 Arbeitern). Großindustrielle Unternehmungen (mit über 1000 Arbeitern) bestanden 1905: 41 (mit 69,494 Arbeitern). Die meisten Fabriken besitzt Budapest (mit Neu-Pest, Steinbruch, Promontor), dann folgen Preßburg, Szegedin und Fünfkirchen. Sehr entwickelt ist die Mühlenindustrie (etwa 500 Dampfmühlen, Zahl der Mühlen insgesamt 20,005); die Spiritusindustrie (insgesamt 69,505 Brennereien, darunter 68,000 für landwirtschaftliche Zwecke) weist 35 Fabriken mit je über 10,000 hl Produktion auf, die größten in Budapest, Arad, Szegedin. Raab, Temesvár; jährliche Gesamtproduktion 885,000 hl. Zuckerindustrie: 21 Fabriken mit 14,726 Arbeitern, Produktion 1905: 2,6 Mill. metr. Ztr. (die größten Fabriken sind in Hatvan, Tyrnau, Szerencs, Diószeg, Mezöhegyes, Kaposvár); Bierbrauerei: 90 Brauereien, jährliche Produktion 1,5 Mill. hl, die größten in Steinbruch; Tabakfabrikation (21 Fabriken. 19,198 Arbeiter, verarbeitetes Material: 229,826 metr. Ztr.). Unter den Eisenwerken und Maschinenfabriken sind jene von Ganz u. Komp., Schlick, Nicholson, Vulkán und Danubius in Budapest die hervorragendsten; Danubius besitzt auch eine Schiffswerft in Fiume. Wichtig sind noch die Werke und Fabriken der Ungarischen Staatsbahnen (in Budapest, Diós-Györ, Vajda-Hunyad, Zólyom-Brezó und Kudsir), jene der Österreichisch-Ungarischen Staatsbahngesellschaft (in Anina, Reschitza, Steierdorf), jene der Rima-Murányer Gesellsch. ist (Salgó-Tarján, Ozd, Likér), der Hernádtaler Gesellschaft und in Kalán (Komitat Hunyad) etc. Zu nennen ist ferner die Zementfabrikation (Beocsina, Lábatlan), Glasindustrie (30 Fabriken, unter andern Zay-Ugrócz, Herencsvölgy, Salgó-Tarján), Dampfziegeleien (Budapest, Szent-Lörincz), Porzellan- und Majolikaindustrie (Fünfkirchen), Papierfabrikation (Fiume. Zernest, Kronstadt, Hermanetz, Pelsöcz [Zellulose]), Tuch- (Uniform-) und Kotzenfabrikation (Preßburg, Sillein; Hermannstadt, Kronstadt), chemische Industrie (Kunstdüngerfabriken in Budapest und Sillein. Schwefelkiesfabrik in Zalatna), Petroleumraffinerien (Fiume, Budapest, Preßburg), Lederindustrie, Elektrizitätsunternehmungen (zumeist in Budapest), Dynamitfabriken (Preßburg, Zurndorf), Reisschäl- und Reisstärkefabrik (Fiume), ferner Fabriken von Kognak, Likören etc., Seifen-, Soda- und Salpetersiedereien, Gerbereien etc.

Handel.

Der Ackerbaustaat U. bildet mit dem bedeutend vorgeschrittenen Industriestaat Österreich zusammen dem Ausland gegenüber ein gemeinsames Zollgebiet und ist dadurch in der selbständigen Entwickelung seiner Interessen mannigfach behindert. Dieses Verhältnis verursachte in den letzten Jahren ernste Krisen, und es gelang nur schwer, den handelspolitischen Ausgleich vom Jahre 1867 von 10 zu 10 Jahren zu verlängern. Nunmehr soll die Zollgemeinschaft bis 1917 aufrecht erhalten bleiben. Da die Handelsbilanz Ungarns von überaus unbeständigen Faktoren, in erster Linie vom Ernteausfall, abhängig ist, so ist das Ergebnis derselben sehr wechselnd. Im J. 1906 bezifferte sich

Tabelle

Der Gesamtwert des Außenhandels hat den Betrag von 2913 Mill. Kronen erreicht und ist gegen 1905 um 151 Mill. gestiegen, und zwar die Einfuhr um 104,3 Mill., die Ausfuhr nur um 46 Mill. Während 1905 die Ausfuhr die Einfuhr um 34,7 Mill. Kronen überragte, blieb sie 1906 hinter letzterer um 24 Mill. zurück, woraus sich eine Verschlechterung der Bilanz um 58,7 Mill. ergibt. Zu bemerken ist noch, daß durch den am 1. März 1906 ins Leben getretenen deutschen Zolltarif die Ausfuhr der wichtigen Artikel Gerste und Schlachtvieh einen bedeutenden Rückgang erlitt. Von Gerste wurden 590,000 metr. Ztr., von Schlachtvieh 10,000 Stück weniger ausgeführt. Auch die Pferdeausfuhr hat um 2000 Stück abgenommen, ebenso die Malzausfuhr. Einfuhr und Ausfuhr zeigten 1906 folgende Werte (in Millionen Kronen):

Tabelle

Die Zahl der Handelskammern betrug 20, die Zahl der Genossenschaften 342.

Verkehrsanstalten, Banken.

Seit 1867 hat sich das Eisenbahnwesen ungegemein entwickelt. 1846 umfaßte das Bahnnetz nur 35,1867 erst 2160 km (davon nur 125 im Staatsbetrieb). Im April 1907 betrug die Länge sämtlicher Bahnen 19,175 km, wovon 15,200 km Staatsbahnen sind, außer denen nur die Südbahn und die Kaschau-Oderberger Bahn in Betracht kommen. Der Rest entfällt auf Lokalbahnen. Der Gesamtverkehr des Jahres 1905 umfaßte 86 Mill. Personen und 51 Mill. Ton. Güter. Fast auf allen Bahnen ist der Zonentarif eingeführt. Stadtbahnen sind in 27 Städten vorhanden (Länge 279 km), Bergbahnen 3 (2 in Budapest, 1 in Agram). Vgl. Tominac, Die Eisenbahnen Ungarns (magyar., Budap. 1905). Die Länge der schiffbaren Wasserstraßen beträgt 4971 km; die Donau ist in ihrer ganzen Länge (von Theben bis Orsova, 461 km) schiffbar, die Save auf 604, die Theiß 461, die Drau 229, die Maros 118, die Körös 127, die Temes 3, der Franzenskanal mit Abzweigung 235, der Begakanal 115 und der Plattensee 121 km. Die Zahl der Dampfschiffe betrug 1905: 137, die der Schleppboote 446. Über den Verkehrs. Donau. Den größten Schiffspark besitzt die Donau-Dampfschiffahrtsgesellschaft; er betrug 1905: 140 Dampfer mit 59,154 Pferdekräften und 779 Schleppboote; die ungarische Fluß- und Seeschiffahrts-Aktiengesellschaft besaß 42 Dampfer und 238 Schleppboote. Im Seeschiffsverkehr sind 1905 in den Hafenstädten des ungarisch-kroatischen Litorale (Fiume, Buccari, Porto Rè, Selce, Novi, Zengg, Cirkvenica, San Giorgio, Stinica, Jablanac und Carlopago) zusammen 61,140 Schiffe (darunter 56,000 Dampfer) mit 7,434,952 Ton. ein- und ausgelaufen. Die ungarische Handelsmarine umfaßte 1905: 95 Dampfschiffe mit 89,000 T. und 1493 Mann und 382 Barken mit 2748 T. und 967 Mann Schiffspersonal. Die beiden wichtigsten Unternehmungen sind die subventionierte Adria-Gesellschaft mit 33 und die Ungaro-Kroata mit 32 Dampfern. Die ungarische Orient-Dampfschiffgesellschaft (Galatz-Levante) besitzt 7 Schiffe. Die Beförderung der über Fiume nach Amerika Auswandernden vermitteln vertragsmäßig die großen Dampfer der Cunard-Linie. Vgl. Gonda, Die ungarische Seeschiffahrt (Budap. 1899, auch in deutscher Übersetzung) und Der Seehandel Ungarns und Fiume (das. 1906).

Das Straßennetz umfaßte 1905: 92,439 km; davon waren 9656 Staatsstraßen, 37,336 Komitats- und 45,445 km Kommunalstraßen. Im Dienste des Post- und Telegraphenwesens standen 1905: 5309 Post- und 3813 Telegraphenämter. Die Länge der Linien betrug 23,719 km (Zahl der Telegramme 1906: 10 Mill.). Das Fernsprechnetz verband 1906: 126 Städte (Länge der Linien 185,000 km, Zahl der Abonnenten in Budapest 10,000, in U. 31,000). Es wurden 1905 insgesamt 401 Mill. Briefe und Postkarten, 73,5 Mill. Drucksachen und Warenproben, 25,7 Mill. Wertbriefe und Postanweisungen (6109 Mill. Kronen), endlich Pakete im Gewicht von 109 Mill. kg befördert. Der Postsparkassen-, Scheck- und Clearingverkehr umfaßte 1449 Mill. Kronen Einzahlungen und 566 Mill. Kronen Auszahlungen. Die Österreichisch-Ungarische Bank (s. Banken, S. 344 f.) besitzt in U. eine Hauptstelle, 34 Zweiganstalten und 94 Nebenstellen; ihr Wechselportefeuille belief sich Ende 1905 auf 285,5 Mill. Kronen. Geldinstitute gab es Ende 1905 in ganz U. 4523 mit einem Aktienkapital von 772 Mill. Kronen und einem Reservefonds von 264 Mill. Kronen. Darunter waren 498 Banken und Geldinstitute (einschließlich 9 Bodenkreditanstalten); davon entfielen auf Kroatien-Slawonien 33. Sparkassen gab es 824 (darunter 97 in Kroatien), Genossenschaften 3221 (in Kroatien 642). Diese Geldinstitute verwalteten ein Einlagekapital von 2496 Mill. Kronen (wovon auf Kroatien 146 Mill. Kronen entfielen).

Staatsverfassung und -Verwaltung.

Im J. 1867 wurden sämtliche zur St. Stephanskrone gehörigen Länder mit dem eigentlichen U. vereinigt, und nur Kroatien-Slawonien behielt für die innere Verwaltung seine Selbständigkeit mit eigner Gesetzgebung und Landesregierung, an deren Spitze der Bau (s. d.) steht; in bezug auf Finanzen, Handel, Verkehr und Militärangelegenheiten aber wurde es gleichfalls mit U. vereinigt. 1876 wurde Siebenbürgen (s. d.) in 15, Kroatien-Slawonien in 8 neugebildete Komitate eingeteilt und die Militärgrenze aufgelöst. Seitdem besteht in ganz U. bloß die alte Einteilung nach Komitaten (s. die Tabelle auf der Textbeilage zur Karte). In kirchlicher Beziehung zerfällt ganz U. in 4 römisch-katholische Erzbistümer und 15 Bistümer. Dem Erzbischof von Gran (Fürst-Primas von U.) sind die Bistümer Stuhlweißenburg, Fünfkirchen, Veszprim, Steinamanger, Raab, Neutra, Neusohl und Waitzen, die Erzabtei Martinsberg sowie die griechisch-katholischen Bistümer Munkács und Eperies, dem Erzbischof zu Erlau die Bistümer Rosenau, Zips, Kaschau und Szatmár, dem in Kalocsa das Großwardeiner, Csanáder und Siebenbürger Bistum, dem von Agram die in Bosnien-Syrmien (Diakovár) und Zeugg-Modrus sowie das griechisch-katholische Bistum Kreutz untergeordnet. Die katholische Kirche des griechischen Ritus hat ein Erzbistum zu Karlsburg mit dem Sitz in Blasendorf und die Bistümer Großwardein, Lugos und Szamos-Ujvár. In U. gibt es 587 Klöster der römisch-katholischen Kirche mit (1905) 2060 Mönchen und 4745 Nonnen, sowie 7 Klöster der griechisch-katholischen Kirche. Die griechisch-orientalische Kirche serbischer Nationalität hat ein Erzbistum in Karlowitz, mit Bistümern in Budapest, Neusatz, Temesvár, Werschetz, Pakratz und Karlstadt, die griechisch-orientalische Kirche rumänischer Nationalität ein Erzbistum in Hermannstadt mit Bistümern in Arad und Karansebes. Die evangelische und reformierte Kirche zählt je fünf Superintendenturen. Die Unitarier haben einen Bischof. 1905 wurde auch die Konfession der Baptisten gesetzlich anerkannt; bis jetzt organisierte sie sich bloß in Budapest. Die 2454 israelitischen Kultusgemeinden gehören zum größern Teil det orthodoxen Richtung an.

U. bildet seit 1867 mit Österreich die Österreich isch-Ungarische Monarchie, die aus zwei unabhängigen und gleichberechtigten Staaten besteht. Jeder derselben besitzt seine besondere Verfassung, Legislative und Verwaltung, beide sind jedoch nicht nur durch die Person des Monarchen verbunden, sondern haben auch gemeinsame Angelegenheiten (s. Österreichisch-Ungarische Monarchie). Die gesetzgebende Gewalt hinsichtlich der gemeinsamen Angelegenheiten wird von zwei, vom österreichischen Reichsrat und ungarischen Reichstag auf ein Jahr gewählten Delegationen ausgeübt, die aus je 60 Mitgliedern bestehen (40 Abgeordneten- und 20 Oberhausmitglieder). Der ungarische Reichstag in Budapest besteht aus dem Magnatenhaus (Oberhaus) und dem Abgeordnetenhaus. Mitglieder des Oberhauses sind: die großjährigen Erzherzoge, 8 Fürsten, 185 Grafen und 51 Barone (auf Grund eines Steuerminimums von 6000 Kronen), die 10 Bannerherren (Reichswürdenträger) und 2 Kronhüter, der Gouverneur von Fiume, die Präsidenten der königlichen Kurie, der Budapester königlichen Tafel und des Verwaltungsgerichtshofes, die Erzbischöfe, Bischöfe, einige Äbte, die Superintendenten und Oberkuratoren der Evangelischen, Reformierten und Unitarier, drei kroatisch-slawonische Deputierte und 50 vom König auf Lebenszeit ernannte Mitglieder. Das Abgeordnetenhaus zählt 453 Abgeordnete (U. mit Fiume 413, Kroatien-Slawonien 40; letztere nehmen aber nur an jenen Verhandlungen teil, die sich auch auf Kroatien-Slawonien beziehen). Die Munizipien (Komitate und Städte mit Munizipalrecht) sind in Wahlkreise eingeteilt, deren jeder einen Abgeordneten auf fünf Jahre wählt. Das aktive Wahlrecht beginnt mit dem 20., das passive mit dem 24. Lebensjahr. Präsident und Vizepräsident des Magnatenhauses werden vom König ernannt, den Präsidenten und beide Vizepräsidenten des Abgeordnetenhauses dagegen wählt dieses selbst. Für Kroatien-Slawonien (s. d., S. 722) besteht ein besonderer Landtag. An der Spitze der Komitate und 26 Munizipalstädte stehen vom König ernannte Obergespäne und von den Munizipalausschüssen gewählte Vizegespäne, bez. Bürgermeister. Die Munizipalausschüsse bestehen zur Hälfte aus Höchstbesteuerten (Virilisten), zur Hälfte ausgewählten Mitgliedern, üben das Selbstverwaltungsrecht aus und wählen ihre Beamten. Seit 1876 besteht in jedem Munizipium zur Überwachung der Verwaltung ein Verwaltungsausschuß von 20 Mitgliedern. Die übrigen Städte und Gemeinden stehen unter der Aussicht der Komitate, die in 421 Stuhlrichteramtsbezirke geteilt sind. Die verantwortliche Regierung des Landes besteht aus zehn Ministern (Ministerpräsident, Minister des Innern, Finanz-, Justiz-, Ackerbau-, Handels-, Landwehr-[Honvéd-] Minister, Minister für Kultus und Unterricht, für Kroatien und Slawonien und am königlichen Hoflager).

Die Rechtspflege ist seit 1867 von der Verwaltung getrennt. In U. mit Fiume und Kroatien-Slawonien bestehen 458 Bezirks- (Einzel-) Gerichte und 76 Gerichtshöfe als Gerichte I. Instanz, 12 Gerichte II. Instanz (königliche Tafeln) und 2 Gerichte III. Instanz (königliche Kurie und oberster Kassations- und Gerichtshof in Budapest und Agram); ferner wirken ein Kronanwalt, 12 Oberstaatsanwalt- und 74 Staatsanwaltschaften sowie 20 Notariats- und 30 Advokatenkammern.

Die finanzielle Lage, auf Grund des Ausgleichs von 1867 fast völlig selbständig, gestaltet sich seit 1889 stets günstiger, und die Jahresschlußrechnungen ergeben einen bedeutenden Überschuß. Der Voranschlag für das Jahr 1908 beträgt in Ausgaben (samt Investitionen): 1,396,988,349 Kronen, in Einnahmen: 1,397,010,414 Kronen.

Von den Staatseinnahmen und -Ausgaben entfielen 1908 (in Millionen Kronen) auf:

Tabelle

Das Staatsvermögen wird auf 7251 Mill. Kr. geschätzt, die Staatsschuld beträgt 5426 Mill. Kr.; hierzu kommt die 30 proz. Quote an der gemeinsamen Staatsschuld (s. Österreichisch-Ungarische Monarchie, S. 212). Über das Heerwesen ebenda, S. 212 ff. – Das Wappen des Königreichs U. s. Tafel »Österreichisch-Ungarische Länderwappen«, mit Beschreibung. Die Nationalfarben sind Rot, Weiß und Grün (s. Tafel »Flaggen I«). Der einzige ungarische Orden ist der Stephansorden (s. d. 1).

[Geographisch-statistische Literatur.] Vgl. außer den bereits angeführten Werken: J. Hunfalvy, Physikalische Geographie des ungarischen Reiches (magyar., Pest 1863–65, 3 Bde.) und Allgemeine Geographie (magyar., Bd. 2, 1886); Schwicker, Das Königreich U. (in dem Sammelwerk »Die Länder Österreich-Ungarns«, Wien 1886); »Die Österreichisch-Ungarische Monarchie in Wort und Bild«, Bd. 5, 9, 12, 16, 18, 21 u. 23 (das. 1889–1902); P. Hunfalvy, Ethnographie Ungarns (deutsch von Schwicker, Budap. 1877); die U. betreffenden Bände von Hunfalvy (über die Ungarn oder Magyaren), Schwicker (die Deutschen, Zigeuner), Slavici (die Rumänen), Vilovsky (die Serben im südlichen U.) des Werkes »Die Völker Österreich-Ungarns« (Teschen 1881–86); Löher, Die Magyaren und andre Ungarn (Leipz. 1874); Wlislocki, Aus dem Volksleben der Magyaren (Münch. 1892) und Volksglaube und religiöser Brauch der Magyaren (Münster 1893) und weitere Literatur bei Artikel »Magyaren«; die Veröffentlichungen des königlichen ungarischen Statistischen Amtes, insbes. das »Statistische Jahrbuch«, und die »Resultate der Volkszählung 1900« (8 Bde.); die statistischen Werke (magyar.) von Pisztóry, B. Földes, Frz. Kovács, L. Láng, Matlekovics, Thirring (»Die Auswanderung. 1904«); Vautier, La Hongrie économique (Par. 1893); »La Hongrie et Budapest« (2. Aufl., Budap. 1902); J. Jekelfalussy, Der 1000jährige ungarische Staat und sein Volk (das. 1896); »Volkswirtschaftliche Mitteilungen aus U.« (Wien 1899 ff.); Al. Matlekovics, Das Königreich U., volkswirtschaftlich und statistisch dargestellt (Leipz. 1900, 2 Bde.); S. Székely, Politisches und volkswirtschaftliches Jahrbuch (magyar., 1899 ff.); Radó, Das Deutschtum in U. (Berl. 1903); Bunzel, Studien zur Sozial- und Wirtschaftspolitik Ungarns (Leipz. 1902); Jos. Ajtay, Die Entwickelung des Magyarentums während der letzten 200 Jahre (magyar., Budap. 1905); G. Czirbus, U. am Beginn des 20. Jahrhunderts (magyar., das. 1906); Kormos, Kompaß (magyar., erscheint jährlich); die Ortslexika von Jekelfalussy (5. Aufl., Budap. 1893) und Dvorzsák (das. 1898, 2 Bde.); Reisehandbücher von BädekerÖsterreich-Ungarn«, 27. Aufl., Leipz. 1907), Meyer (7. Aufl., das. 1903). Karten: Spezialkarte des Königreichs U. (1:144,000 in 140 Blättern, seit 1869); Steinhauser, Orts- und Straßenkarte des Königreichs U. (1:1,296,000,1882); »Geologische Karte von U.,«, herausgegeben von der Ungarisch-geologischen Gesellschaft (Budap. 1896); »Administrative Übersichtskarte von U.« (das. 1906); »Handatlas der ungarischen Komitate« (34 Blätter, das. 1905). Vgl. auch die allgemeinen Werke und Karten bei den Artikeln »Österreich, Karpathen, Kroatien-Slawonien und Siebenbürgen«.

Geschichte

U., dessen südwestlicher Teil seit Kaiser Augustus die Provinz Pannonien (s. d.) bildete, während das von Kaiser Trajan 107 n. Chr. eroberte Siebenbürgen Dacien genannt wurde, geriet während der Völkerwanderung in die Hände der Goten, Hunnen, Gepiden, Langobarden und Awaren. Um 800 n. Chr. gliederte Karl d. Gr. das Awarenland dem Frankenreich an. Außer Franken saßen im ehemaligen Pannonien auch Slowenen, im Nordwesten (zum großmährischen Reich gehörend) Slowaken; im Osten und Süden fanden sich versprengte Reste von Awaren und bulgarische Ansiedler vor. Viele Gebiete waren herrenlos. Um 895–896 nahmen die Magyaren unter Árpáds Führung das Land in Besitz, eroberten im Bunde mit Kaiser Arnulf das nordwestliche Gebirgsland, dann aber auch das Gebiet der Franken. Als beutegieriges Steppenvolk setzten sie ihre Züge gegen Westen auch weiterhin fort, bis sie, von Heinrich I. bei Riade (933) und von Otto d. Gr. 955 am Lechfeld aufs Haupt geschlagen, sich unter Herzog Géza (972–997) hinter den Grenzen der Ostmark zu seßhaftem Leben und Annahme des christlichen Glaubens bequemten.

Könige aus dem Hause Árpads [1001–1301].

Gézas Sohn, der schon als Kind getaufte Stephan I. (der Heilige) organisierte die christliche Kirche, zwang die noch heidnischen Magyaren zur Annahme des Christentums, besiegte die Teilfürsten Gyula (in Siebenbürgen) und Achtum (im Süden), erbat vom Papst Silvester II. den Königstitel und ließ sich mit der erhaltenen Krone 1001 krönen, erließ strenge kirchliche und weltliche Gesetze und organisierte das in Komitate eingeteilte Land. Dem Adel und dem Klerus wurden große Vorrechte und Steuerfreiheit eingeräumt. Auf Stephan folgte sein Neffe Peter (1038–41), dessen gewalttätige Natur und Vorliebe für Ausländer einen Aufstand der nationalen Heidenpartei hervorriefen. Peter wurde 1041 vertrieben, besiegte zwar mit Hilfe Kaiser Heinrichs III. seinen Gegner, Aba Samuel, wurde aber, weil er U. von Heinrich III. zu Lehen genommen, 1046 aufs neue abgesetzt und geblendet. Ihm folgte Andreas I. (1046–60), der zwar das Christentum wieder befestigte, aber von seinem populären Bruder Béla I. entthront wurde. Nach Bélas frühem Tod erhielt der Sohn Andreas', Salomon, mit Hilfe seines Schwagers, Kaiser Heinrichs IV., die Krone (1063), wurde aber 1074 von Bélas Sohn Géza I. vertrieben. Diesem folgte sein ritterlicher Bruder Ladislaus I. (der Heilige, 1077–95), der 1091 Kroatien erwarb. Sein Neffe Koloman (1095–1116) eroberte Dalmatien, entsagte aber anderseits der Investitur und führte das Zölibat in U. ein. Auf die Regierungen Stephans II. (1116–31), Bélas II., des Blinden (1131–41), folgte Géza II. (1141–61), der viele deutsche Kolonisten ins Land zog (»Sachsen«). Sein Sohn Stephan III. (1161–1172) hatte gegenüber Kaiser Manuel von Byzanz und dessen Schützlingen, Ladislaus und Stephan IV., einen um so schwerern Stand, weil zu gleicher Zeit auch Kaiser Friedrich I. Rotbart U. bedrohte. Erst Béla III. (1172–96) gelang es, der Einmischung der Griechen ein Ende zu machen und Dalmatien zurückzuerobern. Unter seinem Sohn Emmerich (1196–1204) gewann Papst Innozenz III. großen Einfluß; auch hatte Emmerich mit seinem jüngern Bruder Andreas zu kämpfen, der 1235 dessen Witwe samt ihrem Knaben aus dem Lande jagte. Die Regierung Andreas' II. (1205–35), eines Sohnes von Béla III., gestaltete sich überaus unheilvoll (s. Bánk ban). Nach einem erfolglosen Kreuzzug mußte er in der Goldenen Bulle von 1222 die alten Freiheiten des Adels bestätigen und auch dessen Recht, dem König bewaffneten Widerstand leisten zu dürfen, anerkennen. Unter Béla IV. (1235–70) brach der Mongolensturm über das geschwächte Land herein (1241–42), das nach Abzug der Tataren zum größten Teil durch deutsche Kolonisten neu besiedelt werden mußte. Erst jetzt fand das Lehnswesen in U. Eingang, und schon Béla, noch mehr aber seine Nachfolger, hatten mit ihrem trotzigen Lehnsadel zu kämpfen. Bélas Sohn und Enkel Stephan V. (1270–72) und Ladislaus IV., der Kumanier (1272–90), mußten auch gegen Ottokar II. von Böhmen wegen der Erbschaft der Babenbergerins Feld ziehen, und das ungarische Heer entschied 1278 den Sieg Rudolfs von Habsburg über Ottokar. Nach der Ermordung des unwürdigen Ladislaus folgte Andreas III., der Venezianer. Mit ihm erlosch 14. Jan. 1301 der Mannesstamm der Árpáden.

Wahlkönige aus verschiedenen Häusern (1301–1526).

Zunächst erlangte Wenzel von Böhmen, ein Urenkel Andreas' II., die Krone (1301–05), die er aber dem Herzog Otto von Bayern überließ (1305–08). Schließlich erwählten aber die Stände 1308 den von der Kurie unterstützten Prätendenten Karl Robert von Anjou (Neapel), der eine glänzende Regierung führte (Einführung des Banderialsystems, Ordnung der Finanzen, Einführung abendländischer Sitten, Wissenschaften und der Ritterspiele). Noch glänzender gestaltete sich die Regierung seines Sohnes Ludwig I., des Großen (1342–82), der vorübergehend auch das eroberte Neapel beherrschte, 1370 zum König von Polen erwählt wurde, seine Oberhoheit über die nördlichen Balkanländer ausbreitete und Dalmatien von Venedig zurückeroberte. Er schützte den Adel vor Verarmung, zog ihn aber zur Führung der Banderien heran, bekehrte die letzten Reste der heidnischen Kumanen und die Bogumilen des Balkans, gründete 1367 die erste ungarische Universität etc. In Polen, das sich schon 1386 von U. lostrennte, folgte ihm seine Tochter Hedwig; in U. die ältere Tochter Maria, in deren Namen die Königin-Witwe Elisabeth ein Günstlingsregiment führte. Aus diesem Grunde rief der kroatisch-dalmatinische Adel Karl den Kleinen von Neapel zu Hilfe, der aber nach wenigen Wochen 1387 in Ofen ermordet wurde. Seine Anhänger nahmen hierauf Maria gefangen und töteten deren Mutter. Erst nach der Freilassung Marias erlangte auch ihr Gemahl, König Siegmund (s. d. 1), teilweise Anerkennung; nach Marias Tod (1395) regierte er unter Kämpfen mit dem Adel, insbes. in Bosnien, allein weiter. Nach einem verunglückten Kreuzzug gegen die Türken (1396) nahm ihn der wegen seines Leichtsinns und seiner Willkür empörte Adel und Hochklerus 1401 gefangen. Während dieser Wirren ging Dalmatien (1409) an Venedig verloren, und die Balkanstaaten gerieten immer mehr in den Machtkreis der Türken. Noch sei bemerkt, daß Siegmund 1405 auch Vertreter der Städte in den Reichstag berief.

Im J. 1437 wurde sein Schwiegersohn Albrecht von Österreich und nach seinem 1439 erfolgten Ableben der junge und tapfere Jagellone Wladislaw I. von Polen erwählt (1440–44), der im Verein mit Johannes Hunyadi die Türken auf dem Balkan besiegte, bei Warna aber das Leben verlor, worauf der nachgeborne Sohn Albrechts, Ladislaus V. Posthumus, zum König erwählt wurde. Da aber Kaiser Friedrich III. den Knaben nicht freigab, wurde 1446 der Nationalheld Johannes Hunyadi zum Reichsverweser (Gubernator) erwählt, der 1456 an der Spitze eines Kreuzzugs mit Kapistran Belgrad glänzend entsetzte. Als bald darauf Ladislaus V. an dem jungen Ladislaus Hunyadi unwürdige Rache nahm. mußte er flüchten, und nach seinem Tode wurde der zweite Sohn Hunyadis, Matthias I. Corvinus, erwählt. Unter ihm (1458–90) erlebte U. seine zweite Glanzzeit. Er besiegte den unbotmäßigen Hochadel, der es mit Friedrich III. hielt, schlug wiederholt die Türken, ließ sich statt des Böhmenkönigs Georg Podiebrad in Olmütz krönen und entriß dessen Nachfolger Wladislaw Mähren, Schlesien und die Lausitz. Friedrich III. aber verjagte er aus seinen Erblanden und verlegte seine Residenz in die Wiener Burg. Mit schrankenloser Energie und großen Opfern bemühte er sich, die humanistischen Studien und die Künste der Renaissance in U. heimisch zu machen (Corvina, Universität). Nach seinem Tod erwählten die der starken Hand Matthias' überdrüssigen Stände den schwachen und unfähigen Wladislaw II. von Böhmen (Jagellone, 1490–1516), der, dem Verbot der Stände trotzend, mit Max von Österreich eine Erbverbrüderung abschloß und seine Kinder Ludwig und Anna mit dessen Enkeln Maria und Ferdinand verlobte. Der blutige Bauernaufstand unter Dózsa (1514) gab dem Adel Veranlassung, durch Verböczi im »Tripartitum« seine Vorrechte auszeichnen zu lassen. Wladislaws Sohn Ludwig II. fiel 29. Aug. 1526 in der Schlacht bei Mohács gegen Sultan Suleiman.

Ungarn unter den Habsburgern (seit 1526).

Da der niedere Adel im Sinne des 1515 geschaffenen Gesetzes in der Person Johann Zápolyas einen nationalen König erwählte und krönte, während ein Teil des Hochadels Ferdinand I. von Österreich zum König ausrief, der gleichfalls die Verfassung beschwor, entstand ein verderblicher Thronzwist, der die Zweiteilung des Landes, die angesuchte Unterstützung Johanns durch den Sultan und schließlich die dauernde Festsetzung der Türken zur Folge hatten. Nach dem Tode Zápolyas (1540) sollte zwar seine Reichshälfte, in erster Linie Siebenbürgen im Sinne des Großwardeiner Vertrags, an Ferdinand fallen, da aber der Vertrag in die Brüche ging, beeilte sich Martinuzzi (s. d.), für den ihm anvertrauten minorennen Sohn Zápolyas, Johann Siegmund, Siebenbürgen unter dem Schutz des Sultans als selbständiges Fürstentum zu organisieren. 1551 übergab zwar Martinuzzi Siebenbürgen dennoch Ferdinand, aber die Ermordung Martinuzzis zog die abermalige Trennung nach sich. In U. selbst breitete sich die Türkenherrschaft immer mehr aus; 1541 fiel auch Ofen in die Hände Suleimans, dem Ferdinand einen jährlichen Tribut entrichten mußte. Das Land zerfiel nun in drei getrennte Teile: in das Ferdinand verbliebene Drittel mit Preßburg als Hauptstadt, in Siebenbürgen mit den angrenzenden Teilen und Weißenburg als Zentrum und in das vom Sultan beherrschte Drittel unter dem Pascha von Ofen. Einen Trost bot nur das zumeist durch die Reformation bewirkte Aufblühen der nationalen Literatur und der Schulen. Unter Maximilian (1564–76) eroberte Suleiman das von Nik. Zrínyi heldenmütig verteidigte Szigetvár. Rudolf (1576–1608) unternahm im Bunde mit Sigismund Báthory von Siebenbürgen abermals den Versuch, die Türken zu vertreiben, was einen 15jährigen furchtbaren Krieg zur Folge hatte. Auch begann unter Rudolf die Gegenreformation ihr Werk. Die von den Jesuiten unternommene Bekehrung der Protestanten wurde von den kaiserlichen Generalen (Basta) mit Waffengewalt unterstützt. Dies hatte die erste große nationale Erhebung unter Stef. Bocskai (1604) zur Folge, der Rudolf im Wiener Frieden (1606) zur Anerkennung der Verfassung und Glaubensfreiheit zwang, anderseits aber den Zsitvatoroker Friedensschluß mit den Türken vermittelte, der Rudolf der Tributpflicht entband. Als Rudolf die eingegangenen Verpflichtungen nicht einhielt, wurde er von seinem Bruder Matthias 1608 mit ständischer Hilfe abgesetzt. Matthias II., durch Siechtum gelähmt, vermochte den Erwartungen nicht zu entsprechen, und unter seinem intoleranten Neffen und Nachkommen Ferdinand II. (1619–37) gelang dem Primas Pázmány die Wiederbekehrung des Hochadels, wodurch die Protestanten im Reichstag die Majorität verloren; nach dem Tode Thurzós mußten sie auch die Palatinswürde an die Katholiken abgeben. Im Rahmen des Dreißigjährigen Krieges, im Bunde Frankreichs und Schwedens, kamen die Fürsten von Siebenbürgen, Gabr. Bethlen und Georg Rákóczi I., den bedrängten ungarischen Protestanten zu Hilfe und erzwangen von Ferdinand II. und seinem Nachfolger Ferdinand III. im Friedensvertrag von Nikolsburg (1621) und Linz (1645) die Anerkennung der ungarischen Verfassung sowie die Abtretung von sieben oberungarischen Komitaten. Trotzdem nahmen die politischen und religiösen Verfolgungen auch unter Leopold I. (1657–1705), insbes. nach Unterdrückung der Adelsverschwörung Wesselényis, ihren Fortgang. Ein von den Türken unterstützter Kuruzzenaufstand unter Thököly war die Folge. Der letzte große Vorstoß des Halbmondes brach aber unter den Mauern Wieus zusammen (1683), und hierdurch ermutigt, unternahmen Leopold I. unter tätiger Mitwirkung des Abendlandes und der zu Leopold übertretenden Kuruzzen die Befreiung des Landes. 1686 umrde Ofen zurückerobert, 1699 siegte Eugen von Savoyen bei Zenta, und der Friede von Karlowitz (1699) machte der Türkenherrschaft in U. mit Ausnahme des Banats ein Ende. Leider kam es zu abermaligen Verfolgungen, das Blutgericht von Preßburg und (unter Caraffa) in Eperies lieferten dem Henker und den Galeeren manches Opfer, bis der Preßburger Reichstag (1687) das Erbrecht des Hauses Habsburg im Mannesstamm anerkannte und die Resistenzklausel der Goldenen Bulle beseitigte. Der von Ludwig XIV. angezettelte Freiheitskampf unter Franz Rákóczi II. (s. d.) verlief zwar im Sand, bewog aber Josephs I. Nachfolger, Karl III. (1711–40), im Frieden von Szatmár (171 1) zur Wiederherstellung der alten Verfassung. Mit der Durchführung dieser Aufgabe, Sicherung der Konstitution, Einführung von regelmäßig wiederkehrenden Reichstagen sowie mit der Reorganisation der höchsten Behörden (Hofkanzlei, Statthalterei, Finanzkammer und der Gerichtsbehörden) beschäftigte sich der dreijährige Reichstag von Preßburg (1712–1715), der auch das stehende Heer und die Heeressteuer einführte. Auch wurden viele fremde Kolonisten in das verödete Banat berufen, das Prinz Eugen 1716–18 den Türken entrissen hatte. Trotz des zweiten, unglücklichen Türkenkriegs (1736–38) blieben die Grenzen (Save und Donau) auch fernerhin geltend.

Nach Karls III. Tod (20. Okt. 1740) bestieg kraft der von den Ständen 1722/23 angenommenen Pragmatischen Sanktion seine Tochter Maria Theresia den Thron (1740–80), den sie mit Hilfe der opferwilligen StändeVitam et sanguinem«) gegen halb Europa verteidigte. Aus Dankbarkeit war die Königin dann eifrig um die Hebung der Kultur und des materiellen Fortschritts bemüht. Da indes die sich an ihre Vorrechte klammernden Stände von den zeitgemäßen Reformen (Besteuerung des Adels, Verbesserung des Loses der Hörigen) nichts hören wollten, berief sie nach 1763 keinen Reichstag mehr und führte die Reformen, soweit tunlich, im Verordnungswege durch (Urbarium, Verbesserung des Schulwesens unter der Oberaufsicht des Staates). Joseph II. (1780–90) setzte die Reformen mit Hast fort. Um durch den Krönungseid nicht gebunden zu sein, nahm er von der Krönung ganz Abstand, folgedessen dann selbst seine zeitgemäßen Erlasse mit Argwohn empfangen wurden. Gleichwie in Österreich, zog er auch in U. Klöster ein, gab den Protestanten ein Toleranzedikt (das sie nicht befriedigte), bekämpfte die Standesunterschiede, den Zunftzwang, vor allem aber die Begründung der geplanten einheitlichen Gesamtmonarchie erschwerende Autonomie der Komitate. Durch ein neues Grundsteuergesetz (das indirekt zur Empörung der walachischen Bauern gegen ihre ungarischen Grundherren beitrug), durch Einführung der deutschen Amtssprache und durch hundertfältige Verletzung der Verfassung erbitterte er den Komitatsadel derart, daß Baron Hompesch an der Spitze einer Deputation die ungarische Krone dem König von Preußen und dann Karl Wilhelm von Weimar anbot. Während des unglücklich verlaufenden Feldzugs gegen die Türken schwer erkrankt, mußte Joseph angesichts des Zusammenbruchs seines Systems fast alle seine Erlasse zurückziehen. Sein Bruder Leopold II. (1790–92) beeilte sich, zur Besänftigung der Gemüter sofort den Reichstag zu berufen und sich krönen zu lassen; die Stände aber verschanzten die gefährdete Verfassung mit neuen Garantien. Franz I. (1792–1835) lenkte dagegen unter der Nachwirkung der Ereignisse der französischen Revolution, insbes. aber seit der Entdeckung der Martinovichischen Verschwörung wieder zurück ins absolutistische Fahrwasser und berief Reichstage nur, um sich Geld und Soldaten bewilligen zu lassen. Die Stände zeigten sich stets opferwillig, wie ja auch die Lockung Napoleons zum Abfall von Franz ungehört verhallt war. Metternich aber berief trotzdem von 1812–25 keinen Reichstag, trieb eigenmächtig die erhöhten Steuern ein, hob Rekruten aus und bereitete die Einverleibung des erschöpften Landes in Österreich vor.

Wider Erwarten sah sich aber Metternich durch das mutige Auftreten einiger Komitate und die zu neuem Leben erwachte patriotische Literatur zur Einberufung eines neuen Reichstags gezwungen. Damit trat U. in die Epoche der Reformreichstage (1825–1848), denen es seine Wiedergeburt und seine Umwandlung in einen modernen Staat verdankt. Die Reformpartei, die vorerst dem Grafen Stefan Széchenyi, dem Begründer der Ungarischen Akademie. später Deák, Kölcsei und schließlich Ludwig Kossuth folgte, hatte nicht nur mit dem Widerstand des Wiener Hofes, sondern auch mit den altkonservativen und reaktionären Elementen des Magnatenhauses zu kämpfen, schritt aber dennoch, obgleich schrittweise, immer vorwärts. Schon der Preßburger Reichstag von 1832 bis 1836 verbesserte das Los der Hörigen. Unter Ferdinand V. (1835–48) wurde die magyarische Sprache bei den höchsten Behörden, später auch (neben der lateinischen) als Sprache der Gesetze eingeführt; 1839–40 den Leibeigenen die Möglichkeit der Freizügigkeit geboten; 1843–44 die Zulassung Nichtadeliger zu den bisher dem Adel vorbehaltenen Ämtern ausgesprochen, außerdem die einheimische Industrie möglichst unterstützt etc. Nachdem ein letzter Versuch Metternichs, die in den Komitaten wurzelnde Macht der Opposition durch Administratoren zu brechen, gescheitert war, und die zwei Gruppen der Opposition: die Doktrinären oder Zentralisten (Eötvös, Lad. Szalay, Trefort) und die Komitatsautonomisten (Kossuth) sich auf dem von Franz Deák entworfenen Programm am Vorabend der Wahlen vereinigt hatten, errang die liberale Opposition einen großen Sieg, und Ferdinand V. eröffnete den Reichstag in Preßburg 12. Nov. 1847 mit einer ungarischen Rede.

Die Revolution von 1848/49 und ihre Folgen.

Die Nachrichten vom Ausbruch der Pariser Februarrevolution und der Märzereignisse in Wien bewog auch die Opposition zu energischem Auftreten. Ihre Wünsche zielten auf Einführung einer neuen demokratisch-liberalen Konstitution und Ernennung eines ungarischen, verantwortlichen Ministeriums (an Stelle der alten Hofbehörden). Auf Antrag Kossuths übergab eine Deputation des Reichstags 16. März in Wien dem König eine Adresse mit diesen Forderungen, die Ferdinand V. auch bewilligte. Graf Ludwig Batthyány wurde zum Ministerpräsidenten, Deák, Kossuth, Széchenyi, Szemere und andre Liberale zu Kabinettsmitgliedern ernannt. Der Reichstag schaffte hierauf die Leibeigenschaft samt allen Lasten und Roboten ab; auf den Zehnten verzichtete der Klerus aus eignem Antrieb. Die Gleichheit vor dem Gesetz, die Gleichberechtigung aller christlichen Religionen, die Union mit Siebenbürgen wurde ausgesprochen, Preßfreiheit und Schwurgerichte eingeführt und die Umwandlung des Ständetages in eine aus direkten Wahlen hervorgehende Volksvertretung festgesetzt. Nachdem der König 11. April am Schluß des Reichstags die 48er Grundgesetze genehmigt hatte, schritt das nach Pest übergesiedelte Ministerium an die Durchführung derselben, mußte sich aber bald mit der feindseligen Haltung mehrerer nichtmagyarischer Nationalitäten beschäftigen, denen der straffe magyarische Einheitsstaat verhaßt war. Zunächst sagten sich die Kroaten, dann die Rumänen von U. los (s. Siebenbürgen). Erstere scharten sich um den von Wien aus 23. März ernannten Banus, General Jellachich. – Der neugewählte ungarische Reichstag bewilligte dem Ministerium 11. Juli 200,000 Mann Landwehr (Honvéd) und 42 Mill. Gulden zur Unterdrückung der südslawischen Lostrennungsgelüste. Aber der Hof, ermutigt durch die Siege Radetzkys in Italien, verweigerte die Genehmigung dieser Beschlüsse. Als der Reichstag auf Kossuths Antrag energisches Einschreiten gegen den kroatischen Aufstand, Verlegung des Hoflagers nach Pest und Rücksendung aller ungarischen Regimenter in die Heimat verlangte, wurden auch diese Forderungen 9. Sept. abgelehnt und der bisher verleugnete Jellachich in seine Ehren und Würden wieder eingesetzt. Jellachich rückte hierauf (11. Sept.) mit dem kroatischen Heer über die ungarische Grenze, indem er in einer Proklamation die Errichtung eines österreichischen Gesamtstaates als sein Ziel verkündete. Der Reichstag ernannte nun den Erzherzog-Palatin Stephan zum Oberbefehlshaber der ungarischen Armee und übertrug, als dieser auf Befehl des Hofes seine Würde niederlegte, die Leitung der Verteidigung einem Ausschuß unter Kossuths Vorsitz. Der vom Kaiser zum Oberkommandanten von U. und königlichen Kommissar ernannte Graf Lamberg wurde vom Reichstag nicht anerkannt und 28. Sept. vom Pöbel auf der Brücke zwischen Ofen und Pest ermordet. Damit war der offene Krieg erklärt. Am 29. Sept. kam es bei Velencze zum ersten Treffen zwischen Kroaten und Ungarn, in dem Jellachich geschlagen und gegen Wien zurückgedrängt wurde. Aber schon 3. Okt. löste ein kaiserliches Manifest den ungarischen Reichstag auf, erklärte seine Beschlüsse für nichtig und ernannte Jellachich zum Alter ego des Kaisers in U. Der Wiener Oktoberaufstand verzögerte die kriegerischen Maßregeln gegen U.; aber da die noch ungeschulten Honvéds Wien zu spät zu Hilfe kamen und 30. Okt. bei Schwechat zum Rückzug gezwungen wurden, fiel Wien 31. Okt. in die Gewalt Windischgrätz', der Mitte Dezember die Kriegsoperationen gegen U. begann. Am 15. Dez. 1848 erklärte der ungarische Reichstag die Abdankung Ferdinands V. für ungültig und erhob gegen die Thronbesteigung Franz Josephs Protest. Windischgrätz rückte 18. Dez. in Preßburg ein und Jellachich schlug Perczel 29. Dez. bei Moór; nur in Siebenbürgen kämpfte der Pole Bem mit Glück. Auch Ofen-Pest mußte 5. Jan. 1849 von den Ungarn geräumt werden, worauf der Reichstag und der Landesverteidigungsausschuß ihren Sitz in Debreczin aufschlugen. Die Sache der Aufständischen schien verloren. Jedoch das unmotivierte Zögern Windischgrätz' gab Kossuth Zeit, die Honvédstreitkräfte zu vermehren und zu sammeln. Görgei, der trotz Schnee und Eis im Januar nach den Bergstädten und dann bis Kaschau gedrungen war, nötigte den aus Galizien vorgedrungenen General Schlik zum Rückzug und stellte die Verbindung der ungarischen Armeen untereinander und mit der Regierung in Debreczin her. Leider machte sich jedoch bald das Zerwürfnis zwischen Görgei und Kossuth fühlbar, der zum Oberbefehlshaber den unfähigen Polen Dembinski ernannt hatte. Dembinski verlor 26. und 27. Febr. die Schlacht von Kápolna gegen Windischgrätz, dem es gelang, sich mit Schlik zu vereinigen. Wiederum gestattete Windischgrätz' Untätigkeit Kossuth, seine Rüstungen zu vollenden und insgesamt 112 Infanteriebataillone und 6 Husarenregimenter aufzustellen. Mit dem reorganisierten und verstärkten Heer ergriff nun im April 1849 der neue Oberbefehlshaber Görgei die Offensive und errang eine Reihe von glänzenden Siegen bei Szolnok (5. März), Isaszeg, Waitzen (9. April) und Nagy-Sarló (19. April) über Windischgrätz und, nach dessen Abberufung, über Welden und entsetzte 26. April schließlich Komorn. Infolgedessen zogen sich die Österreicher von Pest in Unordnung auf Preßburg zurück. Auch aus Siebenbürgen und dem Banat wurden die österreichischen Truppen durch Bem und Perczel vertrieben. Das war der Höhepunkt des Freiheitskampfes.

Durch diese Siege verleitet und gleichsam als Antwort auf das kaiserliche Manifest vom 4. April, das die Einverleibung Ungarns in die österreichische Gesamtmonarchie aussprach, beschloß der Reichstag in Debreczin 14. April auf Kossuths Antrag die Absetzung der habsburg-lothringischen Dynastie und die völlige Selbständigkeit des ungarischen Staates und aller seiner Nebenländer. Dieser Beschluß, der nebst der Ernennung Kossuths zum Gubernator (Kormányzó) 15. April in einem besondern Manifest der Nation verkündet wurde, entzog den Ungarn den sichern Rechtsboden und störte die bisherige Einmütigkeit der Nation; Görgei mißbilligte ihn entschieden und unterließ es auch, seine Siege auszunutzen. Er kehrte vielmehr von Komorn nach Ofen zurück und begann die Belagerung der Festung, die, von Hentzi tapfer verteidigt, 21. Mai erstürmt wurde, worauf Regierung und Reichstag von Debreczin nach Pest zurückkehrten. Mittlerweile hatte aber Kaiser Franz Joseph in Warschau den Zaren Nikolaus um Intervention und Hilfe angerufen. Der Zar entsendete bereitwilligst insgesamt 181,471 Mann zur Niederwerfung Ungarns. Als erste rückten russische Truppen unter Lüders durch den Rotenturmpaß in Siebenbürgen ein und eroberten Hermannstadt; die Hauptarmee unter Paskewitsch, über 130,000 Mann stark, überschritt von Galizien aus die Karpathen und besetzte Kaschau. Auch Österreich verstärkte seine Streitkräfte und stellte an. deren Spitze den rücksichtslos harten General Haynau. Die ganze gegen U. verfügbare reguläre Streitmacht belief sich auf 275,000 Mann mit 600 Geschützen, denen die Ungarn nur 135,000 Mann entgegenstellen konnten. Während Bem aus Siebenbürgen vor der Übermacht der Verbündeten nach dem Banat zurückweichen mußte, Jellachich 7. Juni Perczel besiegte und Peterwardein einschloß, Haynau 28. Juni Raab erstürmte, blieb Görgei hartnäckig bei Komorn stehen, lieferte daselbst noch 2. Juli eine unentschiedene Schlacht und verließ es erst 12. Juli, nachdem 9. Juli die Regierung zum zweitenmal Pest hatte verlassen müssen und nach Szegedin geflohen war. Am 13. Juli zogen die Österreicher unter Haynau wieder in Pest ein. Der Sieg Görgeis über die Russen bei Waitzen (17. Juli) konnte nichts mehr nützen, und Görgei vermochte nur in Gewaltmärschen den Russen in der Richtung der Theiß zu entkommen. Haynau rückte unterdessen gegen Szegedin vor und schlug Dembinski 5. Aug. bei Szöreg und Bem 9. Aug. bei Temesvár und schnitt so den Ungarn die Rückzugslinie nach Süden ab. Kossuth dankte hierauf, von Görgei aufgefordert, 11. Aug. in Acad ab und übertrug Görgei die Diktatur. Au der Möglichkeit fernern Widerstandes verzweifelnd, faßte der neue Diktator im Einverständnis mit dem Kriegsrat den Beschluß, sich nicht den verhaßten Österreichern, sondern den Russen zu ergeben, und streckte 13. Aug. mit 22,000 Mann bei Világos vor General Rüdiger bedingungslos die Waffen. Seinem Beispiele folgten 17. Aug. Damjanich in Arad u. a.; nur Komorn wurde von Klapka hartnäckig verteidigt, bis es 27. Sept. eine ehrenvolle Kapitulation erlangte.

Daß die Ungarn die Unterwerfung unter den hochmütigen Zaren der direkten Verständigung mit der österreichischen Regierung, der sie übrigens von Rußland auf Gnade oder Ungnade überliefert wurden, vorzogen, war für die Österreicher beleidigend. Von den gefangenen Häuptern der Insurrektion (mehreren, wie Kossuth u. a., war die Flucht nach der Türkei geglückt) blieb nur Görgei auf russische Intervention verschont; 13 Honvédgenerale und Oberste wurden auf Haynaus Befehl 6. Okt. in Arad teils erschossen, teils gehenkt, Graf Ludwig Batthyány und andre vornehme politische Führer in Pest zum Tode durch den Strang verurteilt; ihre Güter verfielen der Konfiskation. Den Hinrichtungen folgten zahllose Verurteilungen zu mehrjähriger Kerkerhaft und Einreihung in die österreichische Armee. Die ungarische Verfassung wurde für verwirkt erklärt und U. zu einem bloßen Kronland des neuen österreichischen Gesamtstaates umgewandelt, die Nebenländer Siebenbürgen, Kroatien und Slawonien und das Temescher Banat von der ungarischen Krone getrennt und zu selbständigen Kronländern erhoben. Erst im Juli wurde Haynau, der das Standrecht mit blutiger Strenge handhabte, abberufen. Nachdem der Kaiser im Herbst 1851 den Erzherzog Albrecht zum Gouverneur von U. ernannt und 1852 selbst das Land besucht hatte, wurde den kriegsgerichtlichen Prozessen ein Ende gemacht und eine teilweise Amnestie erlassen. Mittlerweile hatte sich im Auftrag des Ministers Bach ein Strom deutscher und böhmischer Beamten über U. ergossen, die das Land in die zentralisierte Gesamtmonarchie einfügen sollten; der Volksmund nannte sie »Bachhusaren«. 1853 wurden österreichische Justiz und Verwaltung oktroyiert, ein Grundbuch und ein neuer Kataster eingeführt; für bessere Straßen gesorgt, Eisenbahnbauten aber Privatunternehmungen überlassen. Auch wurden nach der zweiten Rundreise des Kaisers 1857 die ungarische Sprache bei den Gerichten teilweise zugelassen. Die Nation aber, wenn auch niedergedrückt und erschöpft, setzte dem militärischen Polizeiregiment der Wiener Regierung auf Deáks Rat ihren oft erprobten passiven Widerstand entgegen und beharrte auf dem Verlangen nach Wiederherstellung der Verfassung.

Wiederherstellung des ungarischen Staates.

Die Notlage der Monarchie nach dem italienischen Krieg von 1859 zwang die Regierung zur Nachgiebigkeit: nachdem Erzherzog Albrecht durch den in U. gebürtigen General Benedek ersetzt worden und 21. Aug. auch Minister Bach entlassen war, wurde durch das Oktoberdiplom vom 20. Okt. 1860 die veraltete ständische Verfassung Ungarns wiederhergestellt und der Reichstag zur Beratung eines neuen Wahlgesetzes berufen, das eine Vertretung aller Stände ermöglichen sollte. Die fremden Beamten mußten das Feld räumen, die österreichischen Gesetze wurden teilweise aufgehoben, die Komitate wieder ungarischen Beamten übergeben. Die Ungarn forderten aber als Preis der Versöhnung die völlige Wiederherstellung des alten Rechtszustandes mit Einschluß der Gesetze von 1848 und eine allgemeine Amnestie. Im Februar 1861 berief die Regierung gleichzeitig mit der Verkündigung der neuen Reichsverfassung vom 26. Febr. für den Gesamtstaat den Reichstag nach dem Wahlgesetz von 1848 ein; derselbe wurde 6. April eröffnet. Das Unterhaus spaltete sich in zwei Parteien; die Adreßpartei unter Deák wollte den Standpunkt der Nation der Februarverfassung gegenüber in einer Adresse an den Monarchen darlegen und damit den Weg der Verhandlungen betreten; die Beschlußpartei unter Koloman Tisza aber die Rechtsgültigkeit der 1848er Gesetze durch einfachen Beschluß erklären. Nach langen Debatten siegte 5. Juni die Adreßpartei mit 155 gegen 152 Stimmen, aber ihre Adresse, die Personalunion mit Österreich verlangte, wurde vom König abgelehnt. Als der Reichstag darauf in einer zweiten Adresse die Pragmatische Sanktion und die Gesetze von 1848 als die allein annehmbare Grundlage bezeichnete, die Krönung Franz Josephs von der Wiedervereinigung der Nebenländer mit U. abhängig machte, die Beschickung des Wiener verstärkten Reichsrats, auf dem nur die siebenbürgisch-sächsischen und einige rumänische Deputierte erschienen waren, ablehnte und gegen jeden Beschluß desselben protestierte, brach die Wiener Regierung alle weitern Verhandlungen ab; »Wir können warten«, erklärte Schmerling in der Hoffnung, daß U. sich schließlich der Februarverfassung fügen und den Reichsrat beschicken werde. Bis dahin wurde, nachdem der Reichstag 21. Aug. 1861 trotz Protestes aufgelöst worden, wieder absolutistisch regiert. Aber schon 1865 wurde in Wien das »Provisorium« benannte Regierungssystem wieder geändert: das Scheitern des Frankfurter Fürstentages, der Austritt der Tschechen aus dem Wiener Reichsrat etc. (s. Österreich, S. 198 f.) hatte Schmerlings Regierung unhaltbar gemacht. Nach einem neuen Besuch des Kaisers in Pest (6. Jun 1865) wurden die Führer der altkonservativen Partei, Graf Anton Mailáth und Baron Sennyey, an die Spitze der ungarischen Hofkanzlei und Statthalterei gestellt und 14. Dez. 1865 der Reichstag durch Franz Joseph I. persönlich in ungarischer Sprache eröffnet. Die Thronrede versprach die Wiederherstellung der Integrität der ungarischen Krone, erkannte die Rechtskontinuität und die formelle Gültigkeit der Gesetze von 1848 an, forderte aber deren Revision vor der Einführung. Darauf ging Deák, der gemäßigt-liberale Vertrauensmann der Nation, nicht ein, erkannte aber gewisse Angelegenheiten Ungarns und der österreichischen Kronländer für gemeinsam, zeigte sich auch bereit, nach Möglichkeit an den Lasten der österreichischen Staatsschulden teilzunehmen. Damit verließ er den Boden der reinen Personalunion, was zu neuen Verhandlungen führte, die noch nicht zum Abschluß gediehen waren, als wegen des Krieges mit Preußen der Reichstag 26. Juni 1866 geschlossen wurde.

Nach dem unglücklichen Ausgang des Krieges, dessen letzter Akt sich auf ungarischem Boden, bei Blumenau, abspielte (der abenteuerliche Versuch mit der Klapkalegion war mißlungen), erwies sich die Beruhigung der Ungarn als das Notwendigste. Das konservativ-föderalistische Ministerium Belcredi wurde entlassen, und der neue Minister des Äußern, Beust, verständigte sich mit Deák über die Bedingungen des Ausgleichs zwischen U. und Österreich auf der Basis des Dualismus. Dem im November neuerdings einberufenen Reichstag ward 17. Febr. 1867 die Wiederherstellung der Verfassung von 1843 sowie die Einsetzung eines verantwortlichen Ministeriums unter dem Vorsitz des Grafen Julius Andrássy angezeigt. Siebenbürgen und das Banat wurden sofort mit U. wieder verschmolzen, mit Kroatien ward ein Ausgleich vorbehalten, der am 20. Sept. 1868 zustande kam. U. ward als selbständige Reichshälfte anerkannt, die mit der zweiten durch gewisse gemeinsame Angelegenheiten verbunden war, und zunächst auf zehn Jahre ein Zoll- und Handelsbündnis mit Österreich geschlossen. Von den anerkannten Staatsschulden und von den gemeinsamen Ausgaben für das Auswärtige, Heer und Marine übernahm U. damals bloß 30 Proz., stand aber in den Delegationen der österreichischen Reichshälfte ebenbürtig zur Seite. Mit allem Pomp früherer Jahrhunderte erfolgte 8. Juni 1867 in Budapest die feierliche Krönung des Königs und der um die Aussöhnung verdienten Königin, und damit war die Versöhnung der Magyaren mit der Dynastie besiegelt; am 21. Dez. 1867 erhielten die neuen Staatsgrundgesetze die königliche Sanktion. Die heimgekehrten Flüchtlinge schlossen sich ehrlich der neuen Ordnung der Dinge an (nur Kossuth und wenige Unversöhnliche verblieben im Exil); das Volk betätigte bei jeder Gelegenheit seine Loyalität, und der Reichstag, in dem die gemäßigte Deákpartei die entschiedene Mehrheit hatte, nahm 1868 das Wehrgesetz an; die ungarische Landwehr wurde als Honvédarmee unter dem Kommando des Erzherzogs Joseph selbständig organisiert.

Das Bewußtsein des durch Ausdauer und Klugheit errungenen Sieges trieb die Magyaren an, den freiheitlichen Ausbau des Nationalstaates möglichst rasch zu vollenden. Die politische Gleichstellung der Juden, ein Volksschulgesetz u. a. wurden beschlossen. Das Nationalitätengesetz vom 29. Nov. 1868 bestimmte, daß alle Bewohner Ungarns die einheitliche und unteilbare ungarische Nation bilden, die ungarische Sprache Staatssprache sein sollte. Vor allem wollte man die materielle Entwickelung des Landes durch den Bau von Staatseisenbahnen und durch Zinsgarantien für Privateisenbahnen sichern, dadurch belastete aber das Ministerium Lónyay, das im November 1871 an Stelle des Andrássyschen getreten war, den Staatshaushalt so sehr, daß bald ein bedenkliches Defizit in den Einnahmen (1874: 31 Mill.) eintrat und man zu neuen Steuern schreiten mußte; der erwartete ungeheure Aufschwung des Landes erwies sich zunächst als Illusion. Auch die schwachen Ministerien der Deákpartei, die nach Lónyays Rücktritt (im November 1872) die Regierung übernahmen, Szlávy und Bittó, vermochten der Finanznot nicht abzuhelfen, und diese allgemeine Unzufriedenheit und Enttäuschung bewirkte während der schweren Erkrankung Deáks die Auflösung der Deákpartei, an deren Stelle jetzt als herrschende Partei im Reichstag die durch Fusion aus der Deákpartei und dem gemäßigten Teile der bisherigen Opposition gebildete sogen. liberale Partei trat.

Das Haupt der neuen liberalen Regierungspartei war Koloman Tisza, der schon im März 1875 zunächst unter Wenckheim als Minister des Innern, seit 2. Okt. aber als Ministerpräsident die Seele der Regierung wurde. Das Defizit wurde zunächst vom Finanzminister Széll bedeutend gemindert; dann erlangte Tisza bei den Verhandlungen mit Österreich über die Erneuerung des Handelsvertrags für U. eine günstigere finanzielle Stellung durch Erhöhung der Zölle und Anteil an der Nationalbank. Trotzdem schien sich die Lage Ungarns beim Ausbruch der orientalischen Krisis 1875 schwierig zu gestalten. Die Magyaren gaben ihre Sympathien für die Türken geräuschvoll zu erkennen und das bewaffnete Einschreiten Rußlands auf der Balkanhalbinsel im Winter 1877/78 und die Neutralität des Wiener Auswärtigen Amtes erweckten die größten Besorgnisse. In dieser Zeit bewies Tisza staatsmännische Klugheit. Als die trotz des fast einstimmigen Beschlusses des Reichstags durchgeführte Okkupation Bosniens und der Herzegowina 1878 unerwartet große Verluste und Kosten verursachte, so daß Finanzminister Széll (3. Okt.) zurücktrat und die Entrüstung über die unpopuläre Unternehmung in U. aufs höchste stieg, da gelang es Tisza, durch seinen (nicht ernst gemeinten) Rücktritt den Sturm zu beschwichtigen; nach zwei Monaten (im Dezember) wurde er und sein ganzes Kabinett (nur an Stelle Szélls trat Graf Jul. Szapáry) wieder ernannt, und fortan blieb der gewiegte Taktiker und seine ergebene Partei im ungestörten Besitz der Macht. Die Kosten der Okkupation wurden bewilligt, das Wehrgesetz auf neue zehn Jahre genehmigt. Dafür wurde dem Ministerium in der rücksichtslosen Zentralisierung und Magyarisierung Ungarns, in der Unterdrückung der alten Freiheiten und Autonomie der Siebenbürger Sachsen von Wien aus völlig freie Hand gelassen. Es erfolgte die Einführung des obligatorischen Unterrichts in ungarischer Sprache in den Volksschulen, dann eine Reform des Magnatenhauses 1885 und die Verlängerung der Mandatsdauer der Abgeordneten von drei auf fünf Jahre.

Trotz dieser guten Dienste Tiszas war die Stimmung der Opposition, insbes. jene der gemäßigten Opposition unter Apponyi, gegen ihn wegen der durch ihn geduldeten Korruption immer schärfer geworden; dies hing übrigens auch mit den steigenden Forderungen in Wehrangelegenheiten zusammen. 1886 brachte zwar Tisza ein Landsturmgesetz durch, aber die Stimmung war doch sehr erregt und machte sich Luft, als einige Offiziere unter Führung des Generals Jansky das Grab des kaiserlichen Verteidigers der Festung Ofen 1849, Hentzi, bekränzten. Es kam im Juni 1886 zu Straßendemonstrationen; man vernahm das Schlagwort von der selbständigen ungarischen Armee, und die deutsche Kommandosprache der gemeinsamen Armee wurde fortan Gegenstand zahlreicher Angriffe. Als Tisza 1888 ein neues Wehrgesetz dem Reichstage vorlegte, wurde darin namentlich der § 25 leidenschaftlich angegriffen, der die Einjährig-Freiwilligen verpflichtete, ihr Offiziersexamen in deutscher Sprache abzulegen, die Durchgefallenen aber zu einem zweiten Dienstjahr verurteilte. Dies harte Gesetz vermehrte die Unpopularität Tiszas. Im Herbst 1889 verlangte die Opposition eine Abänderung des Heimatsgesetzes von 1879 zugunsten Kossuths, der nach dem Wortlaut des Gesetzes zufolge seiner zehnjährigern Abwesenheit die Staatsbürgerschaft verlieren mußte. Dies benutzte nun Tisza, um seine Entlassung einzureichen, die am 13. März 1890 auch bewilligt wurde. Den Vorsitz im Ministerium übernahm der bisherige Ackerbauminister Graf Julius Szapáry.

Das neue Ministerium hielt im allgemeinen an der gemäßigten Politik Tiszas fest. Durch die vom Finanzminister Wekerle begonnene Regelung der Valuta, verschiedene Handelsverträge u. a. wurden Handel und Industrie gefördert und die Staatseinnahmen vermehrt. Von der geplanten Verstaatlichung der Komitatsverwaltung konnte aber nur § 1 durchgepeitscht werden (der 1907 wieder aufgehoben wurde). Neue Kämpfe entstanden unerwarteterweise auf kirchenpolitischem Gebiete. Die sogen. Wegtaufungen, nämlich die Eigenmächtigkeit, mit der manche katholische Geistliche Kinder aus gemischten Ehen tauften, ohne dem Gesetz von 1868 gemäß dem Seelsorger der andern Konfession davon Anzeige zu machen, veranlaßten den Kultusminister Csáky 26. Febr. 1890 zu einer Verordnung gegen dies Verfahren, die bei der katholischen Geistlichkeit auf heftigen Widerspruch stieß. Als Retorsion stellte Justizminister Szilágyi die Einführung der Zivilehe und einschneidende kirchenpolitische Gesetze in Aussicht. Ministerpräsident Szapáry war zwar damit nicht einverstanden und trat, da auch die Krone sich ablehnend verhielt, zurück; sein Nachfolger Wekerle aber war in der Lage, mit Genehmigung der Krone Gesetzentwürfe über die Einführung der Zivilstandsregister, der obligatorischen Zivilehe, die freie Religionsübung, die Rezeption der israelitischen Religion und über die Religion der aus gemischten Ehen mit dem unbedingten Rechte der elterlichen Entscheidung dem Reichstag im April 1893 vorzulegen. Aber erst im April 1894 gelang es, zwei Gesetze im Abgeordnetenhaus durchzubringen; die Zivilehe wurde vom Magnatenhaus vorerst abgelehnt, aber nach dem Rücktritt Csákys (dessen Nachfolger B. Eötvös wurde) angenommen. Indes hatte das Ministerium Wekerle-Szilágyi durch mancherlei Ungeschicklichkeit und auch infolge der vom Hof unliebsam bemerkten Landestrauer um L. Kossuth (obgleich kein Mitglied des Kabinetts sich am Begräbnis beteiligt hatte) das Vertrauen des Königs verscherzt und erhielt im Dezember 1894 seine Entlassung. Erst im Januar 1895 vermochte der als Obergespan den Sachsen und Rumänen verhaßte Baron Bánffy ein Kabinett zu bilden (Inneres: Perczel, Finanzen: Lukács, Unterricht: Wlassics). Vorerst wurde das Gesetz über die freie Religionsübung und (nach einem Pairschub) auch jenes der Rezeption der Juden im Magnatenhaus durchgebracht. Mit dieser Tat hatte sich aber anscheinend auch die Kraft der liberalen Partei erschöpft. Im übrigen zeitigte das Regime Bánffy eine Reihe von Konflikten, so mit dem Wiener Nunzius Agliardi, der den Sturz des Grafen Kálnoky, des Ministers des Äußern, nach sich zog. Ende 1898 kam es wegen der Erneuerung des handelspolitischen Ausgleichs mit Österreich zu einer ernsten Krise. Im österreichischen Reichsrat verhinderten die von Badeni drangsalierten Deutschen jedwelche Verhandlung der Ausgleichsvorlagen; im ungarischen Reichstag verfügte zwar Bánffy über eine mit unerhörten Pressionen und Bestechungen geschaffene Regierungspartei mit 287 Stimmen, aber die dezimierte Nationalpartei und die katholische Volkspartei hatten ihm Rache geschworen. Als Bánffy nach den Ischler Konferenzen sich bereit erklärte, die Ausgleichsgesetze auch in dem Fall vorzulegen, wenn dieselben in Österreich nicht im parlamentarischen Wege, sondern mit Anwendung des § 14 dekretiert werden sollten, schloß die Opposition wegen Verletzung des Gesetzartikels I 1898 einen Bund gegen Bánffy, verweigerte ihm das Budget und griff zur Obstruktion. Die Abdankung Szilágyis vom Präsidentenstuhl des Abgeordnetenhauses und der Austritt des Grafen Jul. Andrássy und der Dissidenten nötigten ihn zum Rücktritt (17. Febr. 1899). Sein Nachfolger Koloman v. Széll stellte »die Herrschaft des Gesetzes, des Rechtes und der Gerechtigkeit« wieder her und bewog durch das Versprechen »reiner Wahlen« die Opposition zur Beendigung der Obstruktion. Auch der Ausgleich mit Österreich gelang; das Zoll- und Handelsbündnis wurde bis 1903, event. 1907 verlängert. Die Dissidenten und Sachsen traten wieder der Regierungspartei bei, mit der auch die Nationalpartei mit Graf Apponyi fusionierte, und die Wahlen von 1901 ergaben einen großen Sieg der Regierung. Aber die im Oktober 1902 verlangte Erhöhung des Rekrutenkontingents um 15,000 Mann brachte die latente Abneigung gegen das gemeinsame Heer und die deutsche Dienstsprache von neuem zum Ausbruch. Die Opposition verlangte als Gegenleistung die Einführung der ungarischen Dienstsprache bei den ungarischen Regimentern und Einführung nationaler Fahnen, wie es bis auf Maria Theresia üblich gewesen. Da abermals Ex-lex-Zustand eintrat, dankte Széll 16. Juni 1903 ab. Nachdem es Graf Stef. Tisza wegen seiner gefürchteten »eisernen Hand« nicht gelungen war, ein Kabinett zu bilden, ließ die Krone die Rekrutenvorlage einstweilen fallen und ernannte den kurz zuvor in Kroatien unmöglich gewordenen Banus Graf Khuen-Héderváry zum Ministerpräsidenten, der aber, alsbald in eine Bestechungsaffaire verwickelt, 10. Aug. seine Demission gab, die aber nicht angenommen wurde. Da die Krone zu wiederholten Malen, insbes. im Armeebefehl von Chlopy, unumwunden erklärte, daß sie weder an der Einheit des gemeinsamen Heeres und seiner Dienstsprache, noch an den darauf bezüglichen militärischen Hoheitsrechten rütteln lasse, wurde das Kabinett Khuen bei der ersten Gelegenheit (29. Sept.) niedergestimmt. Nun wurde Graf Tisza 3. Nov. abermals mit der Kabinettsbildung betraut, die diesmal gelang. Lukács übernahm die Finanzen, Hieronymi den Handel, Berzeviczy Unterricht, Nyiri die Landwehr. Das Kabinett wurde von der Opposition (der sich auch die Nationalpartei anschloß) um so mehr feindlich behandelt, weil Graf Tisza zur Durchbringung der Staatsnotwendigkeiten (Budget, Rekrutenvorlage) Gewaltmaßregeln anzuwenden drohte. Als er in der stürmischen Nachtsitzung vom 18. Nov. im Einverständnis mit Perczel, dem Präsidenten des Abgeordnetenhauses, unter Bruch der Hausordnung die zum Zweck des Niederringens der Obstruktion eingebrachte lex Daniel durchbrachte und dann sofort den Reichstag vertagte, verbanden sich sämtliche Parteien und auch die ausgetretenen Dissidenten (»Verfassungspartei«) zu seinem Sturz. Am Tage der Wiedereröffnung des Parlaments (13. Dez.) wurde die von Perczel angeworbene Trabantenwache aus dem Sitzungssaal hinausgeworfen, die Präsidententribüne und Ministerstühle demoliert. Tisza schlug nun der Krone Auflösung des Parlaments und einen Appell an die Nation vor.

Obwohl das Gesetz eine Auflösung des Hauses in budgetlosem Zustand untersagte, wurden 5. Jan. 1905 Neuwahlen ausgeschrieben, die aber eine große Niederlage der liberalen Partei ergaben. Dagegen errang die 1848er Unabhängigkeitspartei und die mit ihr fusionierte Nationalpartei Apponyis 168 Mandate. Graf Tisza gab noch während der Wahlen seine Demission, mußte aber die Geschäfte weiterführen. Es kam nun zu langwierigen Verhandlungen zwischen den Führern der koalierten Opposition und der Krone, die resultatlos verliefen. Erst 21. Juni erfolgte die Ernennung eines neuen, aber unparlamentarischen Geschäftsministeriums unter dem Vorsitz Fejérvárys (zuletzt Kapitän der Trabantenleibgarde); seine Kollegen (Kristóffy, Vörös, Lányi) rekrutierten sich aus der liberalen Partei. Statt eines Programms verlas Fejérváry im Parlament ein Handschreiben der Krone des Inhalts, daß die Weigerung der koalierten Majorität auf Grund eines annehmbaren Programms die Regierung zu übernehmen, die Krone gezwungen habe, ein außerhalb der Partei stehendes Kabinett zu bilden. Aufgabe des letztern sei es, neue Verhandlungen anzuknüpfen; die militärischen Forderungen der Opposition müßten aber ausgeschaltet bleiben. Zugleich wurde aber der Reichstag kurzerhand vertagt, und dieser Vorgang wiederholte sich innerhalb eines Jahres noch viermal, trotzdem sowohl das Abgeordneten als auch das Magnatenhaus jedesmal einstimmig in schärfstem Ton dagegen protestierte. Das Kabinett, das während dieser Zeit wiederholt rekonstruiert werden mußte, entpuppte sich bald als ein absolutistisches, das die Versammlungs- und Redefreiheit beschränkte, die Presse knebelte oder bestach, die Staatsgelder verschleuderte (wie die Schlußrechnungen ergaben), die zur Waffe der passiven Resistenz greifenden Munizipien und Komitate durch plenipotentiäre königliche Kommissare mit Waffengewalt drangsalierte, den Gesetzen ergebene Beamte absetzte und ihres Gehalts und ihrer Pensionsansprüche beraubte, zugleich aber durch Flugschriften die untern Volksschichten gegen die besitzenden Klassen aufreizte und das früher verpönte Schlagwort der allgemeinen Wahlen als Zündstoff in die Massen warf. Am 19. Febr. 1906 entledigte sich das Kabinett gänzlich des Reichstags, den es durch den Generalmajor Nyiry, als königlicher Kommissar, mittels königlichen Handschreibens auflösen ließ. Kaum hatte das Abgeordnetenhaus dies durch zwei Offiziere dem Präsidenten überbrachte Handschreiben uneröffnet zurückgesandt und gegen seine Auflösung im Ex-lex-Zustand protestiert (welchem Protest sich auch das Magnatenhaus anschloß), drangen auch schon Soldaten und Polizei in den Beratungssaal, worauf Honvédoberst Fabritius vor den mittlerweile geleerten Bänken die Auflösungsorder verlas und dann das Parlamentsgebäude absperren ließ. Die Nation setzte aber den passiven Widerstand fort; Steuern und Rekruten konnten nicht eingebracht werden, und das Kabinett mußte eine Schuld von 100 Mill. Kr. aufnehmen, Da auch die Rechtssicherheit ins Schwanken geriet, die Urteile der Gerichte sich widersprachen, und die Drohung: »Not und Elend werde immer mehr über Land und Volk hereinbrechen«, sich zu verwirklichen schien, richteten sich alle Hoffnungen auf das Ausschreiben der Neuwahlen. Laut Gesetzartikel V: 1848 mußten die Neuwahlen innerhalb dreier Monate nach Auflösung des vorhergehenden Reichstags ausgeschrieben werden; trotzdem machte aber das Kabinett der Krone den Vorschlag, mit Rücksicht auf die Erregung der Gemüter die Wahlen nicht auszuschreiben. Schon war das vom 10. April 1906 datierte »Manifest« an die Nation gedruckt, mittels dessen die Neuwahlen verschoben werden sollten, als im letzten Moment eine nochmalige Unterhandlung Kossuths mit Fejérváry zur Lösung der Krisis führte. Am 8. April wurde das Ministerium Fejérváry entlassen und das Kabinett Wekerle ernannt; Wekerle übernahm das Präsidium und die Finanzen, Graf Andrássy das Innere, Graf Apponyi den Unterricht, Kossuth den Handel, Darányi den Ackerbau, Polónyi die Justiz, Graf Aladár Zichy das Portefeuille a latere, Jekelfalussy die Landwehr. Das Kabinett wurde aus den Führern der koalierten Opposition als Übergangsministerium für die Zeit von zwei Jahren mit festumschriebenem Programm ernannt. Es mußte sich verpflichten, die Staatsnotwendigkeiten auf Grund des 1867er Ausgleichs zu bewilligen, die vom frühern Kabinett eigenmächtig verlängerten Handelsverträge parlamentarisch zu erledigen und das allgemeine Wahlrecht durchzuführen; die militärischen Forderungen wurden beiderseits ausgeschaltet. Trotz dieser Zwangslage, welche die über die Majorität verfügende Unabhängigkeitspartei, nunmehrige Regierungspartei, zur einstweiligen Außerachtlassung ihrer Prinzipien zwang, wurde das neue Kabinett vom ganzen Land in überschwenglicher Weise als Erlöser gefeiert, und die sofort ausgeschriebenen Neuwahlen ergaben eine riesige Majorität für das Koalitionskabinett, während die noch vor kurzem allmächtige liberale Partei (Tisza) bis auf den letzten Mann verschwand. Da es diesmal »freie Wahlen« gab, errangen auch die Nationalitäten und die Sozialisten Mandate. Der neue Reichstag und die von ihm beschickte ungarische Delegation bewilligte sämtliche Staatsnotwendigkeiten. In rascher Folge wurden in der Wintersession 1906/07 Gesetze zur Unterstützung der vaterländischen Industrie, ein Arbeiterunfallversicherungsgesetz u. a. erledigt. Schwierigkeiten verursachten vorerst teils persönliche Gegensätze, die auch zur Demission Polónyis (2. Febr. 1907) führten, teils die dem Kabinett Fejérváry seitens der Krone ausbedungene Straflosigkeit. Als aber die nach vielen Schwierigkeiten mit dem österreichischen Kabinett Beck vereinbarte Verlängerung des handelspolitischen Ausgleichs im Oktober 1907 dem Reichstag vorgelegt wurde, stieß das Kabinett bei einem Teile der 48er Partei und den Kroaten auf heftigen Widerstand. Doch kam der Vertrag 30. Dez. zustande.

[Geschichtsliteratur.] a) Quellensammlungen: Ältere Sammlungen von Schwandtner (s. d.), Fejér und Endlicher. Die von der Ungarischen Akademie herausgegebenen »Monumenta Hungariae Historica« zerfallen in die Gruppen »Diplomata« (30 Bde.), »Scriptores« (40 Bde.) und »Ungarische und Siebenbürgische Reichstagsdenkmäler« (»Monumenta Comitialia«, 12 und 21 Bde.), denen sich die Abteilung »Türkisch-ungarisches Archiv« (9 Bde.), die »Türkische Geschichtsschreiber« (bis jetzt 2 Bde.) und das »Urkundenarchiv der Nebenländer Ungarns« (bis jetzt 2 Bde.) anschlossen. »Historiae Hungariae fontes domestici« (hrsg. von Florian Mátyás, Budap. 1881–85, 4 Bde.); Theiner, Vetera monumenta historica Hungariam sacram illustrantia (Rom 1859 ff., 2 Bde.); die vom ungarischen Episkopat herausgegebenen »Monumenta Vaticana historiam regni Hungariae illustrantia« (Budap. 1874 ff., 9 Bde.). Vgl. Marczali, Ungarns Geschichtsquellen im Zeitalter der Arpáden (Berl. 1882); Kaindl, Studien zu den ungarischen Geschichtsquellen (Wien, Akademie 1894–1902, 16 Hefte); Flegler, Beiträge zur Würdigung ungarischer Geschichtsschreibung (Sybels »Historische Zeitschrift«, Bd. 17–19). Eine Übersicht der Quellen bietet die »Pragmatische Geschichte der Ungarn« von Mangold (magyar., 5 Aufl., Budap. 1907).

b) Zeitschriften: »Századok« (41 Jahrgänge) und »Magyar Történelmi Tár« (seit 1856).

c) Bearbeitungen: Katona, Historia critica regum Hungariae (Pest 1779–1810, 42 Bde.); Pray, Annales regum Hungariae (Wien 1764–70, 5 Bde.); die ältern Darstellungen der Geschichte Ungarns von Engel, Fessler, Graf Joh. Majláth, Lad. Szalay, Mich. Horváth sind mehr oder minder veraltet. Von neuern vgl. Alex. Szilágyi u. a., Geschichte der ungarischen Nation (magyar., sogen. Millenniumsgeschichte, Budap., 10 Bde., illustriert); Acsády, Geschichte des ungarischen Reichs (magyar., das. 1903–04, 2 Bde., illustriert); Sayous, Histoire générale des Hongrois (2. Aufl., das. 1900). Vgl. noch die Werke von Krones und Alfons Huber über die Geschichte Österreichs, und Kaindl, Geschichte der Deutschen in U. und Siebenbürgen (Gotha 1907, 2 Bde.); Hawkin, Hungary, its people, places and politics (Lond. 1907).

d) Spezialliteratur: Über Abstammung, Urzeit, Wanderung s. die Literatur zu Art. »Magyaren«; Hampel, Altertümer des frühen Mittelalters in U. (Braunschw. 1905, 2 Bde. und Atlas); für das Zeitalter der Arpáden (bis 1301) s. die Arbeiten von Pauler und Karácsonyi; Hantos, The magna charta of the English and of the Hungarian constitution (Lond. 1905). – Für die Zeit 1301–1526: die Werke von Fraknói, Pór, Graf Teleki, Csánki; Kupelwieser, Die Kämpfe Ungarns mit den Osmanen bis 1526 (Wien 1895). – Von 1526 bis 1711: Arbeiten von Fraknói (über Pázmány), Károlyi (über Bocskai), Alex. Szilágyi (über Bethlen und G. Rákóczy); Franz Salamon, U. im Zeitalter der Türkenherrschaft (deutsch von Jurányi, Leipz. 1887); Fraknói, Papst Innozenz XI. und die Befreiung Ungarns von der Türkenherrschaft (deutsch, Freiburg 1902); ferner die Werke von Károlyi (1686), das deutsche Werk von Zieglauer (s. d.) und die Publikationen des Wiener Kriegsarchivs. Über Thököly, Franz Rákóczi II. vgl. die zahlreichen Arbeiten von Thaly (s. d.). – Von 1711 an bis 1848: Arbeiten von Marczali (Maria Theresia und Joseph II.); über die Reformzeit Arbeiten von Géza Ballagi und Wertheimer (s. d.); Mich. Horváth, 25 Jahre aus der Geschichte Ungarns, 1823–1848 (deutsch, Leipz. 1867, 2 Bde.); die Literatur über Széchenyi, Deák, Kossuth etc.; Springer, Geschichte Österreichs seit dem Wiener Frieden 1809 (Leipz. 1863–1865, 2 Bde.). Über die Jahre 1848 und 1849 s. Mich. Horváth, Geschichte des ungarischen Freiheitskampfes (magyar., 3. Aufl. 1898, 3 Bde.), die militärgeschichtlichen Werke von Gelich, Breit, Eug. Horváth (magyar.); Rüstow, Geschichte des ungarischen Insurrektionskrieges (Zür. 1860–61, 2 Bde.); die Werke von J. A. v. Helfert (s. d.), die Literatur über Görgei und Klapka (s. d.). – Über die neueste Zeit (seit 1850) die Arbeiten von W. Rogge, v. Zwiedinek-Südenhorst, Friedjung (s. d.); L. Kossuths Memoiren; die Werke über Graf Jul. Andrássy (s. d. 3) und von dessen Sohn: Ungarns Ausgleich mit Österreich vom Jahre 1867(deutsch, Leipz. 1897) und Die Gründe des Fortbestehens und der konstitutionellen Freiheiten des ungarischen Staates (magyar., Budap. 1901–05, 2 Bde.); Eisenmann, Le compromis Austro-Hongrois de 1867 (Par. 1904); Ak. Beöthy, Die Entwickelung und Kämpfe des ungarischen Staatswesens (magyar., 1901–06, 3 Bde.); die Werke von Hajnik (s. d.); A. v. Timon, Ungarische Verfassungs- und Rechtsgeschichte (deutsch von F. Schiller, Berl. 1904); Radó-Rothfeld, Die ungarische Verfassung geschichtlich dargestellt (Berl. 1898); Steinbach, Die ungarischen Verfassungsgesetze (deutsch, 4. Aufl., Wien 1906); Steinacker, Über die ungarische Verfassung (»Mitteilungen des österreichischen Instituts für Geschichtsforschung«, 1907).

e) Hilfswerke: Die chronologischen Werke von Knauz und Kerékgyártó (s. d.); die archivalischen und heraldischen Arbeiten von Fejérpataky (s. d.), Karácsonyi (s. d.); zur Genealogie Ungarns die Arbeiten von J. Nagy, Karácsonyi und Wertner (s. d.); Réthy, Corpus nummorum Hungariae (Bd. 1, Budap. 1899). Vgl. auch die Literatur zu Siebenbürgen und Kroatien-Slawonien und die »Geschichtskarten von Österreich-Ungarn« (Bd. 15).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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