Türkisches Reich

Türkisches Reich

Türkisches Reich. Das türkische oder osmanische Reich (türk. Memâlik-i Osmanije, »die osmanischen Länder«, oder Devlet-i Alije, »das hohe Reich«) umfaßt die gesamte Ländermasse, die in Europa, Asien und Afrika unter der Herrschaft des Sultans (Padischah) in Konstantinopel steht, d. h. Teile der Balkanhalbinsel, den westlichsten Teil Vorderasiens (Asiatische Türkei, s. unten, S. 823) sowie den Nordosten von Afrika (Tributärstaat Ägypten und als unmittelbaren Besitz Tripolitanien, Barka und Fezzan; vgl. diese Artikel). Es sind teils unmittelbare Besitzungen, teils tributäre oder unter fremder Verwaltung stehende Staaten; letztere gehören nur äußerlich zur Türkei, sind tatsächlich selbständig (Bulgarien mit Ostrumelien, Samos, Kreta) oder von Österreich-Ungarn (Bosnien und Herzegowina) und England (Cypern, Ägypten) besetzt. Große Strecken Landes in Albanien, Kleinasien und Kurdistan sind faktisch der Türkenherrschaft gänzlich entzogen; die Grenzen des Reiches stehen besonders gegen das unabhängige Arabien und Afrika hin nicht fest. Deswegen und wegen des Fehlens jeder brauchbaren offiziellen Statistik sind die Angaben über Grenzen, Areal und Bevölkerung nur annähernd richtig und unterliegen großen Schwankungen. Das ganze Türkische Reich wird in 30 Provinzen oder Wilajets, davon 7 in Europa, und 6 Mutesarrifliks, davon 1 in Europa, geteilt.

Die europäische Türkei

(Hierzu die Karte der europäischen Türkei.)

Die europäische Türkei umfaßt etwa ein Drittel der unter türkischer Oberhoheit verbliebenen Balkanhalbinsel, wo sie den größern westlichen Teil (Albanien, Mazedonien) und einen schmälern Streifen der Osthälfte längs des Ägäischen Meeres (Thrakien) einnimmt. Sie liegt zwischen 39 und 431/2° nördl. Br. und grenzt im N. an Bulgarien und Serbien, im NW. an Bosnien und Montenegro, im W. an das Adriatische und Ionische Meer, im S. an Griechenland, das Ägäische und Marmarameer, im O. an das Schwarze Meer.

Bodenbeschaffenheit. Wie die ganze Balkanhalbinsel ist auch die europäische Türkei überwiegend Gebirgsland und wird größtenteils von verschieden streichenden Gebirgssystemen erfüllt; es lassen sich drei Hauptrichtungen unterscheiden, zwischen denen sich größere und kleinere Becken ausbreiten, die aber nur einen geringen Raum des Gesamtareals einnehmen, z. B. Amselfeld (Kosovo Polje), Becken von Sofia, Janina, Flußniederungen der Maritza, Tundscha, des Wardar (Kampania) und die Küstenebenen der Flüsse. Diese Becken sind mit ihrem fruchtbaren Boden die Kultur- und Siedelungsmittelpunkte des Landes und werden durch gemeinsame Flüsse verbunden, deren Täler bequeme Verkehrsstraßen darstellen, z. B. Morava-Maritzatal mit der Eisenbahn Belgrad-Konstantinopel, Morava-Wardartal mit der Eisenbahn Belgrad-Saloniki, Beckenreihe der Dessaretischen Seen mit der Via Egnatia und der Eisenbahn Monastir-Saloniki. Durch den Wechsel von Gebirgssystemen und Ketten erhält die Balkanhalbinsel eine sogen. Gitterstruktur. Das Faltengebirgssystem des Hämos erstreckt sich vom Tal des Timok an als Hämos im engern Sinn oder Balkan (s. d.) in westöstlicher Richtung bis zum Kap Emine am Schwarzen Meer. Es bildet die Wasserscheide zwischen Donau und Ägäischem Meer. Vom Schar Dagh (s. d., Ljuboten 2510 m) zieht sich eine zweite Hauptmasse, das serbisch-mazedonische Schollenland, auch thrakische Masse oder Rhodopemassiv genannt, durch die mittlere und östliche Balkanhalbinsel. Sie enthält als höchste Erhebung den Mussala (2930 m) im Rilogebirge des Rhodopesystems. Die dritte Hauptrichtung vertritt das illyrische oder dinarische System von Faltengebirgen, die unter verschiedenen Namen (Dinara, Albanesische Alpen, Grammos, Pindos) meist in der Richtung von NW. nach SO., also dem Apennin parallel, laufen und die ganze Westfront der Balkanhalbinsel begleiten. Albanien (s. d.) wird in seinem östlichen Teil von zusammenhängenden, nach S. und SO. streichenden Hochgebirgsketten durchzogen: den nördlichen Fortsetzungen des griechischen Pindos (Smolika 2575 m) und dem Peristeri östlich vom Presbasee (2359 m) bis hinauf zu den Albanesischen Alpen (Bjeschka Nemuna, Prokletijà, 2300 m) längs der Südostgrenze Montenegros. Das Land zwischen dem Adriatischen und Ionischen Meer einerseits und jenen Gebirgen anderseits enthält an den Mündungen der Flüsse ausgedehnte, vielfach versumpfte und von Strandseen erfüllte, fieberreiche Alluvialebenen, die durch Gebirgszüge getrennt werden. Zu Thrakien gehört die das Zentrum der europäischen Türkei bildende, auf allen Seiten von niedrigern und höhern Gebirgszügen umgebene gewaltige Syenitmasse des Witoscha (2290 m, s. d.) südlich von Sofia auf bulgarischem Gebiet. Zwischen Mesta (dem alten Nestos) und Maritza erhebt sich das Rhodopegebirge (s. d.) mit dem Rilogebirge (s. oben) und Pirin Dagh. Es umfaßt eine Reihe von NW. nach SO. verlaufender Bergzüge, zwischen denen sich Längstäler hinziehen. Zwischen Balkan und Rhodope liegen Mittelgebirgszüge, dem erstern parallel streichend und das Tundschatal mit seinen Rosenfeldern im S. begrenzend, wie Sredna Gora und Crnena Gora oder Karadscha-Dagh, und ausgedehnte Ebenen am Oberlauf der Maritza und an ihren Nebenflüssen, während den Ostrand der thrakischen Masse am Schwarzen Meer der Istrandža-Dagh begleitet. Mazedonien (s. d.) wird durch den dem Rhodopegebirge parallelen Pirin Dagh (2681 m) von Thrakien, durch die Pindoskette von Epirus geschieden. Ein Anhängsel bildet die Chalkidike mit ihren drei langgestreckten Halbinseln und dem heiligen Berg Athos. Von Thessalien (s. d.) ist nur der nördlichste gebirgige Teil mit dem Olympos (2985 m) beim türkischen Reich verblieben, der fruchtbare Süden aber 1881 an Hellas abgetreten worden.

An schiffbaren Flüssen ist die europäische Türkei sehr arm; nur Maritza und Wardar sind für flache Kähne benutzbar. Die übrigen bedeutendern Flüsse sind im Gebiete des Schwarzen Meeres: der Kamtschyk, der in Bulgarien zwischen Warna und Misiwria mündet; im Gebiete des Ägäischen Meeres: die Maritza mit Arda, Tundscha und Ergene, in den Meerbusen von Enos mündend, Karasu (Mesta), Struma (Strymon, türk. Karasu), den Tachynosee durchfließend und in den Busen von Orfani mündend, Wardar und Wistritza, in den Meerbusen von Saloniki mündend; im Gebiete des Ionischen Meeres: Arta (Arachthos), in den Meerbusen von Arta mündend, und Kalamas; im Gebiete des Adriatischen Meeres: Viosa, Semeni, Schkumbi, Man, Drin und Narenta. Die bedeutendsten Landseen sind die von Skutari, Ochrida, Janina, der Prespa- und Ventroksee in Albanien, die Seen von Kastoria, Ostrowo, Doiran, Beschik- und Tachynosee in Mazedonien. Vgl. Cvijić, Die Seen Mazedoniens, Altserbiens und von Epirus, 10 Karten (Belgrad 1902).

Geologische Beschaffenheit. Während im Westen der europäischen Türkei die Ketten der Dinarischen Alpen ein etwa der Küste und dem orographischen Streichen paralleles Schichtenstreichen erkennen lassen und durch ganz Albanien und Epirus hindurch, zumal in der Pindoskette, eocäne Ablagerungen (Plattenkalke und Hornsteine sowie Flyschschiefer und Sandsteine, auch Nummulitenkalke mit untergeordneten Einlagerungen von Serpentin) herrschen, also ein auffallend einförmiger Bau gegenüber den Dinarischen Alpen in Bosnien und der Herzegowina sich geltend macht, besitzen in dem umfangreichen östlichen Teil des Landes die mannigfach gegliederten Schichtensysteme, häufig entgegen dem orographischen Streichen, eine im allgemeinen westöstliche Streichrichtung. Im Balkan (s. d.) bilden Gneise, Glimmerschiefer und Stöcke von Granit, Diorit und Syenit den eigentlichen Kern. An dieselben legen sich mantelartig paläozoische Schiefer und in größerer Verbreitung der Trias zugehörige Konglomerate, Sandsteine und Kalksteine, besonders aber Sandsteine der Kreide. Das Rhodopegebirge, die Witoscha und der Rilo-Dagh südlich vom Balkan bilden das eigentliche alte Festland der Balkanhalbinsel. Es sind granitische und syenitische Massen, auf die sich, das Land zwischen dem Balkan und dem Ägäischen Meer, zwischen dem Schwarzen Meer und Albanien erfüllend, Gneise und Glimmerschiefer mit Marmoreinlagerungen im S. und lokal rote Sandsteine und triasische Kalke auflagern. Andesit und Trachyt haben sich nach der Ausrichtung des Balkans über die ältern Gesteine ergossen und bedecken weithin den Nordabhang der Witoscha und große Teile dee Rhodopegebirges südlich von Philippopel und westlich und südlich von Adrianopel sowie an der Küste von Konstantinopel und Warna; auch die Inseln Imbro, Limni und Tenedo westlich vor den Dardanellen sind trachytischer Natur. Eocäne Nummulitenkalke und Flysch sind sehr verbreitet am nördlichen Abhang des Balkans in der Umgegend von Warna, dann aber auch im östlichen Rumelien, so bei Chasköi, Papasby und Tschirpan im obern Maritzatal (zwischen der Rhodope und dem Balkan), ferner südlich von Adrianopel bis zum Ägäischen Meer, zwischen Adrianopel und Konstantinopel und an der Küste des Schwarzen Meeres zwischen Konstantinopel und Midia. Auch neogenes Tertiär, zum Teil mit Braunkohlen (bei Cirkra und Radomir in Rumelien), ist in Rumelien und in den Küstenländern entwickelt. Mediterrane Bildungen finden sich bei Plewna, sonst aber nirgends mehr im östlichen Teil der Balkanhalbinsel südlich der Donau; dafür haben die sarmatischen Schichten eine große Ausdehnung vom Balkan bis zu der Halbinsel Chalkidike und nach Thessalien hinein. Die weiten Tal becken in Rumelien und Bulgarien sind von jüngern diluvialen und alluvialen Schuttmassen ausgefüllt; auch lößartige Gebilde sind hier und da beobachtet. Spuren diluvialer Vereisung sind in Form von Moränen vom Schar Dagh in Albanien und vom Rilo Dagh (Rhodopegebirge) bekannt geworden.

Klima. Die europäische Türkei gehört dem mediterranen Klimagebiete mit subtropischen Regen und Dürre im Sommer an. Die Temperatur ist infolge der vorherrschend gebirgigen Beschaffenheit des Landes sehr wechselnd und wegen der rauhen Nordostwinde kälter als unter gleicher Breite Italien und Spanien. Mittlere Jahresextreme in Konstantinopel 33° und -4°, Saloniki 36° und -6°, Janina 36° und -8°, Prisren (Albanien) 35° und -14°. Der Balkan bildet eine sehr merkliche Wetterscheide, denn während in den nördlichen Gebieten bei regenreichern Sommern die Winter ziemlich schneereich sind und außerordentlich tiefe Temperaturen vorkommen, ist im S. der Winter mild und der Sommer trocken und oft drückend heiß. Die kalten Nordwinde bringen für die Gegenden am Bosporus Schneestürme, dagegen kennt man in den Küstenländern des Ägäischen Meeres und auf den Inseln winterliche Witterung nur auf den Gebirgshöhen. Die Niederschläge nehmen, soweit die spärlichen Beobachtungen erkennen lassen, landeinwärts rasch zu. Es fallen jährlich in Konstantinopel 73, Saloniki 40, Valona 114, Durazzo 107, Skutari (Albanien) 157, Plewlje 75, Skoplje 52 cm. Konstantinopel hat durchschnittlich 96 Niederschlagstage, davon 18 mit Schnee.

Pflanzenwelt. Die Flora der bosnisch-herzegowinischen Gebirge und des Balkans schließt sich zunächst an die alpine Gebirgszone Siebenbürgens an. Dagegen sind die niedriger gelegenen Teile der westlichen Hämushalbinsel sowie Thrakiens und Rumeliens mit Bestandteilen der mitteleuropäischen Waldflora, mit zahlreichen mediterranen Elementen und mit Ausstrahlungen des pontischen Steppengebietes besiedelt. Der allgemeine Charakter wird durch Silberlinden (Tilia argentea), Eichenarten und Nadelhölzer, wie Pinus Omorica in Serbien, Pinus Peuce in Bosnien, Bulgarien und Mazedonien u. a., am besten bezeichnet; auch treten Ostrya carpinifolia, Rhus cotinus, Syringa und Acer tataricum häufig auf. Die Flora Bulgariens besteht zur größern Hälfte aus Arten, die auch im südöstlichen und mittlern Deutschland vorkommen, ebenso verhält es sich mit den alpinen Pflanzen; unter den Glazialpflanzen Rumeliens scheinen jedoch charakteristische Typen, wie Dryas, Gnaphalium, Leontopodium (Edelweiß), Silene acaulis u. a., zu fehlen. Während die durch ihre Wein- und Rosenkultur berühmten Südabhänge des Ostbalkans meist bis zu den Gipfelhöhen mit Laubwald bekleidet sind, ist der Südabfall des Zentralbalkans größtenteils kahl, Nadelholzbestände finden sich auf der Südseite selten. Auf der Nordseite steht fast überall Laubwald, der in den obern Talabschnitten in Nadelholzwald übergeht. Vom Ägäischen Meer nach dem Rhodopegebirge aufwärts durchkreuzt man zunächst eine mediterrane Zone mit lichten Wäldern von Quercus Aegilops und Hainen uralter Platanen sowie immergrünen Macchien; höher hinauf ist der Südzug des Rhodopegebirges mit einem Mischwalde von Eichen-, Ahorn- und Carpinus-Arten bedeckt; über 640 m erscheint die Buche und geht bis zu den Gebirgsgipfeln hinauf; neben ihr treten Nadelholzbestände nur vereinzelt auf. Der Nordzug des Rhodopegebirges wird bis zu 640 m mit Wäldern von Eichen, Carpinus, Silberlinden u. a. bekleidet, dann folgt ein Buchengürtel mit eingesprengten Beständen von Pinus laricio und silvestris, Reine Nadelholzwälder beginnen bei 1020 m und erreichen bei 1900 m ihre obere Grenze. In dieser Region treten viele Formen der mitteleuropäischen Gebirge neben rein südöstlichen Typen auf. Der Krummholzgürtel des Rhodopegebirges geht schnell in alpine Trift- und Felsformationen über. Die Mediterranflora ist an der mazedonischen Küste weit über die Vorgebirge von Chalkidike ausgebreitet, aber auch hier mit zahlreichen Elementen der Steppenflora durchmischt. – Entsprechend dem geringen Kulturzustand des Landes zeigt die Tierwelt noch einen recht ursprünglichen Zustand oder hat sich diesem mit dem Rückgang der Kultur wieder genähert. Die größern Raubtiere sind noch ziemlich verbreitet; so der Bär an der Rila, Witoscha, in Albanien, im Balkan, ebenso der Wolf und der Luchs, letzterer minder häufig. Die höhern Gebirge werden von der Gemse bewohnt; die Waldgebiete beherbergen Rot- und Schwarzwild, letzteres besonders in den sumpfigen Ländereien der albanischen Küste. Die einheimische Vogelwelt hat ein ausgesprochen mittelländisches Gepräge; von den nordischen Zugvögeln überwintert ein Teil auf der Balkanhalbinsel; der Königsadler lebt noch häufig in den Gebirgen; die Beutelmeise nistet kolonieweise auf den Bäumen. Reich ist die Tierwelt an Reptilien, die zum Teil diesem Gebiet eigentümlich sind; die griechische Schildkröte ist Ausfuhrartikel, die Leopardnatter wird als Haustier zum Fangen der Mäuse gehalten. Die Amphibien treten sehr zurück und sind nur durch die auch bei uns vorkommenden häufigsten Formen vertreten. Die Gewässer sind fischreich, die uralte Thunfischerei und der Makrelenfang am Bosporus blühen noch heute, ebenso die Aalfischerei an der Küste von Albanien. Die Molluskenfauna gehört der sogen. levantinischen Provinz der mediterranen Subregion an.

Areal und Bevölkerung.

Über Areal und Bevölkerungsziffern von Bosnien und Herzegowina, Bulgarien und Ostrumelien s. unter diesen Ländernamen. Die »Inseln des Weißen Meeres« werden als Inselwilajet offiziell zu Asien gerechnet. Die erste teilweise Volkszählung im osmanischen Reich fand 1830–31 statt. der seitdem mehrere gefolgt sind. Auf sie ist aber aus verschiedenen Gründen wenig Gewicht zu legen. Die unmittelbaren europäischen Besitzungen des türkischen Reiches in Europa umfassen folgende Wilajets etc.:

Tabelle

Die türkischen Städte tragen sämtlich ein orientalisches Gepräge, und es gibt wegen der überwiegend landwirtschaftlichen Beschäftigung der Bewohner nur wenige Großstädte. Die einzige Millionenstadt ist Konstantinopel. Über 100,000 Einw. zählen Saloniki und in der asiatischen Türkei Smyrna, Damaskus, Aleppo, Beirut und Bagdad, über 50000 Einw. in der europäischen Türkei noch Adrianopel u. Monastir.

Durch die Vielgestaltigkeit der Oberfläche ist die politische und ethnographische Zersplitterung der Balkanhalbinsel bedingt, deren Bewohner das bunteste Völkergemisch Europas bilden. Heftigster Nationalitätenstreit und rücksichtsloseste Propaganda herrschen zwischen den einzelnen unter sich und gegen die türkische Herrschaft feindlich gesinnten Nationen (orientalische Frage. mazedonische Frage). so daß die Türkei nur mühsam und durch die europäischen Mächte gedrängt ihre Herrschaft zu behaupten vermag. Aus diesen Gründen ist auch die Nationalitätenstatistik tendenziös gefärbt, und nur über die räumliche Verteilung der Nationalitäten sind wir einigermaßen unterrichtet. Der herrschende Stamm der osmanischen Türken (1 Mill.) sitzt auf der Balkanhalbinsel, von Konstantinopel abgesehen, nirgends in größerer Masse, sondern nur inselartig zerstreut, meist in der Nähe größerer Städte. Den Westen des noch unmittelbar türkischen Gebietes nehmen Albanesen (2 Mill.) ein, von den Grenzen Montenegros und Serbiens an bis in den Peloponnes und vom Adriatischen Meer östlich bis etwa zum 21.° östl. L. In Epirus wohnen sie mit Griechen gemischt, die den Süden von Epirus und Mazedonien, die Chalkidike und viele Küstenpunkte und Inseln des Ägäischen und des Schwarzen Meeres innehaben. Bulgarien, Ostrumelien und das nördliche Mazedonien und westliche Thrakien bewohnen in kompakter Masse Bulgaren, den Nordwesten (Altserbien, wie die nicht mehr türkischen Länder Serbien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro) die Serben. Mohammedanische Bulgaren sind die im Rhodopegebirge wohnenden Pomaken. Im Pindos (Grenze zwischen Epirus und Thessalien) sitzen Zinzaren (Walachen oder Kutzowlachen), in dem nördlichen Mazedonien Serben. Vgl. v. Mach, Beiträge zur Ethnographie der Balkanhalbinsel in »Geographische Mitteilungen«, 1899 (mit Karten).

Die Osmanen (Osmanli), das herrschende Volk. obwohl sie keineswegs die Mehrzahl bilden, sind ein Turkvolk (s. Türken), ein schöner Menschenschlag mit edlen Gesichtszügen. Ihre hervorstechenden Nationalzüge sind: Ernst und Würde im Benehmen, Mäßigkeit, Gastfreiheit, Redlichkeit, Tapferkeit, anderseits Herrschsucht, übertriebener Nationalstolz, religiöser Fanatismus und Fatalismus. Trotz körperlicher und geistiger Befähigung sind sie in der Kultur hinter den meisten europäischen Völkern zurückgeblieben und haben nur langsam und mit Widerstreben der abendländischen Zivilisation Eingang gestattet. Die Ehe ist eine durch zahlreiche Bestimmungen geregelte Polygamie. Die Frauen der Reichen, auf die sich die Polygamie beschränkt, leben in Harems eingeschlossen. Die gemeinen Osmanen haben selten mehr als eine Frau. Die Wohnungen sind unansehnlich und schmucklos, meist von Holz und einstöckig; sie haben im Innern einen viereckigen Hof, nach dem die Fenster gehen, während nach der Straße zu nur einige Gitterfenster vorhanden sind. Bei den Beamten und Vornehmern ist die Nationaltracht durch den fränkischen schwarzen Rock verdrängt worden. Die Osmanen sind die Inhaber der Zivil- und Militärstellen oder treiben Gewerbe, Ackerbau besonders in Kleinasien. S. Tafel »Volkstrachten II«, Fig. 21–24.

[Religionsverhältnisse.] Die Hauptreligionen in der Türkei sind die mohammedanische und die griechisch-orthodoxe. Zu jener, zum Islam, bekennen sich die Bewohner osmanischen Stammes sowie die Nachkommen derjenigen frühern Bewohner (Slawen, Griechen. Albanesen), die nach ihrer Unterwerfung diesen Glauben angenommen haben, und die vereinzelten Gruppen neuerer Renegaten. Die Bekenner des Islams heißen Muslimin (danach verderbt Muselmanen). Ihre Heilige Schrift und ihr Gesetzbuch ist der Koran (s. d.). Die Adepten des Koranstudiums, das sowohl zu juristischen als kirchlichen Ämtern befähigt (denn einen Unterschied zwischen Staat und Kirche kennt der Islam nicht), sind die Ulemā (»Gelehrte«). Der Ulemā tritt, wenn er, 10–12 Jahre alt, die Elementarschule verlassen hat, in eine der mit den großen Moscheen verbundenen Medressen (Seminare), in der er als Softa Unterricht in der Grammatik, Logik, Moral, Rhetorik, Philosophie, Theologie, Rechtsgelehrsamkeit, im Koran und in der Sunna erhält. Er empfängt dann vom Scheich ul Islam das Diplom als Kandidat (Mulasim) und kann, dadurch zur untersten Stufe der Ulemā erhoben, Richter (Kadi) werden. Will er aber zu den höchsten Würden gelangen, so muß er noch sieben Jahre auf das Studium der Rechtsgelehrsamkeit, Dogmatik etc. verwenden, worauf er zum Grad eines Muderris befördert wird. Die Gotteshäuser, in denen am Freitag Gottesdienst abgehalten wird, heißen Moscheen (Dschami). Die Geistlichkeit teilt sich in fünf Klassen: die ScheichÄlteste«), die ordentlichen Prediger der Moscheen, die alle Freitage nach dem Mittagsgottesdienst über moralische und dogmatische Gegenstände Vorträge halten; die Chātib, die alle Freitage in den großen Moscheen das Gebet für den Sultan verrichten; die Imām, denen der gewöhnliche Dienst in den Moscheen, die Trauungs- und Begräbniszeremonien obliegen; die Muessin, die von den Minaretts die Stunden des Gebetes verkündigen; die Kaim, Wächter und Diener der Moscheen, die nebst den zwei vorhergehenden Klassen nicht zu den Ulemā gehören. Wenn die Ulemā gewissermaßen die Weltgeistlichkeit repräsentieren, können die Orden der Derwische als Ordensgeistlichkeit bezeichnet. werden. Die griechisch-orthodoxe Kirche der Türkei hat ihre Verfassung von 857, insoweit dies unter der Herrschaft der Mohammedaner möglich war, treu bewahrt. Die Würden der Patriarchen zu Konstantinopel, Jerusalem und Antiochia bestehen noch. Das höchste Ansehen besitzt der Patriarch von Konstantinopel. Ihm zur Seite steht für religiöse Angelegenheiten die Heilige Synode und für Verwaltungsangelegenheiten ein Nationalrat. Die Mönche und Nonnen folgen der Regel des heil. Basilius; die berühmtesten Klöster sind die auf dem Berg Athos (s. d.) in Mazedonien. Die armenisch-christliche Kirche steht unter den vier Patriarchen zu Konstantinopel, Sis, Achtamar und Jerusalem. Die römisch-katholische Kirche zählt in der Türkei 9 Erzbischöfe, Patriarchen und Bischöfe, von denen 3 auf die europäische Türkei kommen. Die Juden haben in Konstantinopel einen Großrabbiner (Chacham Baschi). Alle nicht zum Islam sich bekennenden Bewohner der Türkei werden unter dem Namen Rajah (Volk, Herde) zusammenbegriffen, obwohl diese Bezeichnung durch eine Verfügung des Sultans Medschid offiziell abgeschafft worden ist. Der Islam duldet die christliche und die jüdische Religion neben sich. Man schätzt die Mohammedaner der europäischen Türkei auf 50 Proz., die Griechisch-Orthodoxen auf 40,4 Proz., die Katholiken auf 4,6 Proz. und die Juden auf 1,5 Proz. der Gesamtbevölkerung.

[Bildung.] Der nationale Wettstreit der Balkanvölker wird hauptsächlich auf dem Gebiete der Kirche und Schule ausgefochten. Das griechische Schulwesen ist das älteste und am besten eingerichtete. Ihm treten in Mazedonien und Thrakien bulgarische, daneben auch serbische und neuerdings rumänische Schulen entgegen. Dagegen stehen die türkischen, d. h. die für Mohammedaner bestimmten Schulen auf niedriger Stufe. Sie zerfallen in: 1) Elementarschulen, deren notdürftig gelehrte Unterrichtsgegenstände Lesen, Schreiben, Rechnen, Religion und Türkisch sind, und die von allen mohammedanischen Kindern, die das Alter von sechs Jahren erreicht haben, besucht werden; 2) die Ruschdijeschulen, eine Art Mittel- oder Realschulen für Knaben und Mädchen mit den Lehrgegenständen Türkisch, Arabisch, Persisch, Geschichte, Geographie, Arithmetik und Geometrie; 3) die höhern Schulen, wie das kaiserliche Lyzeum von Galata-Serai, die Verwaltungs-, Rechts-, Kunst-, Forst- und Bergwerksschule, die kaiserliche Universität, die Kriegs- und Marine-, die Artillerie- und Ingenieurschule. zwei medizinische Schulen, die Kadettenanstalten. In den größern Küstenplätzen finden sich auch europäische, meist von katholischen Geistlichen geleitete Schulen. Im allgemeinen steht im türkischen Reiche die geistige Kultur noch auf ziemlich niedriger Stufe.

[Erwerbszweige.] Den Vorschriften des Korans gemäß beansprucht in der Türkei der Staatsschatz das Obereigentumsrecht alles Grundes und Bodens. Bei der Eroberung eines Territoriums teilte der Sultan letzteres in drei Teile, von denen einer dem Staate, einer den Moscheen und religiösen Stiftungen (Wakuf) und ein dritter der Benutzung der Privaten überlassen ward. Zu den Staatsdomänen gehören: 1) Miri, d. h. Güter, deren Einkünfte in den Staatsschatz fließen; 2) unbewohnte oder unbebaute Landstriche; 3) die Privatdomänen des Sultans und seiner Familie; 4) verwirkte oder verfalleneLändereien; 5) Länder, die den Wesirämtern, Paschas zweiten Ranges, Ministern und Palastbeamten zugewiesen sind. Die Wakufgüter gehören Moscheen, religiösen Instituten und wohltätigen Stiftungen, die von einem besondern Ministerium (Evkaf) verwaltet werden; es sind teils Grund und Boden oder dessen Ertrag, teils Privatpersonen gehöriges, aber mit einer Abgabe belastetes Land. Erst seit 18. Juni 1867 können Fremde Grund und Boden in der Türkei erwerben. Wirtschaftlich ist die gesamte Balkanhalbinsel ein Gebiet landwirtschaftlicher Rohproduktion. die aber noch sehr unvollkommen ausgeübt und wegen der herrschenden Mißwirtschaft und mangelnden Verkehrswege noch verhältnismäßig wenig bedeutend ist. Die Landwirtschaft, insbes. der Ackerbau, steht noch auf tiefer Stufe, obwohl sie die Hauptbeschäftigung ist. Man baut wegen der unredlich gehandhabten, drückenden Besteuerung meist nur das Notwendigste an, so daß ein großer Teil des kulturfähigen Bodens brach liegt. Die Ländereien bleiben in der Regel ein Jahr in der Brache und werden höchstens durch darauf getriebenes Vieh gedüngt. Die Hauptgetreidearten sind: Weizen, Gerste, Roggen, Hafer und Mais, welch letzterer die hauptsächlichste Brotfrucht ist. In dem guten Erntejahr 1905 wurde die Getreideproduktion in der europäischen Türkei geschätzt auf: 800,000 Ton. Weizen, 600,000 T. Mais, 350,000 T. Gerste, 350000 T. Roggen und 250,000 T. Hafer (in der asiatischen Türkei auf 1 Mill. T. Weizen, 650,000 T. Mais, 600,000 T. Gerste, 200,000 T. Roggen und 300,000 T. Hafer). Die Kornkammern der europäischen Türkei sind die Ebenen Thrakiens und Mazedoniens. Von Hülsenfrüchten werden vornehmlich Bohnen, Erbsen und Linsen gebaut; die verbreitetsten Gemüse sind: Zwiebeln, Knoblauch, Kohl und Gurken. Als sonstige Gartengewächse sind zu nennen: spanischer Pfeffer, die Eierpflanze, Melonen, Kürbisse etc. Nicht unbedeutend ist der Obstbau. Besonders werden Pflaumenbäume gezogen, deren Früchte gedörrt ein bedeutender Ausfuhrartikel sind oder zur Branntweinfabrikation (s. Sliwowitz) dienen. Außerdem finden sich Kirsch-, Apfel-, Birn-, Aprikosen-, Quitten-, Nuß- und Mandelbäume an den Küsten. Das Mittelmeerklima begünstigt den Anbau subtropischer Gewächse, wie Oliven, Feigen, Agrumen, Baumwolle, Reis (dieser besonders im Maritza- und Wardarbecken). Sesam wird als Ölpflanze in den Ebenen Thrakiens, im südlichen Mazedonien sowie in einzelnen Gegenden von Epirus gebaut und besonders aus Saloniki ausgeführt. Die Kultur des Weinstocks ist überall verbreitet und hat wie die Weinausfuhr seit der Verwüstung der französischen Weinberge durch die Reblaus bedeutende Fortschritte gemacht. Von Gespinstpflanzen sind Hanf, Lein und Baumwolle, letztere besonders in Mazedonien, hervorzuheben. Tabak wird in Menge gebaut (jährlich 15–18 Mill. kg), der beste in Mazedonien; 1883 wurde die Tabaksregie eingeführt und einem Bankkonsortium auf im Jahre übertragen. Ein Teil wird im Inland verbraucht, der bei weitem größere nach Rußland, England, Österreich ausgeführt. Von Farbepflanzen ist Krapp die verbreitetste. Die Forstwirtschaft steht noch auf sehr niedriger Stufe; die Waldverwüstung ist ungeheuer. Einzelne Provinzen sind stellenweise noch mit dichten Waldungen bedeckt, während es in andern an Holz fast gänzlich mangelt. Die Eichenwaldungen liefern zur Ausfuhr große Mengen von Knoppern (Valonen). Eine Haupterwerbsquelle der Landbewohner der europäischen Türkei ist die Viehzucht. Die türkischen Pferde, klein, aber ausdauernd, dienen hauptsächlich zum Reiten und Lasttragen; die Esel und Maulesel der Türkei wetteifern an Schönheit mit denen Italiens. Die Stelle des Kamels, das nur in Konstantinopel vorkommt, vertritt der Büffel, der die schwersten Fuhren bewältigt und zugleich als Milchtier dient. Das Rindvieh ist klein und gut gebaut. Sehr erheblich ist die Zucht des Kleinviehs, die besonders auf Kosten der immer mehr zerstörten Wälder betrieben wird. Schafe und Ziegen sind die Hauptmilch-, Woll- und Fleischtiere. Die Kleinviehzucht hat noch einen halbnomadischen Charakter. Aus Albanien werden im Frühjahr große Schafherden nach Mazedonien und Thessalien zum Weiden getrieben. Die Wollausfuhr (Produktion jährlich im Durchschnitt 3 Mill. kg) geht aus der europäischen Türkei besonders nach Frankreich; feinere Wolle produziert die Gegend von Adrianopel. Von Wichtigkeit ist auch die Bienen- und Seidenraupenzucht, welch letztere in der europäischen Türkei jährlich 475,000 kg Kokons und erhebliche Mengen Rohseide für die Ausfuhr liefert (besonders in Thrakien). Der Fischfang wird vornehmlich an den Küsten und in den großen Binnenseen betrieben. Hierher gehört auch das Einsammeln von Badeschwämmen an den Küsten des Ägäischen Meeres, während der Blutegelfang in Mazedonien von der Regierung als Monopol betrieben wird. Der Bergbau liegt noch ganz danieder, wiewohl reiche Erzlager vorhanden sind und die Balkanhalbinsel ein altes Bergbaugebiet ist. Groß ist die Zahl heilkräftiger warmer Mineralquellen, besonders längs des Südrandes des Balkans.

Während das Abendland früher eine Menge kostbarer Stoffe (Seidenstoffe, Teppiche, Fayencearbeiten etc.) aus der Türkei bezog, werden sie jetzt, und zwar von besserer Qualität und um wohlfeilern Preis, aus dem Ausland eingeführt. Die industrielle Tätigkeit beschränkt sich, von einigen großen Städten abgesehen, auf Herstellung der notwendigen Verbrauchsartikel durch die bäuerliche Bevölkerung selbst und wird in einigen Gegenden nach ererbten Mustern handwerksmäßig oder als Hausindustrie, selten fabrikmäßig betrieben. besonders die Wollweberei, Waffen-, Metall- und Filigranindustrie, und geht unter der erdrückenden europäischen Konkurrenz immer mehr zurück. Großen Aufschwung zeigen nur die Lederindustrie und Schuhwarenfabrikation. Konstantinopel ist der Hauptsitz der fabrikmäßig betriebenen Gewerbtätigkeit (vgl. Konstantinopel, S. 424). Adrianopel hat 2 Seidenspinnereien, eine Leinwandfabrik, 6 Dampfmahlmühlen, Saloniki 2 Wollspinnereien, eine Dampfziegelei, eine Dampfgerberei, eine Strumpf- und eine Seifenfabrik, eine Bierbrauerei, 7 Dampfmühlen. In den übrigen Landesteilen ist die Industrie ganz unbedeutend oder gleich Null.

Handel und Verkehr.

Haupthindernis des für die Türkei sehr wichtigen Land- und Seehandels sind die immer noch mangelhaften Verkehrsmittel, die Zollplackereien und die im Münz-, Maß- und Gewichtswesen herrschende Verwirrung. Kunststraßen besitzt die Türkei, von den Eisenbahnen abgesehen, nur wenig, und die Landwege sind schlecht. Für den noch verhältnismäßig geringen Binnenhandel sehr förderlich sind, wie in allen Ländern mit noch nicht recht entwickeltem Großverkehr, die Messen und Märkte, die in verschiedenen Orten abgehalten werden, und deren wichtigste vom 23. Sept. bis 2. Okt. in Usundscha Owa, nordwestlich von Adrianopel, stattfindet. Der Außenhandel, der in erster Linie durch Konstantinopel, Dede Aghatsch und Saloniki vermittelt wird, ist bedeutend, befindet sich aber vorwiegend in den Händen Fremder; im Levante- und Küstenhandel sind dagegen auch viele türkische Untertanen beschäftigt. Bankier- und Wechselgeschäfte werden fast nur von Armeniern und Griechen betrieben, in deren Händen sich auch fast ausschließlich der Binnenhandel befindet. 1882 wurden sämtliche Handelsverträge gekündigt und erst seit 1888 neue abgeschlossen. – Die Hauptartikel des auswärtigen Handels des türkischen Reiches waren 1905/06 in Millionen Piaster (à 0,179 Mk.):

Tabelle

Die Ausfuhr besteht hauptsächlich aus Rohprodukten der Landwirtschaft, die Einfuhr aus Fabrikaten aller Art, Kolonialwaren, Petroleum; jene betrug 1,967,236, diese 3,136,602 Piaster. Die Hauptländer für den Handel mit der Türkei sind: England, Österreich-Ungarn, Frankreich, Rußland, Italien, Deutschland, Bulgarien und Persien. Auf England entfällt ein Drittel des gesamten türkischen Außenhandels (1732 Mill. Piaster). Deutschland führte 1905/06 in die Türkei ein für 132,529,000, aus für 122,769,000 Piaster, ungerechnet die über französische und österreichische Häfen gehenden Sendungen. Die meist in griechischen Händen befindliche Handelsflotte des türkischen Reiches bestand 1905 aus 104 Dampfern mit 63,210 und 879 Seglern (über 50 Ton.) mit 178,262 T. Die Schiffsbewegung der türkischen Häfen 1904/05 belief sich auf 182,941 Schiffe (davon 49,235 Dampfer) mit 46,685,621 Reg.-Ton. Konstantinopel allein hatte 1904 einen Seeverkehr von 16,450 Schiffen mit 15,633,534 T. Regelmäßige Dampfschiffsverbindungen werden mit den Hauptseeplätzen der Türkei und den Häfen des Schwarzen, Ägäischen und Adriatischen Meeres durch die deutsche Levantelinie, die Amerika-Levantelinie, die Aktiengesellschaft Atlantic (Bremen), die deutsch-russische Naphtha-Importgesellschaft, den österreichischen Lloyd, die ungarische Levantelinie, die Messageries maritimes, Fraissinet & Comp., Paquet & Comp, Navigazione Generale Italiana, durch 6 englische, eine niederländische, eine russische, eine ägyptische, mehrere kleinere griechische und türkische Linien unterhalten. Münzeinheit ist amtlich seit 1844 der Piaster Gold (gûrusch, Grusch zu 40 Para), deren 100 auf das türkische Pfund (osmanli lira) von 18,452 Mk. Sollwert gehen. Die Münzanstalt in Konstantinopel prägt Goldstücke zu 500,250,100,50 und 25 Piaster; Noten der Ottomanischen Bank sowie fremdes, besonders französisches und englisches Gold (fransiz und ingliz lira) helfen aus. Im Kleinverkehr kursiert neueres Silbergeld zu 20 (Medschidië), 10, 5, 2, 1 und 1/2 Piaster nebst Kupfermünzen zu 10 und 5 Para; fremdes Silber- und Kupfergeld ward 1887 verboten. Schlechte Prägung und der aus dem alten Metalikgeld (vgl. Altilik und Beschlik) entstandene Wirrwarr haben beigetragen, daß in den Provinzen das Aufgeld des Goldes ungleich wechselt; den Medschidië aus Silber setzte die Regierung selbst 1880 auf 19 Goldpiaster herab. Vgl. Tafel »Münzen V«, Fig. 9 u. 18, und Tafel VI, Fig. 15, nebst Übersicht. In bezug auf Maß und Gewicht gilt das metrische System (s. Bd. 13, S. 717). Frühere Gewichtseinheit war die Okka = 1284 g, Getreidemaß das Kilé = 25–37 Lit., Längenmaß der Pik HâlebiElle von Aleppo«) = 0,686 m. Diese Maße sind noch im Gebrauch. An Eisenbahnen standen 1906 in Betrieb 5589 km (Europa 1994, Kleinasien 2086, Syrien 1509 km). Die Hauptlinien der europäischen Türkei sind: (Belgrad-Sofia-Philippopel-) Mustafa Pascha-Adrianopel-Konstantinopel (354 km), (Belgrad-) Zibeftsche-Üsküb-Saloniki (243 km), Üsküb-Mitrowitza (119 km, Verlängerung nach Bosnien in Aussicht), Saloniki-Monastir, Konstantinopel-Dede Aghatsch-Saloniki. Das Telegraphennetz ist ziemlich ausgedehnt, selbst über abgelegene und schwach bevölkerte Gegenden; es gab im türkischen Reich 1904/05: 42,924 km Linien mit 68,764 km Drahtlänge und 927 Ämtern. Die Post ist seit 1888 dem Weltpostverein angeschlossen; es gab 1904/05: 1279 Ämter. Befördert wurden 24 Mill. Briefe, 1,132,000 Postkarten, 5,3 Mill. Drucksachen und Warenproben, endlich Wertsendungen im Wert von 50,5 Mill. Frank. Wegen der Unzuverlässigkeit der türkischen Post haben das Deutsche Reich, Österreich-Ungarn, Frankreich, Großbritannien etc. ihre Postämter in den größern Hafenstädten beibehalten.

Staatsverfassung und -Verwaltung.

Das osmanische Reich ist eine absolute Monarchie, deren Herrscher, Sultan oder PadischahGroßherr«), die höchste weltliche Gewalt mit dem Kalifat, der höchsten geistlichen Würde, verbindet. Der Sultan gilt bei seinen Untertanen als Nachfolger des Propheten und hat seine Autorität von Gott. Als oberster Kalif ist er gleichzeitig geistliches Oberhaupt aller Mohammedaner. Der Thron ist erblich im Mannesstamm des Hauses Osman und geht in der Regel auf das älteste Mitglied desselben über. Der Padischah wird in der Moschee Ejub zu Konstantinopel vom Scheich ul Islam mit dem Säbel Osmans, des ersten Sultans der Osmanen (1299), umgürtet, wobei er die Aufrechterhaltung des Islams verspricht und einen Schwur auf den Koran ablegt. Der jetzige Sultan ist Abd ul Hamid II. (s. d.), der 34. Souverän aus dem Haus Osmans und der 28. seit der Eroberung von Konstantinopel. Die Würdenträger des Hofes zerfallen in zwei Klassen: die einen, die Agas des Äußern, wohnen außerhalb des Palastes oder Serails; die andern, die Agas des Innern, bewohnen den Mabeïn, einen Teil des Serails, und sind fast lauter Eunuchen, die zu ihrem Namen den Titel »Aga« setzen. Der erste an Rang mit dem Titel »Hoheit« und nur dem Großwesir nachstehend ist der Kislar-AgaHauptmann der Mädchen«), der Chef der schwarzen Eunuchen. Der Harem (s. d.), der als Staatseinrichtung gilt, unterscheidet mehrere Klassen und enthält 300–400 Frauen. Den Titel Sultanin führen nur die Prinzessinnen kaiserlichen Geblüts. Des Sultans Mutter (Sultan-Walide) hat nach ihm den ersten Rang im Reiche. Zum Hofe gehören ferner der Palaismarschall und zahlreiche Zivilbeamte und Offiziere.

Die osmanische Gesetzgebung besteht aus dem theokratischen (religiös-bürgerlichen) Gesetz (Scheriat) und dem politischen Gesetz (Kanun). Ersteres beruht auf dem Koran, der Sunna (Überlieferung), dem Idschma iümmet (die Auslegungen und Entscheidungen der vier ersten Kalifen enthaltend) und dem Kyas oder der Sammlung gerichtlicher, durch die vier großen Imam (Ibn Hanifé, Maliki, Schafi'i und Hambali) gegebener Entscheidungen in den ersten drei Jahrhunderten der Hedschra bis zu den Sammlungen der Fetwas (s. d.). Die türkische Gesetzgebung ist das Werk von 200 Rechtsgelehrten, aus deren Arbeiten man umfassende Sammlungen bildete, welche die Stelle der Gesetzgebung vertreten. Die erste (»Dürrer«, »Perlen«) reicht bis 1470 (848 der Hedschra); die zweite (»Mülteka ül Buhur«, »Verbindung der Meere«), das Werk des gelehrten Scheichs Ibrahim Halebi (gest. 1549) und 1824 gänzlich umgearbeitet, ist religiöses, politisches, militärisches, bürgerliches, Zivil- und Kriminalgesetzbuch; das Handelsgesetzbuch ist im wesentlichen eine ungeschickte Kopie des französischen Code de commerce von 1807. Der Theorie nach gilt die am 23. Dez. 1876 erlassene Verfassung, obwohl die Regierung sich um sie nicht kümmert; seit 1877 ist die Reichsversammlung nicht mehr berufen worden.

[Innere Verwaltung.] Der Sultan übt seine gesetzgebende und vollziehende Gewalt durch den Großwesir und den Scheich ul Islam aus. Der Großwesir ist der Repräsentant des Sultans, führt im Ministerrat den Vorsitz und ist als Leiter der obersten Staatsverwaltung tatsächlich der Inhaber der Exekutivgewalt. Dem Mufti oder Scheich ul Islam (eingesetzt 1543 durch Mohammed II.) liegt die Auslegung des Gesetzes ob. Er ist der unmittelbare Vertreter der geistlichen Gewalt des Kalifats, oberster Chef der mohammedanischen Geistlichkeit und Richter »schaft, selbst aber weder Priester noch Gerichtsperson. Seine Zustimmung ist notwendig zur Gültigkeit jeder Verordnung, jedes von der höchsten Behörde ausgehenden Aktes. Außerdem stehen an der Spitze der Staatsverwaltung die für die einzelnen Zweige derselben bestimmten Staatsminister, nämlich: der Minister der auswärtigen Angelegenheiten, der Kriegs« minister, der Großmeister der Artillerie, der Finanzminister, der Marineminister (Kapudan-Pascha), der Minister des Innern, der Minister des Handels und der öffentlichen Arbeiten, der Minister des öffentlichen Unterrichts, der Minister für Justiz und Kultus und der Intendant des Evkaf (d. h. der den Moscheen und frommen Stiftungen gehörigen Güter). Der Geheime Rat oder Diwan besteht aus dem Scheich ul Islam, den oben genannten Ministern und dem Präsidenten des Staatsrats. Dann folgen die beiden Reichsräte, der für Ausführung der Reformen und der 1868 gegründete Staatsrat (nach dem Muster des französischen Conseil d'État). Die Minister führen den Titel »Muschir« (und »Wesir«), die andern hohen Staatsbeamten der Pforte und die Generale den Titel »Pascha«, die Beamten der Magistratur und der Kanzleien den Titel »Efendi«, die Söhne der Paschas und die obern Offiziere den Titel »Bei«, alle niedern Offiziere und Beamten den Titel »Aga«. Behufs der Verwaltung ist das türkische Reich in Wilajets oder Generalgouvernements eingeteilt. Die Wilajets zerfallen in Liwas oder Sandschaks (Provinzen), diese wiederum in Kasas (Kreise) und Nahije (Amtsbezirke). An der Spitze jedes Wilajets steht ein Wali oder Generalgouverneur. Jedes Liwa wird von einem Mutesarrif verwaltet, jedes Kasa von einem Kaimakam; an der Spitze der Nahijes steht ein Mudir. In jedem Wilajet und in den größern Städten steht dem betreffenden Verwaltungsbeamten ein Medschlis (Verwaltungsrat, Gemeindevertretung) zur Seite, in dem die richterlichen, finanziellen; religiösen Spitzen und 3–4 von der Einwohnerschaft gewählte Personen sitzen. Die meisten der durch das Irade vom 22. April 1896 veröffentlichten Reformen für die Provinzialverwaltung, die den Christen eine geringe Mitwirkung einräumen, ihnen den Kirchenbau erleichtern und bestimmen, daß 10 Proz. der Gendarmen Christen sein sollen, werden wohl ebenso auf dem Papiere stehen bleiben wie die von 1878.

[Rechtspflege.] Die türkischen Justizbehörden zerfallen in die ganz mohammedanischen Scher'ije, an deren Spitze der Scheich ul Islam steht, und in die weltlichen Nisâmije, die aus Christen und Mohammedanern zusammengesetzt sind. Die höchste Gerichtsbarkeit wird ausgeübt von dem Appellationshof, dem höchsten Kassationshof und dem Komitee für Kompetenzstreitigkeiten, alle in Konstantinopel. In jedem Wilajet befindet sich ein Scher'ijegericht unter dem Vorsitz eines Mollas mit dem Titel Nâib, der zugleich dem Diwan-Temjisi (Appellationsgericht des Wilajets) präsidiert. Ebenso hat jedes Liwa und Kasa sein Scher'ijegericht, das häufig der Bestechung sehr zugänglich ist, wie überhaupt in allen Zweigen der Staatsverwaltung Zerfahrenheit, Unbildung und Korruption der ungebildeten, schlecht und unregelmäßig bezahlten Beamten herrscht. Für Streitigkeiten zwischen Bekennern verschiedener Religionen, zugleich auch für Kriminalfälle dienen die Nisâmijes. Außerdem bestehen Handels-(Tidscharet-)Gerichte seit 1887 in den größern See- und Handelsstädten (Konstantinopel, Saloniki, Smyrna, Beirut, Bagdad). Sie sind gewöhnlich mit drei türkischen Richtern besetzt; bei Prozessen zwischen türkischen und fremden Staatsangehörigen werden sie durch zwei von den Konsulaten delegierte fremde Kaufleute, die als beisitzende Richter fungieren, verstärkt. Bei Prozessen zwischen fremden und türkischen Staatsangehörigen sind die Tidscharetgerichte nicht bloß für Handelssachen, sondern auch für alle sonstigen Zivilstreitigkeiten, wenn der Wert des Streitgegenstandes 1000 Piaster (ungefähr 180 Mk.) übersteigt und es sich um keine Immobiliarklage handelt, kompetent. Die ottomanischen Gerichte sind in allen Streitfällen zwischen fremden und türkischen Staatsangehörigen zuständig. Doch kann nach den Kapitulationen, d. h. den Verträgen zwischen der Pforte und den Fremdmächten, die gerichtliche Verhandlung nur im Beisein eines Vertreters des zugehörigen Konsulats stattfinden. In Prozessen dagegen, bei denen beide Parteien Fremde sind, entscheiden die Konsulargerichte.

[Finanzen.] Die Finanzen der Türkei haben sich nach dem Bankrott vom 13. April 1876 nur wenig gebessert und 1881 zur Einsetzung einer internationalen Finanzkontrolle (s. d.) geführt, wie sie überhaupt wegen des ständigen Defizits eine Quelle unaufhörlicher Einmischung der Fremdmächte in die innern Angelegenheiten des türkischen Reiches sind. Die schweren Lasten, welche die häufigen Kriege und Aufstände und das zahlreiche Heer dem Staat auferlegen, machen die Finanzverhältnisse sehr traurig, weshalb auch die Gehälter sehr unregelmäßig gezahlt werden und Rückstände für mehrere Monate gewöhnlich sind. Die Hauptposten der Einnahmen. soweit sie nicht an die Staatsgläubiger verpfändet sind, sind: Grundsteuer, Einkommensteuer von einzelnen Gewerben, der Zehnte von den Bodenerzeugnissen, der aber in der Höhe von 121/2 Proz. erhoben wird, die Hammelsteuer, die auf den Nichtmohammedanern lastende Steuer für Befreiung vom Militärdienst, der 8proz. Einfuhr- und der 1proz. Ausfuhrzoll. 1897/98 betrugen in türkischen Pfund (zu 18,44 Mk.) die Staatseinnahmen 18,511,322, die Ausgaben 18,429,411 Pfd., wovon allein 6,5 Mill. Pfd., trotz stark reduzierter Zinszahlung. auf die Verzinsung der Staatsschuld entfielen. Letztere betrug 1906 einschließlich der Rückstände der russischen Kriegsschuld 129,1 Mill. Pfd. Vor dem Staatsbankrott betrug die öffentliche Schuld 4,5 Milliarden Mk.; sie wurde 1881 auf die Hälfte reduziert.

Heerwesen und Kriegsmarine.

Das Wehrgesetz von 1880 (letzte Ergänzung 1904) befiehlt für Mohammedaner allgemeine Wehrpflicht vom 21. bis 40. (in Glaubenskriegen bis 70.) Lebensjahr; 3 Jahre aktiv (Nizam), 6 Reserve (Ichtiat), 9 Landwehr (Redif) erster Kategorie, 2 Landsturm (Mustafiz). Berücksichtigungswürdige entfallen in die Redif zweiter Kategorie mit höchstens 9 Monaten präsenter Dienstzeit. Andersgläubige sind gegen eine Wehrsteuer (900 Mk.) vom Militärdienst befreit, desgleichen die Mohammedaner von Konstantinopel, Skutari, Mekka, Medina. Jeder Eingereihte kann sich nach 3 Monaten Aktivdienst mit 50 türk. Pfd. von der weitern Präsenzpflicht loskaufen. Friedensstärke 1905: 20,009 Offiziere, 250,000 Mann, 22,000 Pferde und Tragtiere, 1300 bespannte Geschütze, ohne Gendarmerie und Kaders (10,000 Mann) der Redif. Nizamarmee mit 337 Bataillonen Infanterie zu 300–600 Mann, 208 Eskadrons zu 138 Mann, 271 Batterien zu 60–100 Mann, 146 Festungsartillerie-, 56 technische Kompanien, 24 Trainkompanien; eine Sanitätstruppe (außer dem Krankenwärterpersonal in Konstantinopel) existiert nicht; 136 Bataillone, 233 Eskadrons osmanische Gendarmerie mit 100,000 Mann zu Fuß und 18,000 Reitern. Die mazedonische Gendarmerie, 1 Regiment zu 4 Bataillonen, 5 Eskadrons 1885 Mann, 383 Reiter, ist von europäischen Offizieren kommandiert. Kriegsstärke der Nizam- und Redifarmee, einschließlich der irregulären Kavallerie aus Kurden- und Araberstämmen (Hamidié), 1 Mill. Gewehre, 75,000 Säbel, 1600 Feld- und Gebirgsgeschütze, hiervon mindestens 0,5 Mill. Gewehre, 20,000 Säbel, 1000 Geschütze für einen europäischen Krieg verfügbar. Bewaffnung 7,65 mm-Mauser-Repetiergewehre, 7,5 cm-Gebirgsgeschütze, 12 cm-Feldhaubitzen M/92, ein 7,5 cm-Schnellfeuergeschütz M/1903 ist in Einführung (alle von Krupp). 7 Ordu- (Korps-) Bezirke; 2 selbständige Divisionsbezirke mit zusammen 55 Infanteriedivisionen, 6 Kavalleriedivisionen der Nizam- und Redifarmee im Frieden. Im Kriege 20 Infanteriedivisionen Nizam, 24 Redif erster zu 12,000 Gewehren, 100–400 Säbeln, 18–24 Geschützen; 11 (nach voller Durchführung der Organisation 42) Infanteriedivisionen Redif zweiter Kategorie mit etwas schwächerm Gefechtsstand; 6 Kavalleriedivisionen zu 3000 Säbeln, 18 Geschützen; weiter 3400 Gardezuaven als Leibwache des Sultans, 3000 Mann Gardekavallerie, 4 Spezialjägerbataillone schon im Frieden mit 3200 Mann, 8 Maschinengewehren und 8 Gebirgsschnellfeuergeschützen; 19 Hamidiébrigaden mit 35,000 Reitern. Anstalten: 32 Militärunterrealschulen, 11 Kadetten-, bez. Oberrealschulen (2 für Ärzte), 3 Akademien (Infanterie und Kavallerie, Artillerie und Genie, Ärzte), eine Generalstabsschule, eine höhere Artillerie- und Genieschule, Arsenal in Konstantinopel, Geschützreparaturwerkstätte in Erzerum, Pulverfabrik in Makrikoj. Landesbefestigung: Erzerum mit 14 neuern Werken, Konstantinopel mit den befestigten Zugängen der Seeseite, Bosporus (s. d.) und Dardanellen (s. d.); der Landverteidigung dient die Tschataldschalinie, vorwiegend aus Erdwerken bestehend. Vgl. v. Loebells »Jahresberichte über das Heer- und Kriegswesen« (Berl.); Mach und v. d. Goltz. Die Wehrmacht der Türkei und Bulgariens (das. 1905); »Vierteljahrsreste für Truppenführung und Heereskunde« (das. 1995); Rásky, Die Wehrmacht der Türkei (Wien 1905); »Internationale Revue über die gesamten Armeen und Flotten«, Beiheft 75 (Dresd. 1906). –

Wappenemblem des Turkischen Reiches.
Wappenemblem des Turkischen Reiches.

Die Flotte zählte Anfang 1907: 2 alte Linienschiffe von 15,900 Ton., 1 Küstenpanzerschiff, 2 kleine geschützte Kreuzer, 2 ungeschützte Kreuzer, 3 Kanonenboote, 5 Torpedobootszerstörer (außerdem 9 im Bau), 17 Hochseetorpedoboote, 7 alte Küstentorpedoboote, 2 alte Unterseeboote, 2 Schulschiffe, 4 Sultansjachten, 4 Hafenschiffe (alte Panzerschiffe). Personal etwa 10,000 Mann. Die ganze Flotte ist stark vernachlässigt, nur ein Teil der angeführten Schiffe ist seetüchtig und mit moderner Kriegsausrüstung versehen. – Ein eigentliches Wappen hat die Türkei nicht. Als Symbole dienen der Namenszug (Tugra) des regierenden Sultans sowie ein (abnehmender) silberner Halbmond mit silbernem Stern zwischen den Hörnern in Grün oder Rot (vgl. Abbildung). Die Türken sollen den Halbmond schon 1209 (als sie noch in Mittelasien wohnten) bei ihren Kriegen gegen die Chinesen als Fahnenbild gebraucht haben. Das Symbol wird auf den Gestirndienst zurückgeführt, der die Religion der Türken war, ehe sie zum Islam übertraten. Die Landesfarben sind Rot und Dunkelgrün. Grün ist die heilige Farbe der Mohammedaner. Es bestehen vier Ritterorden: der kaiserliche Osman-Hausorden (Chanedani-al-Osman, 1895 für Verdienste um den Sultan gestiftet, eine Klasse), der Erthogrul-Orden (1903 gestiftet, eine Klasse), der Orden des Ruhms (Nischani-el-Ittikhar, 1831 gestiftet) mit fünf Klassen, der Medschidije-Orden (1851 gestiftet, s. Tafel »Orden II«, Fig. 30) mit fünf Klassen, der Osmanje-Orden (1862 gestiftet, s. Tafel »Orden II«, Fig. 31) mit vier Klassen, der Verdienstorden (Nischan-i-Imtijās, 1879 gestiftet), außerdem ein Frauenorden (Nischan-i-Schefakat, 1878 gestiftet). Sonstige Auszeichnungen sind Verdienst- und Rettungsmedaillen, Ehrenkaftane und Ehrensäbel. Die Kriegs- und Handelsflagge (letztere auch bloß rot-grün-rot horizontal gestreift) zeigt auf rotem Grund einen mit den Hörnern nach außen gekehrten weißen Halbmond und darin einen weißen fünfstrahligen Stern (s. Tafel »Flaggen I«).

Die Asiatische Türkei (s. das Nebenkärtchen und Karte »Asien, politische Übersicht« im 1. Bd.) umfaßt in 1) Kleinasien (501,400 qkm mit 9,089,200 Einw., 18 auf 1 qkm) die Wilajets des Archipels, Brussa, Smyrna, Konia, Adana. Angora, Kastamuni, Siwas, Trapezunt und die Mutesarrifliks Ismid und Bigha, 2) Armenien und Kurdistan (186,500 qkm mit 2,470,900 Einw., 13 auf 1 qkm) die Wilajets Erzerum, Mamuret-ül-Aziz, Bitlis, Diarbekr, Wan, 3) Syrien und Mesopotamien (637,800 qkm mit 4,288,600 Einw., 7 auf 1 qkm) die Wilajets Aleppo, Beirut, Syrien, Bagdad, Mosul, Basra und die Mutesarrifliks Libanon, Jerusalem, Sor, 4) Arabien (441,100 qkm mit 1,050,000 Einwohnern, 2 auf 1 qkm) die Wilajets Hidschaz und Jemen. Der Gesamtbesitz in Asien beträgt also 1,766,800 qkm mit 16,898,700 Einw. (ca. 10 auf 1 qkm). Über das Nähere vgl. die Einzelartikel.

[Literatur.] Vgl. v. Moltke, Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei 1835–1839 (Berl. 1841. 6. Aufl 1893); v. Hellwald und Beck, Die heutige Türkei (2. Aufl., Leipz. 1878–79, 2 Bde.); Zur Helle, Die Völker des osmanischen Reichs (Wien 1877); Menzies, Turkey, historical, geographical, statistical (Lond. 1880, 2 Bde.); L. Diefenbach, Die Volksstämme der europäischen Türkei (Frankf. 1877); V. Cuinet, La Turquie d'Asie (Par. 1891–95, 4 Bde.); J. Baker, Die Türken in Europa (deutsch, Stuttg. 1878); Lux, Die Balkanhalbinsel (Freib. i. Br. 1887); Laveleye, Die Balkanländer (deutsch, Leipz. 1888, 2 Bde.); Th. Fischer, Die südosteuropäische Halbinsel (in Kirchhoffs »Länderkunde von Europa«, 2. Teil, Wien 1893); Lamouche, La Péninsule Balcanique (Par. 1899); Dupont, Géographie de l'empire ottoman (das. 1907); Aristarchi Bei, La législation ottomane (Konstant. u. Par, 1873 bis 1888, 7 Bde.); Baillie, Digest of mahommedan law (2. Aufl., Lond. 1875–87, 2 Bde.); Nauphal; Système legislatif Musulman (St. Petersb. 1823, 2 Bde.); Albrecht, Grundriß des osmanischen Staatsrechts (Berl. 1905); Loytved, Grundriß der allgemeinen Organisation der Verwaltungsbehörden der eigentlichen Türkei (»Mitteilungen des Seminartz für orientalische Sprachen«, das. 1904); Morawitz, Les finances de la Turquie (Par. 1902; deutsch von Schweitzer, Berl. 1903); »Annuaire oriental de commerce, de l'industrie, de l'administration, etc.« (Konstantinopel); Meyers Reisebücher: »Türkei, Rumänien, Serbien, Bulgarien« (6. Aufl., Leipz. 1902) und »Griechenland u. Kleinasien« (6. Aufl., das. 1906), Karten: »Karte der Balkanhalbinsel« (1:200,000; vom Österreichischen Militärtopographischen Institut; etwa 60 Blätter, als Teil der Österreichischen Generalkarte von Zentraleuropa in 1:200,000); »Karte der europäischen Türkei«, 64 Blätter in 1:210,000 (hrsg. vom Kaiserlich Ottomanischen Generalstab, Konstant, 1899); s. die Textbeilage zum Artikel »Landesaufnahme« (im 12. Bd.) und die bei Kleinasien (s. d.) angeführten Kartenwerke von Kiepert u. a. Vgl. Haardt v. Hartenthurn, Die Kartographie der Balkanhalbinsel im 19. Jahrhundert (Wien 4903); Cvijić, Bibliographie der geographischen Literatur über die Balkanhalbinsel (Belgrad, seit 1896).

Geschichte des türkischen Reiches

(Hierzu »Karte zur Geschichte der europäichen Türkei.«)

Tabelle

[Gründung des türkischen Reiches.] Ein Stamm der Türken, die im Altertum Turan bewohnten, im 8. Jahrh. zum Islam übertraten und dann unter Führung der Seldschuken (s. d.) Vorderasien überschwemmten, wanderte, 50,000 Seelen stark, um 1225 unter seinem Stammeshäuptling Suleiman vor den Mongolen von Chorasan nach Armenien aus. Suleimans Sohn Ertogrul (1231–88) erhielt von Ala ed-din, seldschukischem Sultan von Konia, ein Lehen im nordwestlichen Phrygien. Osman I., Ertogruls Sohn (1299–1326), focht glücklich gegen die Griechen; nach ihm führten die Türken fortan den Namen osmanische Türken oder Osmanen. Türkische Freibeuter eroberten 1308 Chios und plünderten zahlreiche Küstenstädte Kleinasiens. Osmans Sohn Urchan (1326–59), einer der bedeutendsten Herrscher, eroberte 1326 das feste Brussa, wo er sich einen Palast erbaute, dessen Tor die »Hohe Pforte« genannt wurde, und unterwarf bis 1340 das Land bis an die Propontis mit Nikäa und Nikomedeia sowie weite Strecken im Innern. Sein Sohn Suleiman setzte sich 1356 schon auf der europäischen Seite des Hellesponts, in Gallipoli, fest. Unter dem Beirat seines einsichtsvollen Bruders Ala ed-din (gest. 1333), des ersten Wesirs der Osmanen, organisierte Urchan das Reich nach den Satzungen des Korans wie des osmanischen Staatsrechts (Kanun) und teilte es in drei Sandschaks (Fahnen). Auch schuf er ein stehendes Heer und errichtete die Janitscharen (d. h. neue Truppe), ein aus christlichen Knaben rekrutiertes, trefflich geschultes Fußvolk, sowie die reguläre Reiterei der Spahis, die gegen erbliche Dienstpflicht mit den Einkünften von unterworfenen Dörfern belehnt wurden. Die Türken bildeten also ein politisch organisiertes Heerlager, dessen Unterhaltung christlichen Völkerschaften oblag; trotz fortwährender Kriege vermehrte es sich rasch durch massenhaften Übertritt von Christen, denen sofort alle Vorrechte des herrschenden Kriegerstammes gewährt wurden.

Urchans zweiter Sohn, Murad I. (1359–89), eroberte Thrakien, verlegte 1365 seine Residenz nach Adrianopel und beschränkte das griechische Kaiserreich auf Konstantinopel. Serben und Bulgaren zahlten nach der Niederlage auf dem Serbierfeld bei Adrianopel (1371) Tribut und verpflichteten sich zur Heeresfolge; die Fürsten Kleinasiens erkannten die Oberhoheit des Sultans an. Die Erhebung des Serben Lazar, dem sich Kroatien, Bosnien, Albanien, Bulgarien und die Walachei anschlossen, endete mit der blutigen Niederlage auf dem Amselfeld (15. Juni 1389), obwohl der siegreiche Murad auf dem Schlachtfeld selbst von einem verwundeten Serben erstochen wurde. Sein Sohn Bajesid I. (1389–1402) machte die Walachei zinspflichtig, unterjochte Bulgarien, eroberte Mazedonien und Thessalien und drang in Hellas ein; die Länder zwischen Halys und Euphrat beugten sich unter ihn. Die christlichen Kreuzscharen, die König Siegmund von Ungarn herbeiführte, schlug Bajesid 28. Sept. 1396 bei Nikopoli. Doch unterlag er 20. Juli 1402 bei Angora den Mongolen Timurs und geriet selbst in Gefangenschaft, in der er 1403 starb. Von seinen Söhnen Suleiman, Musa und Mohammed glückte es dem letzten 1413, das zerfallende osmanische Reich wieder in seiner Hand zu vereinigen. Seinen Sohn Murad II. (1421–51) zwangen Aufstände in Asien sowie wechselvolle Kriege gegen die Ungarn und Serben unter Johannes Hunyadi und in Albanien gegen Georg Kastriota, Illyrien den Serben und die Walachei den Ungarn abzutreten. Erst als seine Siege über die Christen bei Warna (10. Nov. 1444) und auf dem Amselfeld (17. bis 20. Okt. 1448) die Herrschaft der Osmanen an der Donau dauernd begründet hatten, 1446 auch der Peloponnes erobert worden war, konnte die wieder erstarkte Osmanenmacht unter Murads Nachfolger Mohammed II. (1451–81) sich gegen Konstantinopel wenden, das nach tapferer Verteidigung 29. Mai 1453 fiel und zur Hauptstadt des osmanischen Reiches erhoben wurde.

Macht und Blüte des Reiches.

Die zahlreichen unterworfenen Christen (Rajah) wurden zwar in der freien Ausübung ihrer Religion belassen, waren aber doch der Willkür der Türken preisgegeben, die als herrschendes Kriegervolk die Hilfsmittel der eroberten Länder zu ihrer Bereicherung und zur Verstärkung ihrer militärischen Kraft verwendeten und unaufhörlich ihr Machtgebiet zu erweitern strebten; Krieg war ihnen der normale Zu stand. 1456 fiel Serbien, 1463 Bosnien, 1468 Albanien in türkische Hände; 1461 wurde das Kaiserreich Trapezunt, 1475 der Tatarenchan der Krim zur Unterwerfung gezwungen, 1478 die polnische Moldau unter die Oberhoheit der Pforte gestellt. Unter Mohammeds Nachfolger Bajesid II. (1481–1512) trat in der gewaltigen Machtentfaltung des Osmanenstaates ein Stillstand ein, da seine Kriegsunternehmungen gegen das Abendland wenig glücklich waren; trotz der in seinem Hause bereits üblichen Sitte, die Alleinherrschaft durch Verwandtenmord zu sichern, hatte er fortwährend mit Aufständen zu kämpfen und ward, nachdem er seinen Bruder Dschem und zwei Söhne hatte hinrichten lassen, von seinem jüngsten Sohne, Selim I. (1512–20), vergiftet. Selim besiegte 1514 den Schah von Persien, den er durch die Ermordung von 40,000 auf türkischem Boden lebenden Schiiten zum Kriege gereizt hatte, bei Tschaldyran, eroberte Armenien und den Westen von Aserbeidschân, dann nach Besiegung der Mameluken 1517 Syrien, Palästina und Ägypten und wurde von den heiligen Städten Mekka und Medina als Schirmherr anerkannt, worauf er den Titel eines Kalifen annahm. Unter seinem Nachfolger Suleiman (Soliman) II. (1520–66) erreichte die türkische Macht ihren Gipfel: er eroberte 1521 Belgrad, vertrieb 1522 die Johanniter von der Insel Rhodos, vernichtete 29. Aug. 1526 das ungarische Heer unter Ludwig II. bei Mohács, drang 1529 bis Wien vor und vereinigte Ungarn, nachdem es seit 1533 unter dem siebenbürgischen Fürsten Johann Zápolya ein türkisches Vasallenreich gewesen, 1547 zur Hälfte mit seinem Reiche. Die Venezianer mußten 1540 viele Inseln im Ägäischen Meer und ihre letzten Besitzungen auf dem Peloponnes abtreten. Im Krieg mit Persien (1533–36) gewann er Georgien und Mesopotamien. Seine Flotten beherrschten das Mittelmeer bis Gibraltar und beunruhigten durch Raubzüge im Indischen Ozean die portugiesischen Kolonien. Die Barbareskenstaaten Nordafrikas erkannten seine Oberhoheit an. Er starb 1566 vor Szigetvár in Ungarn.

Verfall des Reiches.

Die Vertilgung aller der Einheit etwa gefährlichen Glieder der Dynastie, die Serailerziehung und strenge Abschließung der Prinzen vom öffentlichen Leben vernichteten die Kraft des Herrschergeschlechts; die Soldateska der Janitscharen wurde immer zügelloser. Der schwache Selim II. (1566–74) ließ seinen Großwesir Mohammed Sokolli regieren. Dieser entriß zwar 1570 den Venezianern Cypern, Zante und Kephallinia; dagegen wurde die türkische Flotte 7. Okt. 1571 bei Lepanto von den Christen besiegt. Murad III. (1574–95), der sich den Thron durch Ermordung von fünf Brüdern sicherte, und Mohammed III. (1595–1603), der 19 Brüder erdrosseln ließ, führten erfolglose Kriege gegen Österreich und Persien; letzterer verlor Tebriz und Bagdad und mußte Frankreich um Vermittelung des Friedens mit Österreich angehen. Ahmed I. (1603–17) schloß 1612 mit den Persern einen ungünstigen Frieden. Sein Bruder Mustafa I. (1617) ward nach dreimonatiger Herrschaft als blödsinnig abgesetzt, Ahmeds Sohn Osman II. (1618–21), als er nach einem unglücklichen Feldzug gegen die polnischen Kosaken die schuldigen Janitscharen vernichten wollte, von diesen ermordet und, nachdem Mustafa 1622 wieder als Sultan anerkannt, aber 1623 zum zweitenmal abgesetzt worden war, Osmans jüngerer Bruder, Murad IV. (1623–40), auf den Thron erhoben. Dieser eroberte im Kriege gegen Persien (1634–38) Eriwan, Tebriz und Bagdad wieder, züchtigte die Kosaken und legte den Venezianern einen nachteiligen Frieden auf; auch stellte er die Mannszucht wieder her und füllte sparsam den Staatsschatz. Sein wollüstiger Bruder Ibrahim (1640–48), unter dessen toller Serailwirtschaft die von Murad gewonnenen Vorteile wieder verloren gingen, ward 1648 von den Janitscharen erdrosselt und sein zehnjähriger Sohn, Mohammed IV. (1648 bis 1687), auf den Thron erhoben.

Durch den Streit um die Vormundschaft ward das Reich der Auflösung nahegebracht: Zerrüttung der Finanzen, Meutereien der Janitscharen, Empörungen der Provinzialstatthalter, Niederlagen gegen die Venezianer (unter Lor. Marcello 1656 in den Dardanellen) und gegen Polen brachen über das Reich herein, bis Mohammed Köprülü, 1656 zum Großwesir ernannt, die Mannszucht in der Armee, den Gehorsam der Provinzen und die Ordnung der Finanzen herstellte und die Venezianer zurückschlug. Sein Sohn Ahmed Köprülü (Großwesir 1661–1676) eroberte im Kriege gegen Österreich Gran und Neuhäusel und behauptete, obwohl 1. Aug. 1664 bei St. Gotthard geschlagen, Serimvár und Ujvár im Frieden von Vasvár, unterwarf 1669 Kreta und zwang Polen im Frieden von Buczacz 1672 zur Abtretung Podoliens und der Ukraine, die durch einen neuen Krieg mit Polen und einen Krieg mit Rußland nebst Asow 1681 wieder verloren gingen. Der neue Eroberungskrieg, den Ahmed Köprülüs Schwager Kara Mustafa gegen Österreich unternahm, verlief nach der vergeblichen Belagerung Wiens (24. Juli bis 12. Sept. 1683) so unglücklich, daß Mittelungarn mit Ofen verloren ging und die Kaiserlichen nach dem Siege bei Mohács (12. Aug. 1687) in Serbien eindrangen; während gleichzeitig die Venezianer den Peloponnes und Kephallinia wieder eroberten. Mohammed ward daher 1687 entthront; aber weder Suleiman III. (1687–91) noch Ahmed II. (1691–95) vermochten den türkischen Waffen wieder den Sieg zu verleihen. Nach den großen Niederlagen bei Slankamen (19. Aug. 1691) und Zenta (11. Sept. 1697) mußte Mohammeds Sohn Mustafa II. (1695–1703) im Frieden von Karlowitz (26. Jan. 1699) Ungarn und Siebenbürgen an Österreich, Asow an Rußland, Podolien und die Ukraine an Polen, den Peloponnes an Venedig abtreten. Des abgesetzten Mustafa Bruder Ahmed III. (1703–30) nahm nach der Schlacht bei Poltawa (1709) den flüchtigen Schwedenkönig Karl XII. gastlich auf, erklärte auch seinetwegen Rußland den Krieg; doch ließ sein Großwesir Baltadschi Mohammed 1711 den am Pruth eingeschlossenen Zaren Peter d. Gr. gegen Rückgabe Asows frei. 1715 ward die Morea den Venezianern wieder entrissen; doch verloren die Türken nach einem neuen unglücklichen Kriege gegen Österreich im Frieden von Poscharewatz (21. Juli 1718) einen Teil von Serbien mit Belgrad. 1730 ward Ahmed wegen eines unglücklichen Krieges mit Persien gestürzt.

Unter Mahmud I. (1730–54) fielen 1737 die Russen in die Krim ein und eroberten Asow wieder; die Österreicher kämpften aber so unglücklich, daß die Pforte im Frieden von Belgrad (1. Sept. 1739) das Gebiet südlich von Save und Donau sowie ihre an Rußland verlornen Grenzfestungen mit Asow zurückerhielt. Auf Mahmud folgte Osman III. (1754–1757), auf diesen sein Vetter Mustafa III. (1757–1773). Die Russen besetzten 1769 die Moldau und Walachei, eine russische Flotte erschien im Ägäischen Meer und vernichtete die türkische 6. Juli 1770 bel Tscheschme; 1771 ward die Krim den Türken entrissen, und 1773 drangen die Russen sogar in Bulgarien ein, so daß Mustafas Nachfolger Abdul Hamid I. (1774–89) im Frieden von Kütschük Kainardschi (21. Juli 1774) die Krim aufgeben, alle Plätze an der Nordküste des Schwarzen Meeres abtreten, den Russen freie Schiffahrt im Schwarzen und Ägäischen Meere zugestehen und für die Moldau und Walachei Verpflichtungen übernehmen mußte, die ein Schutzrecht Rußlands begründeten. Gegen Katharina II. von Rußland, die 1783 die Krim und die Kubanländer mit ihrem Reiche vereinigte und 1786 mit Kaiser Joseph II. ein Bündnis schloß, brach 1788 ein neuer Krieg aus, in dem die Türken zwar Suworows Vordringen nicht hemmen konnten, aber den Österreichern wiederholt Verluste beibrachten. Unter preußischer Vermittelung schloß Selim III. (1789–1807) mit Österreich den Frieden von Sistova (4. Aug. 1791), mit Rußland den von Jassy (9. Jan. 1792) und erhielt von beiden Mächten deren Eroberungen mit Ausnahme des Gebietes rechts vom Dnjestr zurück.

Reformversuche.

Im Innern hatten die wiederholten langwierigen Kriege den Verfall beschleunigt: die Finanzen waren zerrüttet, das Ansehen der Regierung geschwächt; die Einheit des Reiches durch Unabhängigkeitsbestrebungen mehrerer Paschas erschüttert. Selims Reformversuche blieben diesen Schwierigkeiten gegenüber wirkungslos. Dazu kamen 1798 der Einfall Bonapartes in Ägypten, 1806 wegen Verletzung des Friedens von Jassy eine neue russische Kriegserklärung. Als Selim die Errichtung eines nach europäischem Muster ausgehobenen und urganisierten Heeres versuchte, ward er 31. Mai 1807 auf Betrieb der beim Volke beliebten Janitscharen durch die Ulemas abgesetzt und Abd ul Hamids Sohn Mustafa IV. zum Sultan ernannt. Als sich der Seraskier Mustafa Bairaktar, Pascha von Rustschuk, für Selim erhob, ward dieser im Gefängnis ermordet. Bairaktar rückte nun auf Konstantinopel, erstürmte bas Serail und setzte im Mustafas Stelle dessen jüngern Bruder, Mahmud (28. Juli 1808), auf den Thron, der einen neuen Aufstand des von den Janitscharen aufgereizten fanatischen Volkes im November 1808 niederschlug und Mustafa IV. hinrichten ließ; sein Großwesir Bairaktar, vom Pöbel in einen Turm eingeschlossen, sprengte sich mit diesem in die Luft.

Mahmud II. (1808–39), als einzig überlebender Nachkomme Osmans von den Türken als rechtmäßiger Herrscher anerkannt, machte sich besonders die Wiederherstellung der Autorität der Pforte gegen die zahlreichen Unabhängigkeitsbestrebungen der Paschas und der christlichen Stämme zur Aufgabe. Die drohende Haltung Napoleons bewog Rußland trotz seiner glänzenden Siege, im Frieden von Bukarest (28. Mai 1812) außer Bessarabien die meisten seiner Eroberungen wieder herauszugeben. Anfang 1822 wurde der unbotmäßige Ali Pascha von Janina zur Übergabe gezwungen und ermordet; durch blutige Ausrottung des sich jeder Neuerung widersetzenden Janitscharenkorps (im Juni 1826) wie durch Errichtung eines regulären, nach europäischem Muster organisierten Heerwesens stellte Mahmud seine Macht wieder her. Dagegen glückte es ihm nicht, den Aufstand der Serben (seit 1804) und der Griechen (seit 1821) zu unterdrücken. Rußland nötigte der Pforte erst den Vertrag von Akkerman (6. Okt. 1826) ab, der die staatsrechtlichen Verhältnisse Serbiens und der Donaufürstentümer im Sinne Rußlands regelte, und nachdem die türkisch-ägyptische Flotte 20. Okt. 1827 bei Navarino durch die vereinigten Geschwader Rußlands, Englands und Frankreichs vernichtet worden war, ließ es im April 1828 seine Heere in Bulgarien und in Armenien einrücken. Zunächst eroberten die Russen bloß Warna, Kars und Achalzych, 1829 aber auch Erzerum, und Diebitsch drang bis Adrianopel vor. Dort kam 14. Sept. unter preußischer Vermittelung ein Friede zustande, worin die Türkei die Donaumündungen und Achalzych an Rußland abtrat, die Privilegien der 2) Donaufürstentümer und des vergrößerten Serbiens bestätigte und die Unabhängigkeit Griechenlands anerkannte.

Nun nahm Mahmud seine Bestrebungen, die Einheit des Reiches wiederherzustellen, von neuem auf, geriet dabei aber in Konflikt mit dem Pascha von Ägypten, Mehemed Ali, dem er für seine beim griechischen Aufstand (1825) geleistete Hilfe große Zugeständnisse hatte machen müssen. Mehemeds Adoptivsohn Ibrahim Pascha fiel 1831 in Syrien ein, schlug die Türken dreimal, eroberte 1832 Akka und drang 1833 bis Kjutahia vor. Die Pforte rief Rußlands Hilfe an, das 15,600 Mann an den Bosporus warf und die Donau überschritt, während Frankreich und England ihre Flotte vor den Dardanellen vor Anker gehen ließen. Jetzt verstand sich Mehemed Ali zum Frieden von Kjutahia (4. Mai 1833), worin der Sultan den Vizekönig als Erbstatthalter Ägyptens anerkannte und ihm auf Lebenszeit die Verwaltung Syriens und Kretas, Ibrahim die von Adana und Tarsos zugestand. Im Vertrag von Hunkjar-Skalessi (8. Juli) verpflichtete sich Mahmud, allen Feinden Rußlands die Dardanellen zu schließen und keinem Kriegsschiff die Einfahrt in das Schwarze Meer. zu gestatten. Nun bemühte sich der Sultan, die kriegerischen Hilfsmittel der Pforte durch straffe Zentralisation zu steigern; den Bosniern, Albanesen und verschiedenen kleinasiatischen Stämmen wurden die Reste ihrer Selbständigkeit genommen, das obere Mesopotamien und Kurdistan unterworfen. Als 1839 Empörungen gegen die ägyptische Herrschaft in Syrien ausbrachen, erklärte im Mai Mahmud dem Vizekönig den Krieg. Doch starb er 1. Juli, ehe er Kunde erhielt von der völligen Niederlage seines Heeres bei Nisib (24. Juni), und 17. Juli lieferte der Kapudan-Pascha Ahmed vor Alexandria die Flotte an Mehemed Ali aus.

Die Lage der Türkei, in der Abd ul Medschid (1839–61), Mahmuds 16jähriger Sohn, die Regierung antrat, war daher kritisch; sie wurde nur gerettet durch die Quadrupelallianz von England, Rußland, Österreich und Preußen (15. Juli 1840), die durch eine österreichisch-englische Flotte Mehemed Ali zur Räumung Syriens zwang und ihm nur die Erbstatthalterschaft von Ägypten ließ. Unter dem Beirat Reschid Paschas erließ Abd ud Medschid 3. Nov. 1839 den Hattischerif von Gülhane, dessen Wichtigkeit in der Bestimmung gipfelte, daß die »Untertanen jeder Nationalität und Religion«, also auch Christen und Juden, gleiche Sicherheit in betreff ihres Vermögens, ihrer Ehre und ihres Lebens haben sollten. Durch Einleitung mannigfacher Reformen auf administrativem und kommerziellem Gebiet hatte der Hatt auch für die Staatswirtschaft eine hohe Bedeutung. Übrigens sollte er nur die Grundsätze aufstellen, aus denen die zu erlassenden Sondergesetze zu fließen hätten; diese Gesetze (Tansimati hairijeh, d. h. »heilsame Organisation«) sollten für das gesamte Pfortengebiet Gültigkeit haben; auch Mehemed Ali mußte sich zu ihrer Annahme bequemen. 1841 wurde in London der Dardanellenvertrag abgeschlossen, durch den sich die Pforte verpflichtete, die Dardanellenstraße und den Bosporus für fremde Kriegsschiffe in Friedenszeiten verschlossen zu halten.

Der Krimkrieg mit seinen Folgen.

Das Jahr 1848 mit seinen Freiheitsideen ging an der eigentlichen Türkei spurlos vorüber. Hoffnungen, die man in Konstantinopel auf die ungarische Insurrektion setzte, wurden durch die Kapitulation von Világos (13. Aug. 1849) vernichtet; doch verweigerte die Pforte wenigstens, unterstützt durch eine vor den Dardanellen erscheinende englische Flotte, die Auslieferung der ungarischen Flüchtlinge. Als die französische Republik im Herbst 1850 eine Reklamation wegen der heiligen Stätten in Palästina erhob und die Pforte die Mitbenutzung einer Kirchentür in Bethlehem den römischen Katholiken zugestand erklärte Kaiser Nikolaus, daß hierdurch das religiöse Gefühl der orthodoxen Russen aufs äußerste verletzt werde, und verlangte für die griechisch-katholische Kirche in der Türkei Bürgschaften, die Rußland ein völliges Schutzrecht über Untertanen der Pforte gewährt hätten. Österreich forderte und erreichte 14. Febr. 1853 unter anderm die Zurückziehung der türkischen Truppen, die damals siegreich in das aufständische Montenegro eingedrungen waren. Nun verlangte auch Kaiser Nikolaus durch den Fürsten Menschikow in schroffer Form den Abschluß eines förmlichen Vertrags über die der orthodoxen Kirche zu gewährenden Privilegien. Die Ablehnung dieser Forderung hatte einen neuen russisch-türkischen Krieg zur Folge (1853–56; s. Krimkrieg). Die türkische Armee erwies sich leistungsfähiger, als man geglaubt hatte, und verteidigte die Donaufestungen mit solchem Erfolge, daß die Russen über die Donau zurückgehen mußten. Dagegen wurde 30. Nov. 1853 die Flotte der Türkei bei Sinope vernichtet, und auch ihre Truppen kämpften, seitdem die verbündete Armee der Westmächte auf dem Kriegsschauplatz erschienen war. nur in Armenien selbständig; in der Krim spielten sie bloß die Rolle von Hilfstruppen.

Für die innern Verhältnisse der Türkei hatte der Krimkrieg besonders die Wirkung, daß die Westmächte zur Rechtfertigung ihrer Hilfe die Einführung gründlicher Reformen forderten. Diese Bemühungen gipfelten in einem neuen großherrlichen Edikt vom 18. Febr., das, von einer Diplomatenkommission zusammen mit dem türkischen Minister des Auswärtigen, A(a)li Pascha, ausgearbeitet, unter dem Namen Hatti-Humajun 21. Febr. 1856 verkündet und später dem am 30. März d. J. zu Paris unterzeichneten Friedensinstrument beigegeben wurde. Dieser Hatt proklamierte die bürgerliche Gleichstellung aller Untertanen, verbot die Bevorzugung einer Religionsgenossenschaft vorder andern, gewährte allen Staatsbürgern gleiches Recht auf Anstellung im Pfortendienst, gleiches Recht auf Schulbesuch, verordnete die Einsetzung gemischter (mohammedanisch-christlicher) Tribunale, die Wehrpflicht der Christen bei Befugnis des Stellvertreterkaufs, das Recht des Grundeigentumserwerbs für Ausländer, unbedingte Toleranz etc. Der Hatt, der den Christen die Wehrpflicht für den von ihnen immer als etwas Feindliches betrachteten Osmanenstaat auferlegte, wurde von diesen mit ebensoviel Verdruß und Argwohn aufgenommen wie von den Mohammedanern aller Parteischattierungen mit patriotischem und religiösem Ingrimm; die türkischen Staatsmänner durften deshalb beanspruchen, daß der Pforte hinlängliche Zeit für die allmähliche Ausführung der Reformen gewährt werde. Durch den Pariser Frieden erhielt die Pforte von Rußland die Donaumündungen, während ein anliegender Streifen Bessarabiens an die Moldau abgetreten wurde. Die Aufnahme der Pforte in die europäische Staatenfamilie und die Gewährleistung ihrer Unverletzlichkeit schienen die Stellung der Türkei in Europa beträchtlich zu heben; dagegen wurden durch die Erneuerung des Dardanellenvertrags und die Gewährung autonomer Stellung an die Donaufürstentümer, unter Bürgschaft der Vertragsmächte gegen Tributzahlung an die Pforte, ihre Selbständigkeit und ihre Macht erheblich verringert.

In der Tat wurden die Befugnisse der Pforte über die Vasallenstaaten, da das europäische Konzert, von dem die Türkei bloß einen Teil bildete, sich die oberste Entscheidung beimaß. mehr und mehr verringert. 1859 wurde auf Betrieb Frankreichs in der Moldau und der Walachei derselbe Mann, Cusa, zum Fürsten erwählt und so die Union faktisch durchgeführt. In Serbien wurde der der Pforte ergebene Alexander Karageorgiević 1858 zur Abdankung gezwungen; unter den zurückgerufenen Obrenović wurde Serbien der Herd panslawistischer Agitationen, die 1861 auch einen Aufstand in der Herzogewina erregten. Dem Druck per Großmächte nachgebend, befahl die Pforte 1862 allen außerhalb der Festung Belgrad in Serbien lebenden Türken, auszuwandern, und schleifte mehrere Binnenbefestigungen. Die Reformen in den Immediatprovinzen gerieten bald ins Stocken; immerhin wurden. neue Heerstraßen erbaut, Häfen angelegt, die Post besser Angerichtet und Telegraphenlinien gezogen. Die Kehrseite dieser Fortschritte bildete die Zerrüttung der Finanzen. Während des Krimkriegs war neben einer bedeutenden schwebenden Schuld im Inland eine Anleihe von 140 Mill. Mk. in England aufgenommen worden; dieser folgten 1858, 1860 und 1861 drei weitere Anleihen. Die Ausgaben stiegen infolge der hohen Zinsen auf 280 Mill. Mk, jährlich, während die Einnahmen 180 Mill. Mk. betrugen. 1861 brach eine Handelskrisis aus, der man durch Ausgabe von 1250 Mill. Piaster Papiergeld mit Zwangskurs zu begegnen suchte. Die willkürlich verteilten und mit Härte eingetriebenen Steuern bedrückten die Bevölkerung schwer und führten in den Provinzen allmähliche Verarmung herbei, während die hohen Beamten und die Bankiers sich bereicherten.

Zerrüttung des Staates.

Am 26. Juni 1861 starb Abdul Medschid; sein Nachfolger Abdul Asis (1861–76) galt für nüchtern, sparsam und energisch. Aber sein Eigensinn und das Mißverhältnis zwischen Wollen und Können, Schwermutsanfälle und Despotenlaunen kühlten die Hoffnung auf Besserung bald ab. Die Minister wechselten rasch. die Staatseinkünfte wurden oft unsinnig verschwendet. Ränken der Mächte und Bestechungen der hohen Beamten durch Unternehmer waren Tür und Tor geöffnet. Außerdem verursachten der Fanatismus der mohammedanischen Bevölkerung und die steigende Unzufriedenheit der christlichen Untertanen neue Schwierigkeiten. Zu Dschidda in Arabien wurden im Juni 1858 der englische und französische Konsul ermordet. 1860 wurde im Libanon nach wiederholten Gewaltakten an Christen die friedliche maronitische Bevölkerung von Hasbaia, Raschaia und Deir el Kamer von Drusen massenhaft abgeschlachtet; in Damaskus erlagen unter heimlicher Zustimmung der Behörde 5000 Christen dem Fanatismus der Mohammedaner. Entsetzt über die verübten Greueltaten verlangte die öffentliche Meinung ein Einschreiten der Großmächte. Bis aber diese über die Modalitäten eines solchen schlüssig geworden waren, verstrich einige Zeit. Der Großwesir Fuad Pascha wollte als Kommissar mit unbedingter Vollmacht durch zahlreiche Hinrichtungen in Damaskus und im Libanon eine Einmischung der Mächte unnötig machen. Doch erst durch die Absendung eines französischen Okkupationsheeres nach dem Libanon (im August) wurden die hochgestellten Förderer des Blutbades zur Strafe gezogen und über die Entschädigung der heimgesuchten christlichen Bevölkerung eine Einigung erzielt (Juni 1861). Der Libanon wurde zu einem besondern, direkt von Konstantinopel abhängenden Verwaltungsbezirk gemacht und unter einen christlichen Statthalter (Wesir) gestellt.

Auch in der christlichen Bevölkerung der europäischen Türkei regte es sich unter dem Einflusse der panslawistischen und panhellenischen Agitationen. Auf Kreta, das sich im Frühjahr 1866 erhob, brach der Kampf im Frühjahr 1868 mit erneuter Heftigkeit aus; doch eine Pariser Konferenz der Mächte (Januar 1869) nötigte Griechenland, das den Aufstand unterstützte, sich dem türkischen Ultimatum zu unterwerfen. 1866 trat Serbien mit dem Verlangen der gänzlichen Beseitigung der türkischen Truppen hervor, und im April 1867 fügte sich die Pforte, da Österreich darauf drang. Als aber Ägyptens Vizekönig Ismail Pascha, dem der Sultan 1866 die Zustimmung zur neuen Thronfolgeordnung und 1867 den Titel Chedive mit erweiterten Befugnissen erteilt hatte, 1869 seine völlige Souveränität zu erlangen suchte, befahl ihm die Pforte (29. Aug.), seine Armee nicht über 30,000 Mann zu erhöhen, die im Bau begriffenen Panzerschiffe abzubestellen oder auszuliefern, ohne Genehmigung des Sultans keine Anleihen zu kontrahieren und selbständigen Verhandlungen mit fremden Mächten zu entsagen. Der Chedive unterwarf sich, erlangte jedoch im Juni 1873 durch ein großes Geldgeschenk und Erhöhung des Tributs alles, mit Ausnahme einer Vermehrung der Flotte.

Nachdem Fuad und A(a)li Pascha, die, mit Unterbrechungen, gegen 15 Jahre lang abwechselnd als Großwesir und Minister des Auswärtigen die Regierung tüchtig gehandhabt hatten, 1869 und 1871 gestorben waren, da schwand mit der Geschäftskunde auch das äußere Vertrauen mehr und mehr. Der Sultan behielt bei der Wahl seiner Räte nur das eine im Auge, ob sie ihn bei seinem Plan, durch Einführung des Rechtes der Erstgeburt seinen Sohn Jussuf zum Nachfolger zu bestimmen, unterstützen würden. Zunächst ernannte er den unwissenden und habgierigen Mahmud Nedim Pascha zum Großwesir. Gewissenlos wurden die Finanzen verwaltet. Prachtbauten, Neubeschaffung von Kanonen, Gewehren und Panzerschiffen verschlangen große Summen. Teure Telegraphen und Eisenbahnen, nach den Wünschen der Mächte und dem Vorteil der Unternehmer angelegt, dienten wenig dazu, die Hilfsquellen des Landes zu vermehren. Die nahezu erfolglose Erhöhung der Steuern, Verpachtung von Staatsgütern, von Einkünften und Gerechtsamen, Verminderung des Gehalts der mittlern und niedern Beamten vermehrten nur die Verarmung und Unzufriedenheit im Volke. Zu immer drückendern Bedingungen mußten Darlehen aufgenommen werden. Am 6. Okt. 1875 erklärte sich die Pforte außerstande, von den Zinsen der äußern Staatsschuld (5000 Mill. Frank) mehr als 50 Proz. zu bezahlen, daß sie aber über die restierenden 50 Proz. 5prozentige Obligationen ausstellen wolle, die später bar eingelöst werden sollten. Aber alle Versuche, der Mißwirtschaft im Innern Einhalt zu tun, waren erfolglos. Im Juli 1872 hatte die patriotische Opposition Mahmud gestürzt; aber seine Nachfolger erlagen alle rasch den Ränken des russischen Botschafters Ignatiew, bis im August 1875 Mahmud wieder berufen ward.

Innere Unruhen und neuer Krieg mit Rußland.

Rußland hatte unaufhörlich daran gearbeitet, seine durch den Krimkrieg verlorne Stellung im Orient wiederzugewinnen. Da Ignatiew in Griechenland nicht mehr einen ohnmächtigen Schützling, sondern einen gefährlichen Nebenbuhler sah, so vertrat er fortan neben der orthodoxen Kirche vor allem die Interessen der slawischen Untertanen der Türkei. Von ihm angestachelt, erlangten die Bulgaren im März 1870 die Errichtung eines vom griechischen Patriarchen in Konstantinopel unabhängigen Exarchats. Im Oktober 1870 forderte Rußland, daß das Verbot des Pariser Friedens von 1856. auf dem Schwarzen Meer Kriegsschiffe zu halten, aufgehoben werde; auf der Londoner Konferenz im März 1871 fügte sich die Pforte dem von Bismarck unterstützten russischen Verlangen. Nach diesem Erfolg setzte Ignatiew seine Bemühungen, kein vernünftiges Verwaltungssystem aufkommen zu lassen, die Türkei mit Europa zu verfeinden und im Innern durch Unruhen zu zerbröckeln, fort; Mahmud Nedim Pascha wurde bestochen und der Sultan durch die Aussicht auf russische Unterstützung seines Thronfolgeplanes gewonnen.

1875 brach in der Herzegowina, angeblich durch Steuerdruck hervorgerufen, ein Aufstand aus. Durch zwei befestigte Lager hielt die Pforte Serbien in Schach und schnitt die Insurgenten von Montenegro ab; Ignatiew erzwang jedoch eine Verlegung der türkischen Truppen von der montenegrinischen Grenze. Da wurden in Saloniki 6. Mai 1876 der deutsche und der französische Konsul von fanatischen Mohammedanern, nicht ohne Verschulden der Behörden, ermordet. Die Pforte wurde rasch den strengen Genugtuungsforderungen der Mächte gerecht; doch ihre Isolierung stieg. Rußland erlangte von den beiden verbündeten Kaiserhöfen die Zustimmung zu dem sogen. Gortschakowschen Memorandum, das die Schuld an dem Nichtgelingen der Befriedung der Herzegowina lediglich dem Sultan beimaß und unter Androhung wirksamerer Maßregeln einen zweimonatigen Waffenstillstand verlangte, um mit den Insurgenten wegen des Friedens zu unterhandeln.

Alle Schichten der osmanischen Nation waren überzeugt, daß Rußland auf das Verderben der Pforte sinne, und daß Eigennutz und Unverstand den Großherrn und seinen ersten Wesir dem Erbfeind als Gehilfen zuführten. Am 10. Mai 1876 forderten bewaffnete Softas (theologische Studenten) Entlassung Mahmuds, Entfernung Ignatiews und Krieg gegen Montenegro. Umsonst suchte der Sultan durch Berufung Mehemed Rüschdis auf den Posten Mahmuds sich aus der Verlegenheit zu ziehen. Am 29. Mai vereinigte sich der neue Großwesir mit dem Kriegsminister Hussein Avni und Midhat Pascha, den ältesten Sohn Abd ul Medschids, Murad V., auf den Thron zu erheben. In der Nacht zum 30. Mai ward die Palastrevolution ohne Blutvergießen durchgeführt. Abd ul Asis wurde 4. Juni in dem Palaste Tschiragan auf Befehl der Minister ermordet; man gab vor, er habe sich durch Aufschneiden der Pulsadern selbst getötet. Am 15. Juni wurden zwei Minister, darunter der energische Hussein Avni, im Hause Midhats von einem tscherkessischen Offizier ermordet.

Unterdessen war 4. Mai der von Rußland vorbereitete Ausrottungskrieg der Bulgaren gegen ihre in der Minderzahl befindlichen mohammedanischen Mitbürger ausgebrochen, doch bald blutig gedämpft. Nunmehr überschritt Serbien 2. Juli die Grenze, um den aufständischen Nachbarprovinzen den Frieden wiederzugeben, durch Rußland mit Geld, Waffen, Munition und Mannschaften unterstützt. Siege bei Alexinatz (Ende Oktober) eröffneten jedoch den Türken den Weg in das Herz Serbiens; aber ein Telegramm Alexanders 11. aus Livadia vom 30. Okt. 1876 legte ihnen unter Androhung sofortigen diplomatischen Bruches binnen 24 Stunden Einstellung ihrer Operationen auf. Inzwischen war Murad V. wahnsinnig geworden (gest. 29. Aug. 1904); 31. Aug. 1876 folgte ihm sein Bruder Abdul Hamid II. Er unterzeichnete 31. Okt. die Waffenstillstandsakte, berief seine Truppen zurück und gewährte Serbien 28. Febr. 1877 einen Frieden unter Herstellung des Status quo ante.

Gleich nach dem Abschluß des serbisch-türkischen Waffenstillstandes hatte England eine Konferenz vorgeschlagen, die unter Wahrung der Integrität des Osmanenreiches für die slawischen Balkanprovinzen eine selbständige Verwaltung feststellen sollte. Bei ihrem Zusammentritt in Konstantinopel ließ Midhat Pascha, seit 22. Dez. 1876 Großwesir, den Sultan seinem Reich eine Verfassung oktroyieren, die, 23. Dez. 1876 publiziert, die völlige Rechtsgleichheit aller Pfortenuntertanen verkündete. Die Konferenz endigte ergebnislos. Nachdem sie selbst ihre Beschlüsse herabgemildert, wurden diese dem Großen Diwan (200 angesehenen Personen, darunter 60 Christen) zur Prüfung vorgelegt und einstimmig zurückgewiesen. Doch wurde der tatkräftige Midhat schon 5. Febr. 1877 verbannt und durch Edhem Pascha ersetzt. Daher hatte auch die erste Session der türkischen Kammer im Februar 1877 kein Ergebnis. Um so mehr fühlte sich Rußland zu neuem Vorgehen ermutigt; nachdem es seine Rüstungen vollendet, erklärte es 24. April an die Türkei den Krieg (vgl. Russisches Reich, S. 321). Im obern Kurtal wurde 16. Mai die kleine Festung Ardahan von den Russen erobert. Im Juni gingen die Russen über die Donau, besetzten 6. Juli Trnowo, überstiegen 12. Juli den Balkan, wiegelten die Bulgaren Nordthrakiens auf, erstürmten 19. Juli den Schipkapaß, besetzten Jamboli, Karlowo etc. im Süden des Balkans, eroberten Nikopoli an der Donau und belagerten Rustschuk. Aber bei dem Versuche, die befestigten Höhen von Plewna zu nehmen, erlitten die Russen 20., 21. und 31. Juli Niederlagen. In Thrakien von Suleiman Pascha angegriffen, zogen sie sich in den Schipkapaß zurück; in der Donaugegend wurden sie über den Schwarzen Lom geworfen. Nunmehr nahmen sie die Bundesgenossenschaft der Rumänen an, erlitten aber bei Plewna 7.–12. Sept. abermals Niederlagen. Auch in Asien stritten sie bei Sewin unglücklich und wurden auf ihr eignes Gebiet zurückgeworfen, bis sie 15. Okt. auf dem Aladjaberg siegten. Am 18. Nov. ergab sich Kars, und die Türken wurden nach Erzerum zurückgetrieben. In Bulgarien aber besiegelte der Fall des heldenmütig verteidigten Plewna (10. Dez.) den Verlust der westlichen Bulgarei, in welche die Serben eindrangen, während die Montenegriner in Albanien vorrückten. Anfang 1878 überschritten die Russen den Balkan an mehreren Stellen. Die Armee Suleimans wurde bei Philippopel völlig zersprengt, die Schipkaarmee gefangen genommen und 31. Jan. 1878 in Adrianopel von den Russen, die bis an die Tore Konstantinopels vorgedrungen waren, der Waffenstillstand diktiert. Diesem folgte 3. März der Friede von Santo Stefano. Rumänien und Serbien wurden unabhängig, letzteres und Montenegro vergrößert, die Dobrudscha und ein Teil von Armenien abgetreten, ein autonomes Fürstentum Bulgarien, das außer dem eigentlichen Bulgarien einen Teil Rumeliens und Mazedoniens umfaßte, gebildet und die Zahlung einer beträchtlichen Kriegsentschädigung der Türkei auferlegt.

Die Ausführung des Friedens verzögerte sich indes infolge des Konflikts zwischen Rußland und England, das eine Flotte in das Marmarameer einlaufen ließ. Während die Mächte sich eifrig bemühten, durch einen Kongreß eine friedliche Lösung der orientalischen Wirren herbeizuführen, fehlte es in Konstantinopel an jeder klaren Haltung; Minister kamen und gingen. Die während des Krieges einberufenen Kammern waren schon 14. Febr. aufgelöst und der Traum einer »osmanischen Verfassung« erledigt worden. Eine Verschwörung zugunsten Murads wurde 20. Mai 1878 versucht, aber blutig unterdrückt. Am 28. Mai ward Mehemed Rüschdi Pascha wieder zum Großwesir ernannt; dieser schloß 4. Juni einen geheimen Vertrag, wonach England den Schutz der asiatischen Besitzungen der Türkei übernahm, solange Rußland nicht seine Eroberungen in Armenien herausgegeben haben würde, und dafür das Recht erhielt, Cypern zu besetzen. Savfet Pascha, seit 4. Juni Großwesir, leitete die türkische Politik während des Berliner Kongresses (13. Juni bis 13. Juli 1878). Dadurch fielen Aladschkert und Bajesid in Armenien an die Pforte zurück; Bulgarien wurde auf das Gebiet nördlich vom Balkan nebst Sofia beschränkt, der südliche Teil (ohne Mazedonien und den Küstenstrich) als Provinz Ostrumelien (s. d.) unter türkischer Oberhoheit belassen. Dagegen wurde Österreich 28. Juni mit der Okkupation Bosniens und der Herzegowina beauftragt (durchgeführt im August). Ferner wurde Griechenland das Recht zuerkannt, auf Abtretung des südlichen Thessalien und Epirus mit Larissa und Janina Anspruch zu erheben. Die Pforte erkannte zwar den Berliner Vertrag vom 13. Juli an, beeilte sich aber nicht mit seiner Ausführung. Der endgültige Friede mit Rußland wurde 8. Febr, 1879 unterzeichnet und die Kriegsentschädigung auf 802 Mill. Fr. festgesetzt. Für Bosnien und die Herzegowina wahrte sich die Pforte durch die Konvention vom 21. April 1879 mit Österreich die Souveränität des Sultans.

Neueste Zeit.

Die Macht des osmanischen Reiches war durch den Berliner Frieden erheblich geschwächt worden, und die große Finanznot setzte die Autorität der Pforte im Lande selbst herab. Die Griechen erlangten auf der Berliner Konferenz 1880, daß die Pforte 3. Juli 1881 fast ganz Thessalien und den epirotischen Bezirk Arta abtrat. In Albanien mußte sie 1880 ihre eignen Untertanen in Dulcigno mit Gewalt zur Unterwerfung unter Montenegro nötigen. Ihr Versuch, 1879 bei der Absetzung des Chedive von Ägypten ihre Hoheitsrechte zu vermehren, wurde durch den Einspruch der Mächte vereitelt; ihre Untätigkeit während der von Arabi Pascha 1882 verursachten Unruhen ermöglichte England, Ägypten militärisch zu besetzen. Das 1871 enger an das türkische Reich gekettete Tunis ging 1881 an Frankreich verloren. Dennoch hatte die Pforte, während sie den Anmaßungen Englands ruhig entgegentrat, an Deutschland und Österreich seit Auflösung des Dreikaiserbündnisses eine immer wirksamere Stütze gewonnen, wodurch es ihr möglich wurde, ihren Besitzstand in Europa zu behaupten und ihren Einfluß in Afrika und Asien zu vermehren. Im Innern scheiterte allerdings ein Reformversuch, den der zum Großwesir ernannte Chaireddin Pascha (s. d.) 1879 machte, an dem Widerstand der alttürkischen Partei, Osmans und Mahmud Damats. Indes befreite sich der Sultan allmählich von diesem verderblichen Einfluß. Deutsche Finanzbeamte brachten 1881 eine durch Irade vom 20. Dez bestätigte Einigung mit den Gläubigern zustande, durch die der Betrag der Staatsschuld von 250 auf 106 Mill. Pfd. Sterl. herabgesetzt und für diese ein zunächst auf mindestens 1 Proz. reduzierter Zinsfuß, zugleich aber auch eine Amortisation von 1/3 Proz. und deren Zahlung durch Garantie mehrerer Einkünfte gesichert wurde. Zur Vermehrung der Einnahmen wurde 1883 die Tabaksregie eingeführt. Deutsche Offiziere begannen auf Grund eines 1880 vom Sultan genehmigten Plans eine Reorganisation des Heerwesens und arbeiteten ein Militärgesetz für das ganze Reich aus, das 1887 in Kraft trat. Als 18. Sept. 1885 der Generalgouverneur von Ostrumelien, Chrestowitsch, in Philippopel gestürzt wurde und Alexander von Bulgarien diese türkische Provinz mit seinem Fürstentum vereinigte, gab die Pforte im Februar 1886 ihre Zustimmung, daß der Fürst von Bulgarien zum Generalgouverneur von Ostrumelien ernannt wurde. Auch alle weitern Ereignisse in Bulgarien (Sturz des Fürsten Alexander im August 1886 u. a.) ließ sie geschehen, ohne sich anders als diplomatisch einzumischen, und gab damit tatsächlich die Herrschaft über Ostrumelien auf. Doch nötigte die kriegslustige Haltung Serbiens und Griechenlands die Türkei zur Aufstellung einer großen Heeresmacht, so daß sie neue Anleihen bei der Ottomanischen Bank machen und einträgliche Zölle verpfänden mußte. 1889 gab ein Schiedsspruch der Türkei die Verfügung über die von Baron Hirsch gebauten Eisenbahnen teilweise zurück. Auch begann nun der Bau von Eisenbahnen in Kleinasien.

Als Grundübel erwiesen sich immer wieder die Unfähigkeit und Unzuverlässigkeit der Behörden; der Sultan blieb in seinem Palast eingeschlossen und von seiner Umgebung mehr und mehr abhängig. In Armenien wurden die versprochenen Reformen nicht durchgeführt und den Räubereien der Kurden nicht gesteuert. Infolgedessen brachen 1894 Unruhen aus, die durch die Mohammedaner blutig erstickt wurden; auch Truppen beteiligten sich an der Niedermetzelung von Christen. Als armenische Verschworne 26. Aug. 1896 die Ottomanische Bank in Konstantinopel überfielen, ließ die türkische Regierung ein mehrtägiges Gemetzel unter der armenischen Bevölkerung zu. Die Mächte forderten Reformen (s. Zeitun); aber die Ausführung ging langsam vor sich; noch 1900 gab es dort neue Unruhen. Ein neuer Aufstand in Kreta schien 1896 durch weitgehende Zugeständnisse des Sultans beendigt zu sein. Da jedoch die versprochenen Reformen verschleppt wurden, brach der Aufstand 1897 von neuem aus und wurde nun offen von Griechenland unterstützt. Durch Einfälle in Mazedonien forderte die Türkei zum Kriege heraus (17. April 1897; über den Verlauf des Kampfes s. Griechenland, S. 317). Trotz ihrer Siege in Thessalien begnügte sich die Türkei schließlich mit einer Kriegsentschädigung von 75 Mill. Mk. und mit einer geringen Verbesserung der mazedonisch-thessalischen Grenze (Friede zu Konstantinopel vom 4. Dez. 1897). Die türkische Herrschaft über Kreta hörte 1898 auf (s. Kreta, S. 640), obwohl die wiederholt erstrebte völlige Vereinigung der seit dem Rücktritte des Prinzen Georg (im September 1906) unter Zaïmis als Oberkommissar stehenden Insel mit Griechenland heute noch nicht erreicht ist.

Überblickt man die türkische Geschichte des letzten Jahrzehnts, so fällt einem vor allem die große Beharrlichkeit und Zähigkeit auf, womit auch die hartnäckigsten Reformbestrebungen der nächstbeteiligten Großmächte, Rußlands und Österreichs, die immer noch nicht genügend mit der innern Verschiedenheit des Orients von Europa zu rechnen gelernt haben, durch passiven Widerstand vereitelt werden. Es war kein freundliches Bild, das sich dem Sultan darbot, als er 31. Aug. 1901 die Feier der 25jährigen Dauer seiner Regierung beging; aber trotz aller Versuche von innen und von außen, die Zustände gewaltsam zu ändern, besteht das osmanische Reich noch heute.

Die Reformpartei der Jungtürken (s. d.), hervorgegangen aus der Unzufriedenheit mit dem unkonstitutionellen Regimente, hat zwar schon verschiedene Male (namentlich 1901 und 1904) schwere Beunruhigungen verursacht, da sich ihre Mitglieder teilweise aus den höchsten Kreisen und sogar der Verwandtschaft des Padischahs selbst rekrutieren; doch erreicht hat sie bisher nichts Greifbares, da die Pforte den Umtrieben stets scharf begegnete. Und während es auf der einen Seite auch in den letzten Jahren keineswegs an gefährlichen Aufständen an der Peripherie des Reiches (besonders 1904/05 in Südarabien; s. Sana) gefehlt hat, ist anderseits eine auffallende Stärkung des panislamischen Gedankens unverkennbar; sie erstreckt sich bis nach Südostasien sowohl wie bis ins Hinterland von Tripolitanien und den mittlern Sudân. Hier hat man das wiederholte Zurückweichen der Pforte vor schroffem Durchdrücken von alten Rechten und neuen Forderungen seitens der Großmächte (Aufhebung der fremden Postämter im Mai 1901; französische Kais zu Konstantinopel Juli bis November 1901 und Februar bis März 1905; nordamerikanische Mission in Kleinasien im August 1904; internationale Flottendemonstration vor Mytilene im Dezember 1905; angloägyptischer Grenzstreit Akaba-Tabah März bis Mai 1906) stets als eigne Demütigung mitempfunden.

An Stelle des griechisch-katholischen ökumenischen Patriarchen Konstantin V. (April 1897 bis April 1901) wurde 7. Juni 1901 der am 11. April 1884 abgesetzte Joachim III. (vom Athos) wiedergewählt und 11. Juni durch den Sultan bestätigt. Doch seit der Abtrennung des bulgarischen Exarchats (1872) und dem von Rumänien geförderten Aufkommen kutzowalachischer Sonderwünsche (s. Zinzaren) hat das kirchliche Ansehen des Patriarchats an Gewicht verloren, und politisch versagt es völlig. Die Spannung zwischen der Pforte und Bulgarien hat sich seit dem Abkommen vom 13. April 1904 merklich gemildert. Dagegen ist Mazedonien nebst den benachbarten Provinzen nach wie vor (s. Mazedonien, S. 490 f.) der Tummelplatz fast anarchisch sich gebärdender, unruhiger Elemente griechischer, serbischer und bulgarischer Nationalität. Die auf Grund der Mürzsteger Punktation vom 1. Okt. 1903 Anfang 1904 geschaffene internationale Gendarmerie, deren Kosten schließlich eine Erhöhung der türkischen Eingangszölle von 8 auf 11 Proz. herbeiführten (9. Nov. 1906), hat sich als nahezu ohnmächtig erwiesen. Mehr ist von der eignen Justizreform Mazedoniens (Plan vom September 1907) zu erhoffen.

Die auswärtigen Beziehungen sind korrekt mit Ausnahme derer zu Persien, die, durch Kurden in dem 1878 Persien zugesprochenen, von der Pforte aber formell niemals ausgelieferten Grenzbezirke Passowa gestört, noch Ende 1907 sehr zu wünschen übrigließen. Das freundschaftliche Verhältnis zum Deutschen Reiche hat sich seit der Orientfahrt Kaiser Wilhelms II. (im Herbst 1898) wiederholt in wirtschaftlichen Fragen (Eisenbahnbau nach Bagdad und Meliorationen in Kleinasien, Mesopotamien und Syrien) als für beide Teile vorteilhaft bewährt.

Vgl. Hammer-Purgstall, Geschichte des osmanischen Reichs (2. Aufl., Pest 1834–36, 4 Bde.); Zinkeisen, Geschichte des osmanischen Reichs in Europa (Hamb. u. Gotha 1840–63, 7 Bde.); Eichmann, Die Reformen des osmanischen Reichs (Berl. 1858); Rosen, Geschichte der Türkei von 1826–56 (Leipz. 1866–67, 2 Bde.); La Jonquières, Histoire de l'empire ottoman (2. Aufl., Par. 1897); Hertzberg, Geschichte der Byzantiner und des osmanischen Reichs (Berl. 1884); Zimmerer im 5. Bande von Helmolts »Weltgeschichte« (Leipz. 1905); Jorga, Geschichte des Osmanischen Reiches (Gotha 1908. Bd. 1, bis 1451); Rüstow, Der Krieg in der Türkei 1875–1876 (Zür. 1877); Greene, The campaign in Bulgaria 1877–1878 (Lond. 1903); Maurice, The Russo-Turkish war 1877 (das. 1905); über den griechisch-türkischen Krieg s. Griechenland, S. 320; Testa, Recueil des traités de la Porte Ottomane (Par. 1864–98, 9 Bde.); Engelhardt, Histoire des réformes dans l'empire ottoman depuis 1826 (das. 1882–83, 2 Bde.); Hecquard, La Turquiesous Abdul Hamid II, 1876–1900 (Brüss. 1900); Totomjanz und Toptschjan, Die sozialökonomische Türkei (Berl. 1901); Beckmann, Der Kampf Kaiser Sigmunds gegen die werdende Weltmacht der Osmanen (Gotha 1902); Du Velay, Essai sur l'histoire financière de la Turquie (Par. 1902); Norodounghian, Recueil d'actes internationaux de l'empire ottoman (Bd. 1–4, Leipz. 1897–1903); Graf Mülinen, Die lateinische Kirche im Türkischen Reiche (Berl. 1903); Schopoff, Les reformes et la protection des chretiensen Turquie 1673–1904 (Par. 4904); »The Balkan question« (hrsg. von Villari, Lond. 1905); v. Mach, Der Machtbereich des bulgarischen Exarchats in der Türkei (Leipz. 1906); über die mazedonische Frage s. Mazedonien, S. 491.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

Игры ⚽ Нужна курсовая?
Synonyme:

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Türkisches Reich [2] — Türkisches Reich (Gesch.). Das jetzt schlechtweg Türken, eigentlich Osmanen genannte Volk ist blos ein Zweig des großen Volksstammes der Türken (s.d.). Diese kommen bereits bei Plinius u. Mela als Turcä vor u. wohnten damals in Sarmatien in den… …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Türkisches Reich [1] — Türkisches Reich (Osmanisches Reich), die gesammten Ländermassen, welche unter der unmittelbaren Herrschaft des Sultans (Padischah) in Constantinopel stehen, sich in Europa, Asien u. Afrika um das Becken des Mittelmeeres ausdehnen u. zusammen… …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Türkisches Reich — Europäische Türkei. Karte zur Geschichte der Europäischen Türkei …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Türkisches Reich [3] — Türkisches Reich (Geneal.). Die Großsultane stammen von Osman, dem Enkel des Emir Solyman u. ältestem Sohne Ertoghruls, welcher 1299 die Reihe der türkischen Sultane in Asien, sowie Muhammed II. seit der Eroberung Constantinopels 1453 auch die… …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Türkisches Reich — Dieser Artikel oder Abschnitt bedarf einer Überarbeitung. Näheres ist auf der Diskussionsseite angegeben. Hilf mit, ihn zu verbessern, und entferne anschließend diese Markierung. Osmanlı Devleti Devlet i Aliyye i Osmaniyye دولت عالیه عثمانیه… …   Deutsch Wikipedia

  • Kök-Türkisches Reich — Die Artikel Göktürken und Türk (Stamm) überschneiden sich thematisch. Hilf mit, die Artikel besser voneinander abzugrenzen oder zu vereinigen. Beteilige dich dazu an der Diskussion über diese Überschneidungen. Bitte entferne diesen Baustein erst… …   Deutsch Wikipedia

  • Reich der Göktürken — Die Artikel Göktürken und Türk (Stamm) überschneiden sich thematisch. Hilf mit, die Artikel besser voneinander abzugrenzen oder zu vereinigen. Beteilige dich dazu an der Diskussion über diese Überschneidungen. Bitte entferne diesen Baustein erst… …   Deutsch Wikipedia

  • Türkisches Alphabet — Als türkische Lateinalphabete bezeichnet man eine Untergruppe der lateinischen Schrift, in denen heute Turksprachen und andere vorderasiatische Sprachen geschrieben werden. Sie haben geschichtlich ältere Alphabete ersetzt, deren Vorläufer in den… …   Deutsch Wikipedia

  • Türkisches Bad — Dieser Artikel oder Abschnitt ist nicht hinreichend mit Belegen (Literatur, Webseiten oder Einzelnachweisen) versehen. Die fraglichen Angaben werden daher möglicherweise demnächst gelöscht. Hilf Wikipedia, indem du die Angaben recherchierst und… …   Deutsch Wikipedia

  • Türkisches Schattenspiel — Eine Karagöz Hacivat Vorstellung Karagöz ist die Bezeichnung für das türkische Schattenspiel, bei dem ein Tasvir genanntes, als Mensch, Tier oder Gegenstand geformtes Stück aus einem Kamel oder Kuhfell auf einen weißem Vorhang bei starkem Licht… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”