Shelley

Shelley

Shelley, Percy Bysshe (spr. bisch schélli), engl. Dichter, geb. 4. Aug. 1792 zu Fieldplace in der Grafschaft Sussex, gest. 8. Juli 1822, war Sprößling einer altadligen, reichbegüterten Familie, verlebte seine Kindheit auf dem Landsitz seines Vaters Sir Timothy S. und besuchte später die Schule zu Eton, wo sich seine Neigung zur Poesie, zugleich aber auch ein mystisch-elegischer Zug entwickelte, sehr fühlbar in einem epischen Jugendversuch über den ewigen Juden, in der Schaudergeschichte »Zastrozzi« und in einem Bändchen Gedichte »Victor and Cazire«. Im Jahre 1810 bezog er die Universität Oxford, bereits erfüllt von Abscheu gegen die Grausamkeit und Bigotterie, die, wie er meinte, die herrschenden Kreise erfüllte. Er studierte Spinoza, Hume, Godwin und bekannte ohne Scheu seine freigeistigen Ansichten, legte sie auch nieder in dem Büchlein: »The necessity of atheism«, infolgedessen er 1811 von der Universität verwiesen ward. Auf poetischem Gebiete schrieb er in Oxford eine faustische Prosageschichte »St. Irvyne«, die vom Lebenselixier handelt. Ein Roman in Wirklichkeit folgte: S. verliebte sich in London in die Tochter eines frühern Kaffeewirts und Wucherers, Harriet Westbrook, einer Schulfreundin seiner Schwester, entführte sie nach Schottland und machte sie zu seiner Frau. Alsbald suchte er in Keswick Fühlung mit den Romantikern Southey und Coleridge und glaubte in Irland durch Flugschriften das Volk zu einem Freiheitskampf aufstacheln zu können. Dann faßte er seine poetische Kraft und revolutionäre Begeisterung zusammen zu dem visionären Epos »Queen Mab« (1812), das die Befreiung der Welt von Königtum und Christentum schildert. Inzwischen war seine Ehe mit Harriet, von der er ein Töchterchen, Jantha, bekam, so unglücklich geworden, daß er sich von ihr trennte und mit Mary, der Tochter des Kommunisten Godwin und der Frauenrechtlerin Wollstonecraft, eine Gewissensehe einging (1814), bis ihm Harriets Selbstmord 1816 erlaubte, sich mit ihr trauen zu lassen. Mit Mary fuhr er nach der Schweiz, in deren Eindrucke die philosophische Dichtung »Alastor or the spirit of solitude« wurzelte (gedruckt 1815). Durch das Ableben seines Großvaters kam er in den Genuß einer stattlichen Jahresrente, die ihn aller materiellen Sorgen enthob. In die nächste Londoner Zeit fallen mehrere Prosaschriften für Revolution und gegen Christentum. Aber 1816 wurde sich S. über seinen Dichterberuf klar (»Hymn to intellectual beauty«), nahm seinen Wohnsitz zunächst am Genfer See, wo er viel mit Byron verkehrte, und dann seit 1818 ständig in Italien, dessen Schönheit und antike Ruinen ihn tief anzogen. Die Entrüstung darüber, daß ihm als erklärten Atheisten die Kinder erster Ehe vom englischen Gerichte vorenthalten wurden, veranlaßte sein Anklagegedicht gegen den Lord-Kanzler; die Furcht, auch die Kinder zweiter Ehe ähnlich verlieren zu können, empfahl ihm den Aufenthalt fern von England, dem er mit dem allegorisch-autobiographischen Epos »Laon and Cythna« absagte (gedruckt 1817 u. d. T. »The revolt of Islam«). Sein fruchtbarstes Jahr war 1818, in dem er zum zweiten Male mit Byron zusammenlebte, diesmal in Venedig. Jetzt entstanden: »Lines written among the Euganean Hills«, eine farbensatte Schilderung dieser Gegend und Venedigs, ausklingend in die Hoffnung auf eine verjüngte Welt; die dialogische Dichtung »Julian and Maddalo«, worin er der skeptischen Lebensanschauung Byrons den eignen Optimismus gegenüberstellte; »Prometheus unbound«. ein Gegenstück zum »Gefesselten Prometheus« des Äschylos, von Zuversicht auf die Wiederkehr des goldenen Zeitalters durch den Sieg der Menschenliebe; »Stanzas written in dejection near Naples«, eine Elegie, worin er sich selbst ahnungsvoll den Tod im Meere wünschte, u. a. Unter den Dichtungen von 1819 ragt das mehr realistische Trauerspiel »The Cenci« hervor; unter denen von 1820 besonders die »Ode to the westwind« und »To the skylark«, wie denn überhaupt in kürzerer Lyrik sein Genie glücklicher zum Ausdruck gelangte als in umfänglichen Werken, in denen er sich zu leicht der lehrhaften Absicht und seiner überfließenden Bilderpracht anheimgab. Die naturphilosophische Dichtung »The witch of Atlas«, die Tyrannensatire »Oedipus Swellfoot« und die Schilderung eines platonischen Freundschaftsverhältnisses, betitelt »Epipsychedeon«, alle 1820 in Pisa entstanden, leiden unter solcher Zerflossenheit, während er in »Adonais«, der Klage um den Mitdichter Keats, der 1821 angeblich infolge einer boshaften Rezension starb, schon durch den Stoff gezwungen war, sich fester und glücklicher zusammenzuhalten. Sein letztes namhaftes Werk war eine Bearbeitung von Petrarcas »Trionfi«, die unvollendet blieb. Viel Entzückendes enthalten seine Fragmente. Er fand den Tod auf einer einsamen Segelfahrt bei Spezzia durch einen plötzlichen Gewittersturm. Der Leichnam, bald aus Land gespült, wurde im Beisein Byrons und des Kapitäns Trelawney verbrannt, wie die Gesetze zur Abwehr der Pest vorschrieben; der Zufall dieser antikisierenden Bestattung auf antikem Boden aber entsprach seiner ganzen dichterischen Art, die, wie bei Byron und Keats, auf eine Verbindung romantischer und klassischer Schönheit hinauslief. Nachdem er bei seinen Landsleuten durch Jahrzehnte wegen seiner religiösen und politischen Überzeugungen in Mißkredit gestanden hatte, errang sich sein ernstes Wollen allmählich Anerkennung; Staatsmänner und Geistliche halfen 1892 ihm ein Denkmal in seinem Geburtsort errichten; ein zweites wurde ihm 1894 zu Viareggio durch Engländer und Italiener gesetzt. Sein Bildnis s. Tafel »Klassiker der Weltliteratur I« im 12. Bd. Die erste Gesamtausgabe seiner »Poetical works« besorgte seine Witwe (1839, 4 Bde., u. ö.; dazu Briefe und Essays, 1854); es folgten die von Rossetti (mit Anmerkungen, 1878, 3 Bde.; neue Ausg. 1894), von Forman (1880, 4 Bde., dazu 4 Bde. »Prose works«), von Dowden (1890, 1 Bd.), die »Centenary edition« (Boston 1892, 6 Bde.), zuletzt die von Hutchinson (1904, 1 Bd.). Ins Deutsche wurden die Dichtungen übersetzt von Seybt (Leipz. 1844), in Auswahl von Strodtmann (Hildburghaus. 1866, 2 Bde.); die »Cenci« von Adolphi (Stuttg. 1837); »Prometheus« von G. Richter (Leipz. 1895). Shelleys Biographie schrieben Medwin (1847, 2 Bde.), Middleton (1858, 2 Bde.), sein Studienfreund Hogg (1858, 2 Bde.), McCarthy (»Early life«, 1872), G. B. Smith (1877), Symonds (2. Aufl. 1887), Cordy JeaffresonThe real S.«, 1885, 2 Bde.), E. Dowden (1886, 2 Bde., mit viel neuem Material; neue Ausg. 1896), Sharp (1887), Fel. Rabbe (1888, 2 Bde.), H. Richter (Weimar 1898), R. Ackermann (Dortm. 1906). Vgl. Medwin, The S. papers etc. (Lond. 1833); »S.-Memorials, from authentic sources, by Lady S.« (1859, 3. Aufl. 1874); Trelawney, Recollections of the last days of S. and Byron (1858 u. ö., zuletzt 1906); Brandes, Hauptströmungen der Literatur des 19. Jahrhunderts, Bd. 4; Calvert, Coleridge, S, Goethe (Boston 1880); H. Druskowitz, Percy Bysshe S. (Berl. 1884); R. Ackermann, Quellen, Vorbilder, Stoffe zu Shelleys poetischen Werken (Leipz. 1890); A. Droop, Die Belesenheit Shelleys (Berl. 1906); P. Elsner, Shelleys Abhängigkeit von W. Godwins political justice (das. 1906); endlich die »Publications« der 1885 gegründeten, aber bald eingeschlafenen Shelley Society.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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