Scharlach [2]

Scharlach [2]

Scharlach (Scharlachfieber, Scarlatina), fieberhafte, ansteckende Krankheit, deren Name von dem auffallenden roten Hautausschlag hergenommen ist. Das Krankheitsgift ist noch unbekannt, die als Scharlacherreger beschriebenen Streptokokken sind wohl nur infolge der schon bestehenden Erkrankungen eingedrungen und Träger der häufig den S. komplizierenden septischen Erkrankungen. Das Scharlachgift, dessen Eintrittspforte (Rachenschleimhaut?) nicht sicher bekannt ist, zeichnet sich aus durch große Flüchtigkeit, so daß kurzes Verweilen in der Nähe Kranker zur Ansteckung genügt, auch mit dem Kranken verkehrende dritte Personen S. übertragen können; ferner durch langdauernde Haltbarkeit, so daß infizierte Gegenstände (Wäsche) und Wohnräume nach Monaten (Jahren?) noch S. verbreiten können. Die Inkubationszeit des Scharlachfiebers, d.h. die Zeit zwischen der Ansteckung und dem Ausbruch der Krankheit, beträgt 4–7 Tage. Einmal an S. erkrankt gewesene Personen werden nur selten zum zweitenmal ergriffen. Säuglinge bleiben meist verschont. Auch erwachsene Menschen werden von S. befallen, zumal wenn sie ihn nicht als Kinder überstanden haben. Jedoch sind Personen über 40 Jahre anscheinend nur wenig zu S. disponiert; überhaupt ist die Disposition zu S. nicht so allgemein wie die zu Masern; kaum die Hälfte der Menschen erkranken an S. Etwa 64 Proz. der Erkrankungen betreffen das Alter unter 5 Jahren, etwa 32 Proz. das von 5–15 Jahren. Mehr disponiert als andre Personen sind Wöchnerinnen und Personen mit offenen Wunden, bei denen offenbar das S. durch die Wunde eindringen kann (Wundscharlach). Vorzugsweise kommen Scharlachepidemien im Herbst und Frühjahr in wechselnder Bösartigkeit vor. Am augenfälligsten erkranken die äußere Haut, die Rachenschleimhaut und die Nieren. Auf der Haut erscheinen zahlreiche kleine, dicht beieinander stehende gerötete Punkte, die alsbald zusammenfließen und eine gleichmäßig gerötete Fläche bilden. Die Haut ist dabei gleichmäßig angeschwollen, oft glänzend und geglättet. Fast immer besteht eine Entzündung der Rachenschleimhaut, in bösartigen Epidemien nimmt die Halsaffektion nicht selten die Form der diphtheritischen Entzündung an, die indes nicht mit der durch den Löfflerschen Diphtheriebazillus hervorgerufenen Diphtheritis identisch ist, sondern durch Streptokokken erzeugt wird. Damit verbinden sich dann zuweilen Entzündungen der Nase, der Ohrspeicheldrüsen, der Lymphdrüsen und des Bindegewebes am Hals, die sogar in Vereiterung, selbst in Brand übergehen können. Häufig tritt beim S. Mittelohrentzündung mit Eiterbildung in der Paukenhöhle ein; nur durch rechtzeitige geeignete Behandlung (Durchschneidung des Trommelfelles) können hierbei zuweilen schwere Folgezustände (Hirnabszeß, Taubheit) verhütet werden. Sehr häufig tritt bei S. Entzündung der Nieren auf mit Eiweißgehalt des Urins, Abstoßung der Nierenepithelien, manchmal völligem Versiegen der Harnabsonderung. In andern Fällen treten auch Entzündungen der Gelenke, der serösen Häute, namentlich des Brustfelles und des Herzbeutels, auf. Auch reine Scharlachfälle, bei denen neben entzündlichem Fieber nur Hautausschlag, Rachenentzündung und Blutüberfüllung der Nieren bestehen, stellen immer eine schwere Erkrankung dar. Im Inkubationsstadium beginnen die Kranken über Mattigkeit, Abgeschlagenheit und über ein unbestimmtes Krankheitsgefühl zu klagen. Das Stadium der Vorläufer (meist 1–2 Tage) beginnt mit wiederholtem Frösteln oder mit einmaligem Schüttelfrost. Der Kranke bekommt nun das Gefühl brennender Hitze, Brechneigung oder wirkliches Erbrechen, heftigen Kopfschmerz, das Gefühl großer Erschlaffung, eine allgemeine Schmerzhaftigkeit der Glieder, der Schlaf ist gestört, der Puls meist stark beschleunigt (120–130 Schläge in der Minute) und die Körpertemperatur erreicht 39° und darüber. Gleichzeitig klagen die Kranken über Trockenheit und Brennen im Hals und über Schmerzen, die durch Schlingbewegungen vermehrt werden. Die Schleimhaut der Mandeln und des weichen Gaumens zeigt sich dunkel gerötet und geschwollen. Manche Kranke sind sehr aufgeregt oder delirieren, andre liegen teilnahmlos und apathisch da, bei Kindern sind Zuckungen nicht selten. Andre Kranke scheinen im Vorläuferstadium kaum ernsthaft krank zu sein. Der Scharlachausschlag kündigt sich fast immer durch Steigerung des Fiebers an, Kopfschmerzen, Schwächegefühl, Aufregung oder Apathie der Kranken steigern sich. Die dunkelste Röte findet sich am Hals, an den Streckseiten der Arme und Beine, an den Gelenken, Händen und Füßen. In besonders schweren Fällen tritt Blut direkt in die Haut aus, so daß sich die Röte alsdann nicht mehr mit dem Finger fortdrücken läßt (scarlatina haemorrhagica, Blutfleckenscharlach). Mit dem Ausbruch des Exanthems steigern sich die Halsbeschwerden, die Rötung des Gaumens wird stärker, die Zunge zeigt nicht bloß an den Rändern, sondern auch auf dem Rücken, von dem sich der anfangs vorhandene Belag gewöhnlich abgestoßen hat, eine dunkle Himbeerröte (Himbeerzunge). Am zweiten Tage des etwa 4–5 Tage andauernden Stadiums der Blüte des Ausschlags erreichen Fieber, Ausschlag und Halsbeschwerden ihren Höhepunkt. Der Harn enthält jetzt reichlich Nierenepithelzellen und häufig etwas Eiweiß. Auch das Allgemeinbefinden ist am schwersten beeinträchtigt. Dann aber pflegen sämtliche Krankheitserscheinungen langsam abzunehmen, Pulsfrequenz und Temperatur herabzugehen; der Ausschlag blaßt ab, die Schlingbeschwerden werden geringer, und das Allgemeinbefinden bessert sich. Gewöhnlich am fünften Tage nach dem Ausbruch des Exanthems beginnt die Abschuppung. Die Haut wird blaß, rauh und spröde, und die Epidermis löst sich in vielen kleinen Fetzen oder in größern Lappen ab; es verlieren sich auch die letzten Spuren des Fiebers und der Halsbeschwerden. Die Krankheit endigt bei normalem und gutartigem Verlauf in der 3.–4. Woche mit vollständiger Genesung. – Zu den gutartigen Fällen von S. rechnet man auch noch zwei rudimentäre Formen der Krankheit, nämlich das S. ohne Halsbeschwerden (scarlatina sine angina) und solche Fälle von fieberhafter Angina, die zur Zeit einer Scharlachepidemie auftreten, bei denen aber kein Scharlachausschlag auf der äußern Haut vorhanden ist (scarlatina sine exanthemate). Nur der zeitliche und örtliche Zusammenhang mit Scharlachepidemien läßt solche Falle als Anomalien des Scharlachs erkennen. – Ist der Verlauf des Scharlachs ungünstig, so kann in jedem Stadium der Tod eintreten unter Steigerung der fieberhaften Allgemeinkrankheit oder der Rachendiphtheritis oder der Nierenentzündung, die zu Wassersucht und Urämie führen kann. Besonders gefährlich ist die Blutvergiftung durch Allgemeininfektion des Körpers mit Streptokokken von der Rachendiphtheritis aus. In manchen Fällen tritt ausgedehnte brandige Verschwärung der gesamten Rachenorgane mit Eitersenkung in das Halszellgewebe ein. Die Sterblichkeit schwankt bei verschiedenen Epidemien zwischen 1 und 40 Proz.; meistens beträgt sie 6–16 Proz. Die Behandlung erfordert zunächst die Absonderung des Kindes, am besten ist sofortige Verbringung in ein Krankenhaus. Man sorge für gleichmäßige, eher kühle (15–18°) als zu warme Temperatur des Krankenzimmers, das sorgfältig und regelmäßig gelüstet werden muß. Als Getränk passen kühles Wasser oder säuerliche Limonade, als Nahrung einfache, dabei leicht nährende Suppen, Milch u. dgl. Der Kranke muß bis zur beendigten Abschuppung im Bett bleiben und auch dann noch vor Erkältung geschützt werden, daher je nach der Jahreszeit noch kürzere oder längere Reihe von Tagen das Zimmer hüten. Bei sehr hohen gefahrdrohenden Temperaturen in bösartigen Fällen leisten abkühlende Vollbäder und Einwickelungen des ganzen Körpers in nasse, kalte Leinentücher vorzügliche Dienste. Wichtig ist genaueste Reinhaltung des Mundes und des Rachens durch Spülung und durch Gurgeln mit schwacher Kochsalz- oder Borsäurelösung. Komplikationen sind nach den jeweils geltenden Grundsätzen zu behandeln: so erfordern Nierenentzündungen Schwitzprozeduren, die Mittelohreiterungen Durchschneidung des Trommelfelles, Eiteransammlung im Brustfell Entleerung durch Einschnitt. Bei der Entstehung des Scharlachs spielen Streptokokken eine wesentliche Rolle; man findet solche fast regelmäßig im Rachensekret, oft auch im Blut. Gegen Streptokokkeninfektion hergestelltes Serum ist mit gewissen Erfolgen angewendet worden, es ist aber noch ungewiß, wie weit diese auf Besserung der Streptokokkeninfektion und wie weit sie auf Beeinflussung des Scharlachs selbst zu beziehen sind.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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