Rattazzi

Rattazzi

Rattazzi, 1) Urbano, ital. Staatsmann, geb. 29. Juni 1810 in Alessandria, gest. 5. Juni 1873 in Frosinone, studierte in Turin die Rechte und ward Advokat zu Casale. 1848 in die Zweite Kammer gewählt, schloß er sich der Linken an und ward, nachdem er schon im August wenige Tage Minister gewesen, im Dezember 1848 von Gioberti mit dem Ministerium der Justiz betraut, das er später mit der Leitung des Innern vertauschte. Nach der Schlacht bei Novara 26. März 1849 zurückgetreten, trennte er sich von der Linken und gründete die lange von ihm geführte Partei des linken Zentrums. Er wurde 1852 Präsident der Deputiertenkammer, übernahm im Oktober 1853 unter Cavour das Ministerium der Justiz und ward in dieser Stellung der Urheber der Gesetze, welche die Trennung der Kirche vom Staate herbeiführten. Weil er das von Cavour abgeschlossene Bündnis mit Frankreich und die Ausnahmemaßregeln gegen Genua nicht billigte, trat er Anfang 1858 zurück, ward aber schon im Juli 1859, als Cavour nach dem Frieden von Villafranca seine Entlassung nahm, an die Spitze eines neuen Ministeriums gestellt, das bis 1860 bestand. Gegen die Abtretung von Savoyen und Nizza protestierte R. anfangs, war aber später der wärmste Fürsprecher eines Bündnisses mit Frankreich. Im März 1862 trat er abermals an die Spitze des Kabinetts, mußte aber wegen seiner Hinneigung zu Napoleon III., die sich durch seine Vermählung mit Marie Wyse-Bonaparte, verwitweten Solms (s. unten), verstärkte, und wegen seines Einschreitens gegen Garibaldi im August 1862 bei Aspromonte 1. Dez. seine Entlassung nehmen. Nach Ricasolis Rücktritt im April 1867 übernahm er wieder die Leitung des Kabinetts, benahm sich aber, als Garibaldi den Freischarenzug gegen Rom ins Werk setzte, so zweideutig, daß er im Oktober, als die Franzosen wieder in den Kirchenstaat einrückten, die Regierung niederlegen mußte. Noch immer hatte er als ausgezeichneter Redner im Parlament großen Einfluß; sein Mangel an Charakterfestigkeit aber hatte seinen Ruf als Staatsmann erschüttert. Seine Reden gab Scovazzi (Rom 1876–80, 8 Bde.) heraus. Vgl. A. Morelli, Urbano R., saggio politico (Pad. 1874), und die von Rattazzis Gemahlin (s. unten) veröffentlichten biographischen Schriften. – Sein Neffe Urbano R., geb. 2. Febr. 1845 in Vercelli, trat jung in das königliche Hausministerium, leitete dieses bis 1893 und wurde bei seinem Rücktritt zum Staatsminister und Mitglied des Senats ernannt.

2) Marie Studolmine, franz Schriftstellerin. geb. 25. April 1833 in Waterford (England), gest. 5. Febr. 1902 in Paris, war die Tochter des Iren Thomas Wyse (gest. 1862 als britischer Gesandter in Athen) aus dessen Ehe mit der ältesten Tochter von Lucian Bonaparte, Lätitia, und heiratete 1850 einen Elsässer, Fr. v. Solms, der sich nach wenigen Jahren von ihr scheiden ließ. Die Verwandte Napoleons III. verursachte damals durch ihre ungebundene Ausführung in Nizza und Aix, ihr zur Schau getragenes intimes Verhältnis zu Eugène Sue und dem Dichter Ponsard ihrem kaiserlichen Vetter manche Sorge. 1863 verheiratete sie sich mit Urbano R., den sie auf ihren Reisen hatte kennen lernen. Allein und mit andern gab sie Blätter heraus, schrieb RomaneLes mariages de la Créole«, 1864, in Paris konfisziert; dann in Brüssel u. d. T.: »La chanteuse« erschienen, 3. Aufl. 1882; »La réputation d'une femme«, 1861; »Le piège aux maris«, 4 Tle., 1865–67, u. a.) und Bühnenstücke und verwickelte wegen des Romans »Bicheville« (in der letztgenannten Serie, 1867), in dem sie die florentinische Gesellschaft an den Pranger stellte, ihren Gatten in eine schlimme Duellgeschichte. Teilweise selbstbiographisch ist »Si j'étais reine« (1868). Nach Rattazzis Tod (1873) veröffentlichte sie seine Biographie: »R. et son temps« (1881–87, 2 Bde.), der sich später das Werk »Urbain R., par un témoin des dix dernières années de sa vie« (1902) anschloß, lebte fortan in Paris und ging 1877 eine dritte Ehe ein mit dem spanischen Cortesmitglied Luiz de Rute (gest. 1889). Schon in Aix gab sie 1853–60 die politisch-literarische Zeitschrift »Les Matinées d'Aix« heraus. In Paris ließ sie von 1886 an unter dem Pseudonym Baron Stock die Zeitschrift »Les Matinées Espagnoles« folgen, aus denen die »Revue internationale« hervorging. Von ihren letzten Werken sind noch die Romane »La belle Juive« (1882) und »Énigme sans clef« (1892) zu erwähnen. Vgl. Ryan, Notice historique sur la princesse Marie de Solms, née Bonaparte Wyse (Brüssel 1853), und S. Münz in der »Neuen Freien Presse«, 1902, Nr. 13,461.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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