Raffaël

Raffaël

Raffaël (eigentlich R. Santi, irrtümlich Sanzio), der berühmteste Meister der neuern Malerei, geb. 6. April 1483 in Urbino, gest. 6. April 1520 in Rom. Er war Sohn des Malers, Goldschmieds und Dichters Giovanni Santi, der ihn bis zu seinem Tode (1494) in der Kunst unterrichtete (vgl. Schmarsow, Giov. Santi, der Vater Raphaels, Berl. 1887). Dann scheint sich R. bei Timoteo della Vite, der 1495 nach Urbino kam, weitergebildet zu haben, war hierauf seit etwa 1499 Schüler und Gehilfe des Pietro Perugino, an dessen Kunstweise er sich eine Zeitlang anschloß, und bei dem er mehrere Jahre arbeitete. Vorübergehend war er auch in Città di Castello tätig. 1504 ging er nach Florenz. Die Werke des Leonardo, Michelangelo und Fra Bartolommeo sowie Florenz selbst, damals der Mittelpunkt der Pflege von Kunst, Wissenschaft und seinem geselligen Leben, übten einen bedeutenden Einfluß auf seine künstlerische Entwickelung aus. Nachdem er den Winter von 1504 unter Studien und der Ausführung einiger Bilder in Florenz zugebracht hatte, kehrte er 1505 nach Perugia zurück, wo er ein Fresko ausführte. 1506 ging er wieder nach Florenz und setzte hier seine Studien nach den ältern Meistern eifrig fort. Insbesondere von Fra Bartolommeo scheint er den schönen Aufbau der Gruppen, jene Bewegtheit bei aller strengen Symmetrie, die in seinen Bildern aus jener Zeit zuerst sich zeigt, gelernt zu haben. Vorübergehend besuchte er von Florenz aus Bologna und Urbino, wo der Hof des Herzogs Guidobaldo der Sammelplatz der Schöngeister des Landes war. Auf Bramantes Veranlassung ward er 1508 vom Papst Julius II. nach Rom berufen, um an der Ausmalung von einigen Räumen, den sogen. Stanzen, des vatikanischen Palastes teilzunehmen. In Rom, wo bald die ausgezeichnetsten und vornehmsten Männer, unter ihnen der Graf Castiglione und Pietro Bembo, mit ihm in vertraute Verbindung traten und die Päpste Julius II. und Leo X. ihn mit Aufträgen überhäuften, eröffnete sich ihm ein großartiger Wirkungskreis, und die zahlreichen Werke, die seinem fruchtbaren Geist entströmten und durch Markantons Grabstichel vervielfältigt wurden, verkündeten seinen Ruhm in ganz Italien und zogen zahlreiche Schüler herbei. Zu Michelangelo stand R. stets in einem ziemlich scharfen Gegensatz; die beiden Meister waren ihrer ganzen Richtung nach voneinander verschieden, obwohl R. in seinen letzten Jahren dem Einfluß Michelangelos in seiner Komposition wie in der Bildung seiner Gestalten nachgab. Die äußere Stellung Raffaels war sehr glänzend. Am 1. Aug. 1515 ernannte ihn Leo X. zum obersten Leiter des Baues der Peterskirche, am 27. Aug. d. J. zum Aufseher über die Ausgrabungen antiker Kunstdenkmäler in Rom. Seine Werke wurden sehr geschätzt und hoch bezahlt, sein Name auch im Ausland weitberühmt. Franz I. von Frankreich bestellte Gemälde bei R. und wollte ihn zu seinem Hofmaler machen. Albrecht Dürer schenkte ihm für einige Handzeichnungen ein Exemplar seines ganzen »Werkes«. Raffaels Auftreten war, wie Vasari berichtet, mehr das eines Fürsten als eines Malers; er kleidete sich prächtig und bewohnte ein schön eingerichtetes Haus im Borgo nuovo. Er war nicht vermählt, doch mit Maria da Bibbiena, der Nichte des gleichnamigen Kardinals, verlobt. Nach Vasari hat er bis zu seinem Tod eine Geliebte besessen, die bei ihm wohnte. Er starb an einem hitzigen Fieber am Karfreitag (6. April) 1520 in Rom. Wahrscheinlich hat seine rastlose Tätigkeit seinen zarten Körper im Übermaß angestrengt und zuletzt aufgerieben. Sein Leichnam ward im Pantheon beigesetzt. Die Marmorstatue der heiligen Jungfrau auf dem Altar über dem Grabgewölbe, deren Ausführung R. selbst dem Lorenzetto anvertraut hatte, wird vom Volk unter dem Namen Madonna del Sasso als wundertätig verehrt. 1833 wurde die durch Raffaels Brustbild und eine Inschrift bezeichnete Gruft geöffnet und sein Skelett noch ziemlich wohlerhalten gefunden. 1897 ist ihm ein von Belli ausgeführtes Denkmal in seiner Vaterstadt errichtet worden. Raffaels Gesichtsbildung war regelmäßig und einnehmend. Seine Haare waren braun und seine Augen von sanftem, bescheidenem Ausdruck. Seine Gestalt war von schlankem Wuchs und mäßiger Größe.

Als die frühesten, vielleicht unter dem Einfluß des Timoteo della Vite entstandenen Werke Raffaels gelten jetzt das kleine Bild eines unter einem Lorbeerbäumchen schlafenden jungen Ritters, dem im Traum die allegorischen Gestalten der Mühen und Freuden des Lebens erscheinen (in der Nationalgalerie zu London), die drei Grazien (nach einer antiken Gruppe, bei Lord Dudley in London) und der für den Herzog Guidobaldo in Urbino gemalte St. Michael (ebenso wie sein späteres Gegenstück, St. Georg, im Louvre). Seiner Lehrzeit bei Perugino gehören unter anderm an: die Kreuzigungsbilder in der Mondschen Sammlung in London und in der Petersburger Eremitage; die sogen. Madonna Solly und die heilige Jungfrau, das Christuskind im Schoß auf einem Kissen haltend, zu beiden Seiten St. Hieronymus und St. Franziskus, im Museum zu Berlin, sowie die Madonna Conestabile della Staffa in der Petersburger Eremitage; die Krönung der heiligen Jungfrau, ganz in der herkömmlichen Weise der umbrischen Schule, doch schon mit Raffaelscher Individualität, in der Galerie des Vatikans; die Vermählung Mariä (Sposalizio), in der Brera zu Mailand, von Longhi und Stang gestochen, ebenfalls noch ganz in Peruginos Weise gehalten, wiewohl Ausdruck und Bewegung bereits lebendiger als bei diesem sind und überhaupt Raffaels Eigentümlichkeit schon überall durchleuchtet (von 1504).

Raffaels zweite Periode, die Florentiner, in der er sich durch das Studium Leonardos und seine Beziehungen zu Fra Bartolommeo allmählich von der Weise Peruginos entfernt, ist vor allem die Periode der Madonnenbilder. Niemals sind mütterliche Zärtlichkeit und kindliche Unschuld vollkommener ausgedrückt worden. Auf immer neue Weise wird das Thema variiert. Bald ist Maria nur bis zu den Knien. bald in ganzer Figur sichtbar; bald sitzt sie, bald steht sie. Zuweilen ist sie mit dem Kind allein, häufiger kommt der kleine Johannes oder Joseph und andre Heilige hinzu. Hier spielt sich die Szene im Innenraum, dort in einer lachenden Landschaft ab. Die herbste und wohl früheste Madonna mit dem Kind allein ist die nach dem Großherzog Ferdinand III. von Toskana benannte Madonna del Granduca im Pittipalast zu Florenz; ihr schließen sich die Münchener Madonna aus dem Hause Tempi, die Bridgewater-Madonna, bei der das Kind auf dem Schoße der Mutter liegt und sich nach ihr umwendet, die beiden Bilder bei Lord Cowper in Panshanger, die wunderliebliche kleine Madonna aus dem Hause Orléans (Chantilly) und als letztes, wohl nicht ganz eigenhändiges Florentiner Werk die Madonna aus dem Hause Colonna in der Berliner Gemäldegalerie an. Das Problem der dreieckigen Gruppe mit dem kleinen Johannes im Freien wird in verschiedener, aber gleich anmutiger Weise in der Wiener Madonna im Grünen (Johannes links knieend), der Madonna mit dem Stieglitz in den Uffizien (beide Kinder stehend) und der Pariser »schönen Gärtnerin « (La belle jardinière; Johannes rechts knieend) behandelt. Höchste Reise der Komposition zeigt das Petersburger Rundbild aus dem Hause Alba, bei dem beide Kinder auf die linke Seite gerückt sind (1508). Ein drittes Kind kommt auf der wesentlich frühern Madonna del Duca di Terra nuova in Berlin hinzu. Ähnliche kompositionelle Verschiedenheiten zeigen die heiligen Familien. Bei der heiligen Familie mit dem Lamm (Madrid, Pradomuseum) strebt die Gruppe von links nach rechts in die Höhe, bei der Madonna mit dem bartlosen Joseph (Petersburg) und bei der heiligen Familie unter der Palme (London, Bridgewater House) ist dagegen das Kind zwischen die Eltern gesetzt. Einen vollkommen pyramidalen Aufbau zeigt die heilige Familie aus dem Hause Canigiani (München, Pinakothek), bei der Elisabeth und Johannes hinzugekommen sind. Von den thronenden Madonnen ist die von Pierpont Morgan für den ungeheuern Preis von 2 Millionen Mark erworbene noch ganz im Sinne Peruginos gehalten, während die noch in Florenz begonnene, in Rom von Schülerhand vollendete Madonna unter dem Baldachin (Florenz, Pittipalast) am stärksten den Geist Fra Bartolommeos atmet. Zwischen beiden steht die Madonna Ansidei (London, Natinalgalerie). Das bezeichnendste Beispiel für Raffaels Streben nach Größe und Kraft, worin er es nunmehr den Florentinern gleichtun will, ist die 1507 für Atalante Baglioni gemalte Grablegung (Rom, Villa Borghese; die Predella in der vatikanischen Galerie), bei der es ihm offenbar mehr auf die Darstellung des Nackten und der Bewegung, insbes. auf den Kontrast der tragenden Gestalten zu dem Toten, als auf die seelische Empfindung angekommen ist. Von sonstigen Gemälden der Florentiner Zeit seien noch die Bildnisse des Angelo und der Maddalena Doni sowie die sogen. Donna gravida (Florenz, Pittipalast), sein Selbstbildnis in den Uffizien, der für den Herzog von Urbino gemalte heilige Georg (Petersburg, Eremitage) und das zum Teil zerstörte Fresko mit der Dreifaltigkeit im Kloster San Severo zu Perugia genannt.

Raffaels großartigste künstlerische Tätigkeit fällt in seinen Aufenthalt in Rom, der die dritte Periode seines Schaffens umfaßt. Seine Tätigkeit als Freskomaler beginnt im Zimmer della Segnatura (der Rechtsprechung) des Vatikans, das er 1508–11 mit den allegorisch-symbolischen Darstellungen der Theologie, Philosophie, Poesie und Jurisprudenz schmückte. An der Decke sind diese vier Fakultäten als hehre Frauengestalten, umgeben von Putten, die erklärende Tafeln tragen, dargestellt. Auf dem Bilde der Theologie, gewöhnlich die Disputa (gestochen von Keller) genannt, das den Triumph der Religion darstellt, erscheint oben Gott-Vater, umgeben von den Scharen der Engel, unter ihm thront der Heiland zwischen der heiligen Jungfrau und Johannes dem Täufer, und unter diesem schwebt der Heilige Geist. Etwas tiefer im weiten Halbkreis sitzen ebenfalls auf Wolken Patriarchen, Propheten und Märtyrer. In der untern Abteilung erscheint die Eucharistie in der Monstranz auf dem Altar, zu dessen Seiten die Kirchenlehrer Hieronymus, Ambrosius, Augustin und Papst Gregor d. Gr., dann andre Kirchenlehrer des Mittelalters, darunter auch Dante und Savonarola, und allgemeine Repräsentanten christlicher Gemeinden gruppiert sind, zum Teil noch disputierend, zum Teil die himmlische Erscheinung schon erblickend. Auf dem Bilde der Poesie sehen wir die großen Dichter alter und neuer Zeit um Apollon und die Musen auf dem Parnaß versammelt, die Jurisprudenz wird durch drei Bilder: den die Pandekten übergebenden Justinian und den die Dekretalen übergebenden Gregor IX. und darüber eine allegorische Gruppe der Stärke, Wahrheit und Mäßigung, veranschaulicht. Einen der höchsten Höhepunkte seines Schaffens erreichte R. in der zuletzt entstandenen, unter dem Namen Schule von Athen bekannten Darstellung der Philosophie, die in der Gesamtkomposition wie in der Anordnung der einzelnen Gruppen und der Durchbildung der einzelnen Figuren nie übertroffen worden ist (Karton in der ambrosianischen Bibliothek zu Mailand). In den Zwickeln zwischen den vier Bildern sind der Sündenfall, der Sieg Apollons über Marsyas, das Urteil Salomos und eine Darstellung der Astronomie gemalt. Nach Vollendung dieser Arbeiten führte R. noch ein Fresko, den Propheten Jesaias in Sant' Agostino zu Rom, aus, ein Bild, in dem Michelangelos Einfluß sich deutlich offenbart. Später folgten die Sibyllen in Santa Maria della Pace, die zu den großartigsten Werken des Meisters gerechnet werden. Die Ausschmückung des zweiten Zimmers im Vatikan, der Stanza d'Eliodoro, wurde 1512 begonnen und 1514 vollendet. Auf dem ersten der Deckenbilder liegt der Erzvater Abraham in Anbetung vor dem zwischen zwei Engeln einherschwebenden Jehova auf den Knien, das zweite stellt das Opfer Abrahams, das dritte Jakob vor, wie er im Traum auf der Himmelsleiter Engel auf- und niedersteigen sieht, das vierte, wie Gott dem Moses im feurigen Busch erscheint. Das erste der großen Wandbilder zeigt Heliodor, wie er, im Begriff, den Schatz des Tempels zu Jerusalem zu rauben, durch die Erscheinung eines Ritters in goldener Rüstung niedergeschmettert wird; das zweite schildert eine wunderbare Begebenheit (ein an der Transsubstantiation zweifelnder Priester sieht aus der von ihm geweihten Hostie Blut fließen), die sich 1263 in der Kirche der heil. Christina zu Bolsena während der Messe zugetragen haben soll und Veranlassung zur Stiftung des Fronleichnamfestes gegeben hat; das dritte stellt die Befreiung des Apostels Petrus aus dem Gefängnis dar; das vierte zeigt den Hunnenkönig Attila, wie er, im Begriff, gegen Rom anzurücken, durch die Erscheinung der Apostelfürsten Petrus und Paulus bewogen wird, der Mahnung des Papstes Leo I., Italien zu verlassen, Gehör zu geben. Sie sind zugleich Anspielungen auf die Taten des Papstes Julius II., der auf den beiden ersten der Handlung beiwohnt, und Leos X., dessen Züge Leo I. trägt. Bei dem dritten Zimmer, der Stanza dell'Incendio, die 1514–17 von R. ausgeschmückt ward, überließ er die Ausführung, auch der Kartons, ganz seinen Schülern, deren Mithilfe er sich schon bei den andern Zimmern bedient hatte. Das erste Wandbild stellt dar, wie Papst Leo III. in Gegenwart Karls d. Gr. durch einen Schwur auf das Evangelium die Beschuldigungen der Neffen des verstorbenen Papstes Hadrian I. von sich abweist; das zweite schildert die Kaiserkrönung Karls d. Gr. durch Leo III.; das dritte zeigt den Hafen von Ostia, wo die Sarazenen auf das Flehen des Papstes Leo IV. durch Gottes Hilfe, der einen heftigen Sturm sendet, besiegt werden. Das beste Gemälde dieses Zimmers ist der Burgbrand, der 847 in der Vorstadt Borgo nuovo ausbrach und durch alle menschlichen Bemühungen nicht gelöscht werden konnte. Diese Darstellung nebst einer Ansicht der alten Fassade der Peterskirche bildet den Hintergrund, während den Vordergrund Gruppen in lebhafter Bewegung, flüchtende, rettende und helfende, ausfüllen. Nicht minder reich wurde der nach einer Seite offene Gang (Loggien), der im zweiten Stock von der Stiege nach dem Saale des Konstantin und den Stanzen führt, ausgeschmückt. Er besteht aus 13 kleinen kuppelartigen Abteilungen mit 48 Darstellungen aus dem Alten und 4 aus dem Neuen Testament, gewöhnlich Raffaels Bibel genannt. Zu allen diesen Bildern und Ornamenten (Grotesken, s. d.) lieferte R. aber nur die Entwürfe, die seine Schüler ausführten. Ebenso verhält es sich bei der Ausschmückung der Loggiendecke in der Villa Farnesina des Agostino Chigi, in der er bereits 1514 den Triumph der Galatea in Fresko gemalt hatte. Hier gab die Fabel von Amor und Psyche den Stoff zu einer Reihe von Gemälden, die nicht nur durch das liebenswürdige Erzählertalent, die Anmut der Gestalten und die Fülle der Bewegungsmotive, sondern besonders auch durch die Leichtigkeit, wie die Szenen in die unbequemen Zwickelfelder hineinkomponiert sind, die höchste Bewunderung erregen. Für die Gemälde im Saale des Konstantin im Vatikan, die sich auf die Begründung der sichtbaren Oberherrschaft der Kirche in den bedeutendsten Begebenheiten aus dem Leben Konstantins d. Gr. beziehen, hatte R. nur die allgemeine Anordnung und vielleicht die Grundlinien der Komposition für die Konstantinsschlacht ausgezeichnet, die am meisten von seinem Geiste hat. Die Ausführung gehört seinen Schülern, meist Giulio Romano, an.

Auch bei den Staffeleibildern der römischen Zeit hat sich R. meist von seinen Schülern helfen oder seine Entwürfe ganz von ihnen ausführen lassen. Von den Madonnenbildern gelten als ganz eigenhändig die unvergleichlich anmutige, mit höchster Kunst in ein Rund komponierte Madonna della Sedia (Florenz, Pittipalast) und die für die Benediktinermönche von San Sisto in Piacenza gemalte, in unnahbarer Hoheit in den Wolken schwebende Sixtinische Madonna in der Dresdener Gemäldegalerie, wohl das volkstümlichste und in Nachbildungen verbreitetste Werk der gesamten Kunst (Stiche von Müller, Steinla, Keller u. a.). Mehr oder minder stark sind fremde Hände in der auf Wolken thronenden Madonna von Foligno (1511; Rom, Vatikan), der Madonna del Pesce (der vom Engel Raphael geleitete Tobias bringt der thronenden Madonna einen Fisch; Madrid, Pradomuseum), der Madonna dell' Impannata (mit dem Tuchfenster; Florenz, Pittipalast) und der Madonna della Tenda (mit dem Vorhang; München, Alte Pinakothek) fühlbar. Bloße Werkstattbilder sind die heilige Familie mit der Perle (Madrid, Pradomuseum), die Madonna del Passeggio (London, Bridgewatergalerie), die große heilige Familie Franz' I., für den R. auch einen mit dem Drachen kämpfenden heil. Michael ausführen ließ (beide im Louvre zu Paris), u. a. Die Madonna mit dem schlafenden Kinde (beim Herzog von Westminster), die Madonna mit dem Diadem (im Louvre), die Madonna von Loreto (daselbst), die alle drei die heil. Jungfrau zeigen, wie sie den Schleier von dem schlafenden oder erwachenden Christkind abhebt, sind Kopien verschollener Originale. Ähnlich steht es mit den andern religiösen Werken dieser Zeit, unter denen die in der Pinakothek zu Bologna befindliche heil. Cäcilie (um 1516 vollendet) obenan steht. Bei der unter dem Namen Lo Spasimo di Sicilia bekannten Kreuztragung (Madrid, Pradomuseum) und der dramatisch bewegten Verklärung Christi (Rom, Vatikan) gehören die Grundgedanken der Komposition dem Meister, dem dagegen die schwachen und selbst widrigen Einzelheiten und das unschöne Kolorit nicht zuzuschreiben sind. Ganz von Schülerhand ist die Heimsuchung im Pradomuseum zu Madrid.

Unter den Bildnissen sind das des Papstes Julius II. und das des Papstes Leo X. mit den Kardinälen Ludovico de' Rossi und Giulio de' Medici (beide Florenz, Pittipalast) an erster Stelle zu nennen, dann die eine bei R. seltene Feinheit und Harmonie des Tones zeigenden des Grafen Castiglione (Paris, Louvre) und eines Kardinals (Madrid, Pradomuseum), das als Darstellung eines Schieläugigen merkwürdige des päpstlichen Bibliothekars Tommaso Inghirami (bei Mrs. Gardner in Boston), das des Bindo Altoviti (München, Pinakothek) und das wundervolle Doppelbildnis der Staatsmänner Navagero und Beazzano (Rom, Palazzo Doria). Sie sind wohl fast alle eigenhändig ebenso wie die sogen. Donna Velata (Dame mit dem Schleier) im Pittipalast zu Florenz, deren Züge R. bei der heil. Cäcilie und bei der Sixtinischen Madonna verwendet hat. Abgesprochen wird ihm dagegen jetzt die Halbfigur mit entblößtem Oberkörper der sogen. Bäckerstochter (La Fornarina) im Palazzo Barberini zu Rom, die lange Zeit als das Bildnis seiner Geliebten gegolten hat. Von der Johanna von Aragonien im Louvre rührt außer der Gesamtanordnung höchstens der Kopf von ihm her. Mehrere früher ihm zugeschriebene Bildnisse sind jetzt als Werke seines Nebenbuhlers Sebastiano del Piombo (s. d.) erkannt worden.

Zu den bewunderungswürdigsten Werken Raffaels gehören die nach seinen Entwürfen ausgeführten Kartons zu den Tapeten (arazzi), die der Papst in den Niederlanden wirken ließ, um den untern Raum der Sixtinischen Kapelle damit zu schmücken. Die sieben noch vorhandenen Kartons in Wasserfarben: Petri Fischzug, die Übergabe der Schlüssel, die Heilung des Lahmen, der Tod des Ananias, die Bestrafung des Elymas, die Predigt des Paulus in Athen und Paulus mit Barnabas in Lystra, befinden sich jetzt im South Kensington-Museum zu London. Die zehn Teppiche selbst haben durch verschiedene Schicksale sehr gelitten und hängen seit 1814 im Vatikan. Wiederholungen befinden sich in den Galerien zu Berlin und Dresden und im Madrider Schloß. Die Entwürfe zu einer zweiten Reihenfolge von Tapeten, mit Darstellungen aus dem Leben Jesu, wurden von R. nur in Skizzen geliefert.

Wie die meisten großen Künstler der Renaissance, hatte R. auch die Architektur, in der ihn Bramante unterrichtet, in seinen Kreis gezogen. Vielleicht würde er sogar, wenn er länger gelebt hätte, auf dieses Gebiet, für das er ebenfalls eine ganz außerordentliche Begabung besaß, den Schwerpunkt seines Schaffens verlegt haben. Seine ersten römischen Bauten waren die kleine Kirche Sant' Eligio degli Orefici, die anmutige, früher dem Peruzzi zugesprochene Villa Farnesina und die köstliche Chigikapelle in Santa Maria del Popolo. Von Bramante zu seinem Nachfolger als Architekt der St. Peterskirche empfohlen, mußte er einen Plan, einen Kostenüberschlag und ein Modell liefern, das angenommen wurde. Indessen ward unter Raffaels Leitung nur der Unterbau begonnen. Außerdem fertigte er auch die Pläne zu den Palästen Vidoni und Costa in Rom, Pandolfini in Florenz, zu der vielleicht von Giulio Romano ausgeführten Villa Madama am Abhang des Monte Mario u. a. Vgl. Geymüller, Raffaello Sanzio studiato come architetto (Mail. 1884). Auch in der plastischen Kunst hat sich R. versucht, indem er einige Tonmodelle anfertigte. Sicher bezeugt ist ein toter Knabe auf einem Delphin, dessen Marmorausführung sich in der Eremitage zu St. Petersburg befindet.

Das Verzeichnis der einzelnen Gemälde und Zeichnungen Raffaels umfaßt 1225 Nummern, die fast über die ganze zivilisierte Erde zerstreut sind. Die Malereien der vatikanischen Stanzen sind bekannt durch das Kupferwerk F. Aquilas: »Picturae Raphaelis Sancti Urbinatis« (1722, 22 Bl.); eine neuere Folge bilden die Stiche von J. Volpato und Morghen (8 Bl.). Von den Malereien der Loggien des Vatikans erschienen viele Bildwerke, so: »Les loges du Vatican« (52 Bl., gestochen von J. Volpato und J. Ottaviani; Rom 1782, 43 Bl.; neue Lichtdruckreproduktion, hrsg. von Rosenberg, Berl. 1883); »Raffaels Bilder zur biblischen Geschichte des Alten Testaments« (Prag 1841 ff.). Die Kartons zu den Tapeten erschienen gestochen und zu Folgen vereinigt als »Pinacotheca Hamptoniana« von N. Dorigny (Lond. 1719, 8 Bl.; neue Lichtdruckreproduktion, Wien 1878) u. a. Die Malereien in der Farnesina erschienen gestochen u. d. T.: »Psyches et Amoris nuptiae ac fabulae« von N. Dorigny (Rom 1693, 12 Bl.), als »Raffaels Darstellungen aus der Fabel von Amor und Psyche« von Franz Schubert (Münch. u. Leipz. 1842 ff.) und von T. de Marc in Bigot, Raphaël et la Farnésine (Par. 1884). Raffaels Zeichnungen wurden im Stich herausgegeben von L. Celotti (Vened. 1829) u. a., in Photographien von A. Braun u. Komp.

Die übertriebene und kritiklose Vergötterung, die R. im 19. Jahrh. zuteil geworden ist, hat in unsrer Zeit zu einer Art Reaktion geführt. Manche Kenner und ausübenden Künstler suchen ihn geradezu in eine Stellung zweiten Ranges zu drängen. R. ist der anschmiegsamste Genius, den die bildende Kunst hervorgebracht hat. Er besaß weder die ganz aus Eigenem schöpfende Ursprünglichkeit noch die Wucht eines Michelangelo. Aber er wußte dem Guten, das von allen Seiten auf ihn einströmte, und das er willig aufnahm, den Stempel seines Geistes auszudrücken. Dieser ist die strahlende, nie versiegende Liebenswürdigkeit, die Millionen bezwungen hat und weiter bezwingen wird. Er ist der leichtest verständliche, der am unmittelbarsten zum Herzen sprechende aller Maler. Nie genug bewundern kann man die unendliche Fülle seiner künstlerischen Gedanken und die spielende Leichtigkeit, mit der er sie in Formen zu gießen verstand. Am reinsten kommen diese Vorzüge in den Handzeichnungen zum Ausdruck. Den Gemälden fehlt die Tiziansche Farbenglut, das Helldunkel Correggios, die mystische Lichtwirkung Rembrandts. In dem Übergewicht, das die Zeichnung fast immer behält, ist er in den Bahnen der großen Quattrocentisten geblieben. Er beherrschte das Nackte und die Gewandung vollkommen und wußte die Köpfe aufs tiefste zu beseelen. Die unendliche Lieblichkeit seiner Madonnen, die charaktervolle Hoheit seiner Männergestalten auf der Disputa und der Schule von Athen, der großartige Stil seiner Geschichtsmalereien im Heliodoroszimmer und auf den Teppichen, die heitere Grazie seiner Mythologien und die psychologische Feinheit seiner Bildnisse, alles dies zusammen genommen sichert ihm den Ruhm, wenn nicht des größten, so doch eines der größten Künstler aller Zeiten. R. bildete eine große Schar von Schülern, von denen sich jedoch die meisten nicht über flache Nachahmung erhoben und bald in eine durch Michelangelo wesentlich beeinflußte Manier verfielen (vgl. Dollmayr, Raffaels Werkstätte, im »Jahrbuch der Kunstsammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses«, Wien 1895). Eine wahrhaft schöpferische Kraft treffen wir nur bei Giulio Romano, eigentümliche Talente nur bei wenigen andern Schülern, namentlich denjenigen, die mit R. erst in Verbindung traten, als sie schon ihre erste künstlerische Bildung erworben hatten, wie Garofalo und Gaudenzio Ferrari. An Giulio Romano schließt sich Francesco Penni, genannt il Fattore, an. Ein durch Talent und Produktionsgabe ausgezeichneter Schüler Raffaels ist auch Perino del Vaga. Während indessen des Meisters Kunstweise durch seine Schüler wie durch seine Werke und die Kupferstiche danach nach allen Gegenden Italiens hin und selbst im Ausland Eingang fand, erlosch in Rom seine Schule bald nach seinem Tode, da nach dem Hinscheiden Leos X. 1521 die Künstler ohne alle Beschäftigung für die Regierung blieben und die 1527 erfolgte Plünderung Roms vollends die noch zurückgebliebenen Schüler Raffaels zerstreute. Doch haben seine Werke bis auf die Gegenwart einen nachhaltigen Einfluß geübt, der so lange fortdauern muß, wie der Idealismus in der Kunst Anhänger findet.

Raffaels Leben beschrieb Vasari (s. d.) in den »Vite de' più eccellenti architetti, pittori e scultori« (Flor. 1568 u. ö.), mit Übersetzung und Kommentar hrsg. von Herman Grimm (s. d. 8). Von Neuern vgl. Quatremère de Quincy, Histoire de la vie et des ouvrages de Rafaël (2. Aufl., Par. 1833, Nachtrag von Boucher-Desnoyers 1852; deutsch, Quedlinburg 1835); Passavant, Rafael von Urbino und sein Vater Giovanni Santi (Leipz. 1839–58, 3 Bde.; in verbesserter franz. Ausg., Par. 1860, 2 Bde.); E. Förster, Raphael (Leipz. 1867–69, 2 Bde.); Campori, Notizie e documenti per la vita di Giovanni Santi e di Raffaello Santi (Modena 1870); A. Springer, R. und Michelangelo (3. Aufl., Leipz. 1895, 2 Bde.); Lübke, Rafaels Leben und Werke (Dresd. 1882, mit 3 Bdn. Lichtdrucknachbildungen); Gruyer, Raphaël et l'antiquité (Par. 1864, 2 Bde.), Les Vierges de R. (das. 1869, 3 Bde.) und R. peintre de portraits (das. 1882); Müntz, Raphael, sa vie, son œuvre et son temps (2. Aufl., das. 1886; 1899); Crowe und Cavalcaselle, R., sein Leben und seine Werke (deutsche Ausg., Leipz. 1883–85, 2 Bde.); Minghetti, Raffaello (deutsch, Bresl. 1887); Grimm. Das Leben Raphaels (3. Aufl., neue Bearbeitung, Berl. 1896); Koopmann, Raffaels Handzeichnungen (Marb. 1897); Fischel, Raphaels Zeichnungen (Straßb. 1898); Gronau, Aus Raphaels Florentiner Tagen (Berl. 1902); Vöge, R. und Donatello (Straßb. 1896); Wölfflin, Die klassische Kunst (3. Aufl., Münch. 1904); Rosenberg, R. Des Meisters Gemälde in 203 Abbildungen (2. Aufl., Stuttg. 1905). Ein Verzeichnis der Werke Raffaels gibt der Katalog von Ruland, The works of Raphael (Lond. 1876).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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