Rückert

Rückert

Rückert, 1) Friedrich, hervorragender deutscher Dichter, geb. 16. Mai 1788 in Schweinfurt, gest. 31. Jan. 1866 in Neuses bei Koburg, war der Sohn eines Rentbeamten, der 1792 nach dem Dorf Oberlauringen in Unterfranken versetzt wurde, wo er das freiherrlich Truchseßsche Justiz- und Kameralamt übernahm. Die Eindrücke seiner dort verlebten ersten Jugend hat R. 1829 in dem Zyklus »Erinnerungen aus den Kinderjahren eines Dorfamtmannssohns« in poetisch-humoristischen Genrebildern dargestellt (vgl. Kühner, Dichter, Patriarch und Ritter, Frankfurt a. M. 1869). Nachdem er auf der lateinischen Schule in Schweinfurt die akademische Vorbildung erhalten, bezog er 1805 zum Studium der Rechte die Universität Würzburg, wo er bis 1809 verweilte, sich jedoch bald ausschließlich den philologischen und ästhetischen Studien hingab, von denen er erstere in solcher Ausdehnung trieb, daß er später von sich sagen durfte: »Mir lebt jede Sprache, die Menschen schreiben«. Nach einer kurzen Verfolgung der Dozentenlaufbahn in Jena (seit 1811) und nach einem darauf in Hanau unternommenen, aber gleichfalls bald ausgegebenen Anlauf, als Gymnasiallehrer zu wirken (vgl. Duncker, F. R. als Professor am Gymnasium zu Hanau, 2. Aufl., Wiesbad. 1880), zog sich R. für eine Weile ganz von amtlicher Tätigkeit zurück, ließ sich als Privatgelehrter in Würzburg nieder und lebte in den nächsten Jahren teils hier, teils in Hildburghausen, teils wieder im Elternhaus. An den großen Kämpfen der Befreiungsjahre nahm er durch die »Geharnischten Sonette« und kriegerische »Spott- und Ehrenlieder« Anteil, die er zuerst in den »Deutschen Gedichten« unter dem Pseudonym Freim und Reimar (Heidelb. 1814) veröffentlichte. 1816 ging R. auf Anregung des Ministers v. Wangenheim nach Stuttgart, wo er die Redaktion des poetischen Teiles des Cottaschen »Morgenblattes« übernahm, den »Kranz der Zeit« (Stuttg. 1817) und »Napoleon, eine politische Komödie in zwei Stücken« (das. 1816 bis 1818) erscheinen ließ und vielfach mit Uhland verkehrte; doch war R. sein Gegner in der württembergischen Verfassungsfrage. Im Herbst 1817 reiste R. nach Italien, wo er den größten Teil seiner Reisezeit in fruchtbarem Verkehr mit den deutschen Künstlern zu Rom verbrachte, und kehrte im Oktober 1818 über Wien in die Heimat zurück. In Wien genoß er bei dem Orientalisten Joseph v. Hammer-Purgstall (s. d.) Unterricht im Persischen, der für ihn so folgenreich wurde. Während der nächsten Jahre wohnte R. abwechselnd bei seinen Eltern zu Ebern in Franken, zu Koburg, Nürnberg u.a. O., bis ihm durch seine Verheiratung (1821, mit Luise Wiethaus-Fischer, der Tochter des Archivars Fischer) in Neuses bei Koburg ein anmutiges Poetenasyl beschieden wurde, worin er den größten Teil seiner spätern Tage verlebte. 1826 wurde er Professor der orientalischen Sprachen und Literaturen in Erlangen (vgl. die Schriften von Reuter: F. R. in Erlangen, Hamb. 1888; Die Erlanger Freunde F. R. und J. Kopp in den Jahren 1834–1836, Altona 1893; F. R. und J. Kopp 1837–1842, das. 1895). Seine Muse wie seine wissenschaftlichen Studien hatten sich inzwischen mit Vorliebe dem Orient zugewendet. Als Ergebnisse dieser Studien traten zunächst seine Dichtungen »Östliche Rosen« (Leipz. 1822) hervor; dann folgten »Die Verwandlungen des Abu Seid von Serug oder die Makamen des Hariri« (Stuttg. 1826, 7. Aufl. 1878); »Nal und Damajanti, eine indische Geschichte« (Frankf. 1828, 6. Aufl. 1889); »Hebräische Propheten«, übersetzt und erläutert (Leipz. 1831); »Schiking, chinesisches Liederbuch, gesammelt von Confucius, dem Deutschen angeeignet« (Altona 1833); »Sieben Bücher morgenländischer Sagen und Geschichten« (Stuttg. 1837, 2 Bde.); »Erbauliches und Beschauliches aus dem Morgenland« (Berl. 1837–1838, 2 Bde.); »Rostem und Suhrab«, Heldengeschichte in 12 Büchern (Erlang. 1838; 2. Aufl., Stuttg. 1846); »Brahmanische Erzählungen« (Leipz. 1839; daraus als Sonderabdruck »Sawitri«, das. 1866); »Leben Jesu, Evangelienharmonie in gebundener Rede« (Stuttg. 1839); »Amrilkais, der Dichter und König« (das. 1843); »Hamâsa, oder: Die ältesten arabischen Volkslieder, gesammelt von Abu Temmâm, übersetzt und erläutert« (das. 1846, 2 Bde.) u.a. Nach Friedrich Wilhelms IV. Thronbesteigung in Preußen wurde R. 1841 nach Berlin berufen, wo er, sich wenig heimisch fühlend, mit häufigen Unterbrechungen bis 1848 wohnte, um dann auf immer nach seinem Ruhesitz in Neuses zurückzukehren. In den Jahrzehnten vor und nach der Berufung in die preußische Residenz blieb der Dichter, wovon seine »Haus- und Jahreslieder« Zeugnis ablegten, gleich produktiv. Seinem Volk wurde er durch die schönsten seiner Gedichte, namentlich durch die Lieder des 1821 entstandenen »Liebesfrühlings« (Sonderabdruck, Frankf. 1844; 16. Aufl. 1895 u. ö.) und das tiefsinnige und reiche Lehrgedicht »Die Weisheit des Brahmanen« (Leipz. 1836 bis 1839, 6 Bdchn.; 14. Aufl. 1896) immer teurer (vgl. Fietkau, Die drei Ausgaben von Rückerts »Weisheit des Brahmanen«, Königsb. 1896). Von geringer Bedeutung sind die dramatischen Versuche des Dichters: »Saul und David« (Stuttg. 1844); »Herodes der Große« (das. 1844); »Kaiser Heinrich IV.« (Frankf. 1844, 2 Tle.) und »Christofero Colombo« (das. 1845). Rückerts Alter war an Ehren reich; 1869 wurde ihm in Neuses ein Denkmal (Kolossalbüste von Conrad) errichtet. Rückerts Bedeutung liegt in der seltenen Verbindung unmittelbarster, tief aus dem Herzen quellender Lyrik und lehrhafter Beschaulichkeit, so zwar, daß er, beide Gebiete beherrschend, auf beiden eine Fülle der Produktion entfaltet hat. Allen Rückertschen Gedichten eigentümlich sind der Gedankenreichtum und die unvergleichliche Sprachgewalt, und diese beiden Eigenschaften in ihrer Vereinigung erklären die große Fruchtbarkeit Rückerts. Aber auch in dem reinen Lied, in der poetischen Erzählung, in den Formen des Sonetts, der Terzine, Oktave etc. hat R. einen großen Stimmungs- und Formenreichtum zutage gelegt. Zwar ist nicht zu leugnen, daß uns unter der fast unübersehbaren Menge seiner kleinern und größern Gedichte vieles begegnet, dem höhere Bedeutung mangelt. Seine Sprachvirtuosität, z. B. in den Nachbildungen der Haririschen Makamen an wortbildender, wortfindender und wortzwingender Geschicklichkeit Unglaubliches verwirklicht, verführte den Dichter nicht selten zu Künsteleien, die staunenerregend, aber nicht eigentlich poetisch wirken, und anderseits trifft man häufig bei R. auf gnomische Gedichte, die nicht viel mehr als in Verse gebrachte geistreiche Pointen heißen können. Rückerts höchste Meisterschaft besteht darin, daß er dem scheinbar Unbedeutendsten eine poetische Bedeutung abzugewinnen verstand, wie sich das besonders in seinen »Haus- und Jahresliedern« bekundet; aber auch das Großartige und Tiefsinnige war dem Dichter mit Künstleraugen zu ergründen und mit Prophetenmund zu verkünden verliehen. Rückerts »Gesammelte Gedichte« erschienen Erlangen 1834–1838, 6 Bde.; Frankf. a. M. 1843, 3 Bde.; eine Auswahl das. 1841 (24. Aufl. 1897). Eine Gesamtausgabe seiner »Poetischen Werke« umfaßt 12 Bde. (Frankfurt 1867–69 u. 1881), eine neue Ausgabe der Werke, besorgt von L. Laistner, erschien in Stuttgart 1896, 6 Bde., eine andre, von Beyer, in M. Hesses Klassikern (Leipz. 1897, 6 Bde.); eine kritisch erläuterte Auswahl in 2 Bänden besorgte G. Ellinger (in »Meyers Klassiker-Ausgaben«, Leipz. 1897). Nach dem Tode des Dichters erschienen aus seinem Nachlaß: »Lieder und Sprüche« (Frankf. 1866); »Aus Friedrich Rückerts Nachlaß« (hrsg. von Heinrich Rückert, Leipz. 1867, Übersetzungen von 20 Idyllen des Theokrit, von Aristophanes' »Vögeln« und der »Sakuntala« des Kalidasa enthaltend); »Kindertotenlieder« (Frankf. 1872; neue Ausgabe u. d. T.: »Leid und Lied«, das. 1881); die Übersetzung von Saadis »Bostan« (hrsg. von Pertsch, Leipz. 1882), »Aus Saadis Diwan« (Berl. 1893) und von Saadis »Politischen Gedichten« (hrsg. von Bayer, das. 1893); Teile einer Übersetzung des Korans (hrsg. von A. Müller, Frankf. 1888) und von Firdosis »Königsbuch« (hrsg. von Bayer, Berl. 1890–95, 3 Bde.) und »Poetisches Tagebuch, 1850 bis 1866« (Frankf. 1888). Die zuerst in den »Wiener Jahrbüchern der Literatur« (1827–28) veröffentlichten philologischen Abhandlungen wurden von Pertsch u. d. T.: »Grammatik, Poetik und Rhetorik der Perser« (Gotha 1874) neu herausgegeben. Vgl. Fortlage, Friedr. R. und seine Werke (Frankf. 1867); Beyer, Friedr. R. Ein biographisches Denkmal (das. 1868), Neue Mitteilungen über Friedrich R. (Leipz. 1873, 2 Bde.) und Nachgelassene Gedichte Rückerts und neue Beiträge zu dessen Leben und Schriften (Wien 1877); Boxberger, Rückert-Studien (Gotha 1878); Amelie Sohr, Heinrich Rückert (der Sohn des Dichters, dessen Biographie vieles auf den Vater Bezügliche enthält, Weim. 1880); G. Voigt, F. Rückerts Gedankenlyrik (3. Ausg., Annab. 1897).

2) Leopold Immanuel, prot. Theolog, geb. 1. Febr. 1797 in Großhennersdorf (Oberlausitz), gest. 9. April 1871 in Jena, ward 1819 Diakonus in seinem Geburtsort, 1825 Subrektor und 1840 Konrektor am Gymnasium in Zittau und folgte 1844 einem Ruf als Professor der Theologie nach Jena. Von seinen Schriften sind hervorzuheben: mehrfach ausgelegte Kommentare über die Briefe Pauli an die Römer, Galater, Epheser, Korinther; ferner »Theologie« (Leipz. 1851–52, 2 Bde.); »Das Abendmahl, sein Wesen und seine Geschichte in der alten Kirche« (das. 1856); »Ein Büchlein von der Kirche« (Jena 1857); »Der Rationalismus« (das. 1859); »Kleine Aufsätze für christliche Belehrung und Erbauung« (Berl. 1861).

3) Heinrich, deutscher Geschichtschreiber und Germanist, Sohn von R. 1), geb. 14. Febr. 1823 in Koburg, gest. 11. Sept. 1875 in Breslau, studierte Philologie, habilitierte sich 1845 in Jena für Geschichte und deutsche Altertumskunde und ward 1852 Professor in Breslau. Er schrieb: »Annalen der deutschen Geschichte« (Leipz. 1850, 3 Bde.; 2. Aufl. als »Deutsche Geschichte« 1861, und ergänzt 1873); »Geschichte des Mittelalters« (Stuttg. 1853); »Geschichte der Neuzeit« (das. 1854); »Allgemeine Weltgeschichte« (mit Flegler, das. 1861); »Lehrbuch der Weltgeschichte in organischer Darstellung« (Leipz. 1857, 2 Tle.); »Kulturgeschichte des deutschen Volkes in der Zeit des Übergangs aus dem Heidentum in das Christentum« (das. 1853–54, 2 Bde.). Ferner gab er Werke der ältern deutschen Literatur heraus, so: »Leben des heil. Ludwig, Landgrafen von Thüringen« (Leipz. 1851), »Der welsche Gast des Thomasin von Zirclaria« (Quedlinb. 1852), »Marienleben des Bruders Philipp vom Kartäuserorden« (das. 1853), »Lohengrin« (das. 1858), »König Rother« (Leipz. 1874), »Heliand« (das. 1876) und schrieb »Geschichte der neuhochdeutschen Schriftsprache« (das. 1875, 2 Bde.). Aus seinem Nachlaß erschien: »Entwurf einer systematischen Darstellung der schlesischen Mundart im Mittelalter« (hrsg. von Pietsch, Paderb. 1878). Seine kleinern Schriften gab Alex. Reifferscheid heraus (Weim. 1877, 2 Bde.). Vgl. Amelie Sohr, Heinrich R. in seinem Leben und Wirken (Weim. 1880).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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