Pythagŏras

Pythagŏras

Pythagŏras, 1) griech. Philosoph, angeblich der erste, der sich Philosoph, d. h. Freund der Weisheit, und nicht einen Weisen nannte, soll der Sohn des Mnesarchos gewesen und etwa um 582 v. Chr. in Samos geboren sein; er starb nach 507. Seit 529 war der Schauplatz seiner Tätigkeit Kroton in Unteritalien, wo er eine religiös-politische Gesellschaft stiftete. Einige nennen ihn einen Schüler des Pherekydes und des Anaximander. Anteil an seinen Ideen und Bestrebungen hat vielleicht eine Reise nach Ägypten und der Verkehr mit den dortigen Priestern gehabt. Durch politische Verfolgungen von seiten der demokratischen Partei genötigt, soll er Kroton nach 20jähriger Wirksamkeit verlassen und mit Metapont vertauscht haben. Die Person des P. wurde sicher schon bei seinen Lebzeiten von seinen engern Schülern, dem Pythagoreerbund, und auch von weitern Kreisen höchst verehrt. Der Umstand, daß er selbst etwas gesagt (autos epha), diente auch noch in späterer Zeit als Beweismittel. Da er selbst nichts geschrieben hat, so sind wir für seine Lehre besonders auf die gelegentlichen Erwähnungen bei Platon und Aristoteles sowie einigen der nächsten Schriftsteller und etwa noch auf Philolaos angewiesen. Die spätere Zeit, vor allem der Neupythagoreismus und Neuplatonismus, haben die Persönlichkeit des P. sowie seinen Bund mit einem Sagenkreis umgeben, in dem sich die abenteuerlichsten Erdichtungen und Märchen vorfinden. Auf diese Weise ist P. zu einer mythischen Figur geworden, so daß Wahres von Erdichtetem sich nur schwer scheiden läßt. Auf P. kann man mit einiger Sicherheit die Lehre von der Seelenwanderung, das Allgemeine der mathematischen Zahlenphilosophie, die asketische Haltung der Moral des fast klösterlich zu nennenden Zusammenlebens von Mitgliedern des von ihm gestifteten (Pythagoreischen) Bundes, auch wohl noch die Entdeckung des folgenreichen Lehrsatzes über die Gleichheit der Summe der Kathetenquadrate und des Hypotenusenquadrats zurückführen; dem ältesten Pythagoreismus wenigstens gehören das Monochord und die Bestimmung der einfachen Zahlenverhältnisse, die rücksichtlich der Länge der Saiten für die Entstehung der Harmonie maßgebend sind, an. Die astronomischen Ideen der Pythagoreer waren ursprünglich sehr unvollkommen, aber doch allem Zeitgenössischen weit voraus, obgleich die von ihnen gelehrte Bewegung der Erde um das Zentralfeuer nicht mit der Bewegung um die Sonne zu verwechseln ist. Eine eigentümliche Erdichtung war die Gegenerde (Antichthon), durch welche die Zahl der Weltkörper auf die für heilig gehaltene Zehnzahl gebracht werden sollte. Weil sie zwischen die Erde und das Zentralfeuer träte, sei es uns nicht möglich, das letztere wahrzunehmen. Die Annahme einer Sphärenharmonie wurde auf die Abstände der Himmelskörper, »wie sie den Längenverhältnissen der Saiten bei harmonischen Tönen entsprechen«, gegründet und später phantastisch ausgeschmückt. P. allein sollte diese Harmonie haben wahrnehmen können. Als Kern der theoretischen Lehre des P. gilt der Satz, »daß das Wesen der Dinge Zahlen seien«. Aristoteles, der allerdings nur von der Lehre der Pythagoreer, nicht von der des P. spricht, berichtet den Ursprung der Zahlenlehre wahrscheinlich zutreffend (Metaphys. I, 5): die Pythagoreer wären die ersten gewesen, die sich mit der Mathematik eingehend beschäftigt hätten. Aus ihrer Bekanntschaft mit dieser Disziplin sei die Ansicht entstanden, die Prinzipien des Mathematischen seien auch die Prinzipien alles Seienden. Da ferner in dem Mathematischen die Zahlen das Erste seien, die Pythagoreer aber in diesen viel Ähnliches mit dem Seienden und Werden den gesehen hätten, mehr als in Feuer, Erde, Wasser, so sei ihnen die eine Zahl Gerechtigkeit, die andre Seele und Verstand etc. gewesen. Bei dieser Zahlentheorie der Pythagoreer ist das eine Wahre, daß auch die Quantitäten, nicht nur die Qualitäten eine Rolle bei der Konstituierung der Dinge spielen. Machten einmal Zahlen das Wesen der Dinge aus, so kamen die Pythagoreer leicht dazu, die Eigenschaften der erstern auch auf diese zu übertragen und z. B. darin, daß jede Zahl, mit Ausnahme der Eins (Monas), die selbst ungerade, und der Zwei (Dyas), die selbst gerade ist, aus einer ungeraden und einer geraden bestehend vorgestellt werden kann, eine Veranlassung zu finden, auch sedes beliebige Ding als bestehend aus zwei Elementen zu denken, deren eins (das Begrenzende, Form) dem Ungeraden, das andre (das Unbegrenzte, aber zu Begrenzende, Stoff) dem Geraden (in der Zahl) entsprechen sollte. Gewisse Zahlen: die Eins (Monas), die Zwei (Dyas), die Drei (Trias) als Summe der Monas und Dyas, die Vier als verdoppelte Dyas, vor allen aber die Zehnzahl (Tetraktys) als Summe der vier ersten Zahlen, die zugleich die Anzahl der Weltkörper war, genossen bei der Schule des P. besondere Verehrung, die im Verlauf zu willkürlicher Spielerei und mystischer Symbolik ausartete. Die Ethik der Pythagoreer war Asketik und hatte durch die Übung des Schweigens, das den Novizen des Bundes zur Pflicht gemacht wurde, sowie die Vorschriften über die Enthaltung von gewissen Speisen etwas Mönchisches. Von dem Verhältnis, das zwischen Seele und Leib stattfinden soll, hegten die Pythagoreer eine pessimistische und an uralte Religionsideen erinnernde Vorstellung. Sie nahmen an, daß die Seele durch den Leib beschränkt und gefesselt werde. Hiermit hängt ihre Lehre von der Metempsychose (Seelenwanderung) zusammen, die sie jedoch nicht erfunden, sondern aus dem Orient überkommen zu haben scheinen. Politisch vertrat P. die Aristokratie, seine Schüler sollen etwa ein Jahrhundert nach dem ersten Auftreten des P. in Kroton einer demokratischen Verfolgung in großer Anzahl zum Opfer gefallen sein. Es wird erzählt, daß eine zahlreiche Versammlung derselben in dem früher dem Athleten Milon zugehörigen Hause durch die Umzingelung und Anzündung des letztern vernichtet worden sei. Doch findet man auch noch später in andern Städten Spuren einer Herrschaft der Pythagoreischen Partei. P. selbst hat wohl als politisch-religiöser Sektenstifter, also auf dem praktischen Gebiet, größere Bedeutung gehabt als auf dem der Forschung und Philosophie. Die Fragmente der Pythagoreer sind am vollständigsten gesammelt bei Mullach, Fragmenta philosophorum Graecorum, Bd. 1 u. 2 (Par. 1860–62). Vgl. Böckh, Philolaos' des Pythagoreers Lehren nebst den Bruchstücken seines Werkes (Berl. 1819); Ritter, Geschichte der Pythagoreischen Philosophie (Hamb. 1826); Röth, Geschichte unsrer abendländischen Philosophie, Bd. 2 (2. Aufl., Heidelb. 1862); Rothenbücher, Das System der Pythagoreer (Berl. 1867); Chaignet, Pythagore et la philosophie pythagorienne (2. Aufl., Par. 1875, 2 Bde.); Döring, Wandlungen in den pythagoreischen Lehren (im »Archiv für Geschichte der Philosophie«, Bd. 5, Berl. 1892); Bauer, Der ältere Pythagoreismus (Bern 1897).

2) Griech. Erzgießer aus Samos, angeblich Schüler des Klearchos in Rhegion, lebte um 470 v. Chr. und war ausgezeichnet durch die rhythmische Gliederung seiner zum Teil in schwierigen Stellungen aufgefaßten Statuen. Er bildete auch nach Plinius zuerst das feinere Detail des Körpers, wie Haare, Adern und Sehnen, sorgfältiger durch. Von ihm wird besonders ein Bronzebild des hinkenden Philoktet hochgepriesen, ferner ein Apoll im Drachenkampf, eine Gruppe der miteinander kämpfenden Brüder Eteokles und Polyneikes, eine Europa auf dem Stier. Die meisten seiner Werke sind jedoch Statuen von Siegern in den Wettspielen zu Delphi und Olympia gewesen.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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