Puppen- und Schattenspiele

Puppen- und Schattenspiele

Puppen- und Schattenspiele bilden wie im Altertum so auch bei vielen Völkern noch jetzt eine bevorzugte Volksbelustigung, die Puppenspiele namentlich im sogen. Kasperletheater Italiens und Süddeutschlands, dann aber namentlich bei allen mohammedanischen Nationen in der Türkei, in Tunis, Algerien, Marokko, wo die Abende des heiligen Monats hauptsächlich mit dieser Belustigung ausgefüllt werden, ferner in China und Japan, welche die Schattenspiele am meisten entwickelt haben, auch auf Java u. a. Bei den Puppenspielen bestehen die Akteurs aus beweglichen Puppen oder Marionetten (franz. Marionnettes, eigentlich Mariechen, im übertragenen Sinne Püppchen, ital. Marionette, Burattini, Fantocci), beweglichen, mit Gelenken versehenen Puppen, durch die vermittelst mechanischer Vorrichtungen, z. B. Fäden etc., menschliche Bewegungen nachgeahmt werden können. Man führt auf kleinen dazu erbauten Theatern Marionettenspiele auf, wo die Puppen lebendige Personen darstellen und dem Publikum unsichtbare Personen die Worte dazu sprechen. Können die Puppen verwandelt werden, so heißen sie Metamorphosen. Man hatte dergleichen Puppen schon bei den Griechen und Römern, und in China sind Darstellungen mit Marionetten eine Hauptbeschäftigung der Gaukler. Auch im Mittelalter waren die Marionetten beliebt, eine bildliche Darstellung findet sich im »Hortus deliciarum« der Herrad von Landsberg. Die wandernden Spielleute veranstalteten mitunter Aufführungen mit Marionetten; im spätern Mittelalter bedienten sie sich zu diesem Zweck eines transportabeln kleinen Gehäuses, das man in Deutschland als »Himmelreich« bezeichnete. Über den Inhalt dieser Aufführungen wissen wir nichts, vermutlich waren es vorwiegend kurze Szenen derbkomischen Inhalts. Nachdem die Haupt- und Staatsaktionen (s. d.) aus dem Repertoire der lebenden Schauspieler verdrängt waren, wurden sie mitunter mit Marionetten ausgeführt, besonders häufig geschah dies mit dem Spiel vom Doktor Faust. In Paris bestand eine Marionettenoper seit 1674. Im allgemeinen hat gegenwärtig das Marionettentheater den Charakter einer Volksbelustigung ohne eigentliche literarische Prätensionen, doch hat man in Paris in neuerer Zeit zu wiederholten Malen versucht, es auf eine höhere Stufe zu heben.

Das Schattenspiel ist eine dem Puppenspiel ähnliche unterhaltende Darstellung von Schattenbildern auf einer weißen, durchscheinenden Wand bei künstlichem Lichte. Dieses wird im einfachsten Falle durch Kerzen und Lampen, in andern Fällen durch Projektionsapparate (Laterna magica) hervorgebracht. Die Puppen sind aus Pappe oder Leder geschnitten und werfen entweder nur die Umrisse der Figuren auf den Schirm oder aber auch, infolge Aussparens bestimmter Stellen, Gesichtszüge, Kleiderfalten etc. Auch hölzerne Puppen kommen vor (Java). Die Stoffe sind in der Regel der Volkssage entnommen, doch wird die eine Hauptrolle spielende komische Figur (Kasperle der Deutschen, Policinello der Italiener, der Karagös [s. d.] und der Nasr-Eddin-Hodja der Türken) dazu benutzt, die Volksseele zu Worte kommen zu lassen und starke politische Anspielungen, Mißstimmungen etc. zum Ausdruck zu bringen. Das »Buch« wird daher von dem »Direktor« sehr frei benutzt und vieles frei aus dem Stegreif hinzugefügt. Die mohammedanischen Aufführungen sind in der Regel stark erotisch, werden über dessenungeachtet vor den Leuten, die im Ramadan eben aus der Moschee kommen und ihre Kinder mitbringen, anstandslos ausgeführt. Einer besonders seinen Ausbildung erfreut sich das Schattenspiel auf Java. Es führt dort den Namen Wajang, doch begreift dieser Name auch Vorführungen in sich, bei denen nicht die Schatten, sondern die Figuren selbst dem Publikum vorgeführt werden. Auch die Vorführungen mit den Topengmasken heißen Wajang, und selbst das Auftreten unmaskierter oder auf Papierrollen gemalter Personen wird mit diesem Namen bezeichnet. Zweck aller dieser Spiele ist die Unterhaltung der Zuschauer durch die Vorführung denkwürdiger Szenen aus der Vergangenheit. Heldensage, Mythen und Legenden, die mit der Weltschöpfung beginnen, Szenen aus dem großen indischen Epos Mahâbhârata (s. d.) und dem Sagenkreis der Râmâjana sind dabei Gegenstand des Wajang Purwa, Episoden aus der javanischen Geschichte selbst der des Wajang Gedog. Beide Arten sind wirkliche Schattenspiele, bei denen der Spieler (Dalang) hinter einem erleuchteten Schirm sitzt und unter Orchester- (Gamelang-) Begleitung die einzelnen Figuren redend und kämpfend vorführt. Die Figuren sind aus seinem Büffelleder gefertigt. Nicht mehr die Schatten, sondern die Puppen selbst werden vorgeführt bei dem Wajang Kelîtik oder Kerutjil und dem Wajang Golek. Jener hat hölzerne Puppen von 1 cm Stärke, dieser aus dem Vollen geschnitzte runde, bekleidete Personen. Beide Wajangs führen Episoden aus der Geschichte der javanischen Reiche Padjadjaran und Madjapahit (9.–15. Jahrh.) vor. Zu den geschnitzten Puppen- und Schattenspielen gehören zahlreiche (bis 120) Figuren. Gespielt wird bei allen Gelegenheiten, bei Hochzeiten, Beschneidung, Zahnfeilung etc., wobei es für den Hausherrn zum guten Ton gehört, einen Dalang zu dingen. Dessen Beruf vererbt sich vom Vater auf den Sohn. Die Figuren stehen beim Spiel auf einem Reck aus weichem Holz; bewegt werden ihre Arme mittels der an ihnen angebrachten Holzstäbchen. Vgl. Pischel, Die Heimat der Puppenspiele (Halle 1900); Magnin, Histoire des marionettesen Europe (2. Aufl., Par. 1862); Lemercier de Neuville, Histoire anecdotique des marionettes modernes (das. 1892) und Les Pupazzi noirs, ombres animées (das. 1896); Maindron, Marionettes et guignols (das. 1901); Champfleury, Le musée secret de la caricature (das. 1888); A. France, La vie littéraire, Bd. 3 (das. 1891); Rehm, Das Buch der Marionetten (Berl. 1905). Sammlungen deutscher Marionettenspiele: Mahlmann, Marionettentheater (Leipz. 1806); Engel, Deutsche Puppenkomödien (Oldenb. 1874–92, 12 Tle.); Kra Kralik u. Winter, Deutsche Puppenspiele (Wien 1885); Kollmann, Deutsche Puppenspiele (nur Heft 1, Leipz. 1891). Vgl. ferner Jacob, Türkische Literaturgeschichte in Einzeldarstellungen, Heft 1: Das türkische Schattentheater (Berl. 1900); v. Luschan, Das türkische Schattenspiel (im »Internationalen Archiv für Ethnographie«, Bd. 2, Leid. 1889); Kunos, Türkisches Puppentheater (in »Ethnologische Mitteilungen aus Ungarn«, Bd. 2, Budap. 1892); Littmann, Arabische Schattenspiele (Berl. 1901); F. Hirth, Das Schattenspiel der Chinesen (Budap. 1900), Viele javanische Spieltexte haben Ch. de Mechelen, Kern, Humme u. a. in niederländischer Übersetzung teils in den Verhandlungen der wissenschaftlichen Gesellschaft von Batavia, teils für sich veröffentlicht; vgl. Serrurier, De Wajang Poerwa (Leid. 1896, auch in abgekürzter Ausgabe); Juynboll, Wajang Kelitik oder Kerutijil (im »Internationalen Archiv für Ethnographie«, Bd. 13, das. 1900). Bibliographie: Jacob, Erwähnungen des Schattentheaters in der Weltliteratur (3. Aufl. Berl. 1906).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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