Pflanzenzüchtung

Pflanzenzüchtung

Pflanzenzüchtung, die Züchtung solcher Sorten oder Rassen von Kulturpflanzen, die größere Erträge und qualitätsvollere Produkte von der Flächeneinheit bieten oder sich gegen die ungünstige Einwirkung von Frost, Winterkälte, Parasiten etc. widerstandsfähiger erweisen. Vererbungsfähigkeit und Variabilität werden bei der P. dadurch nutzbar gemacht, daß man nur die vollkommensten oder die zweckentsprechend abgeänderten Pflanzenindividuen zur Zucht auswählt (Auswahl, Auslese, Selektion), während alle geringwertigern, unveränderten oder unpassend abgeänderten von der Fortzucht ausgeschlossen werden. Die Fortzucht der ausgewählten (Elite-) Individuen erfolgt durch (ungeschlechtliche, vegetative) Vermehrung (Propagation), welche die sichere Vererbung der bestehenden morphologischen und physiologischen Eigenschaften ermöglicht, oder durch geschlechtliche Fortpflanzung, welche die Veredelung oder die Bildung neuer wertvoller Eigenschaften herbeizuführen vermag.

Die Ursache der Bildung neuer Pflanzensorten oder Rassen ist bedingt durch den Einfluß der vorliegenden Wachstumsverhältnisse oder durch Einflüsse, die in der Pflanze selbst liegen, wie sie sich bei der Vermischung (Kreuzung) verschiedener Pflanzenformen oder durch die Wechselbeziehung (Korrelation) der verschiedenen Pflanzenorgane zueinander ergeben. Je nach dieser verschiedenen Art der Entstehung sind die Standortsmodifikationen von den Sortenmodifikationen zu unterscheiden. Die Standortsmodifikationen (Ernährungsformen, Mastformen, Blender) erhalten sich nur unter solchen Verhältnissen, die einigermaßen mit jenen übereinstimmen, die zu ihrer Entstehung die Veranlassung gegeben haben, da sie keine Samenbeständigkeit besitzen und sich daher nicht vererben können. Die Sortenmodifikationen, die ihre Entstehung innern Vorgängen verdanken, die sich bei der Kreuzung geltend machen, sind dagegen vererbbar und liefern allein neue Pflanzenrassen, die auch unter andern Wachstumsverhältnissen ihre veränderten Eigenschaften beibehalten.

Hat durch Einwirkung des Standortes oder der Zucht eine Form und damit auch die Leistung der Einzelpflanze Veränderung erfahren, so werden bei der Wechselbeziehung der einzelnen Pflanzenorgane zueinander auch alle übrigen Formen und Leistungen der Pflanze im gleichen (positive Korrelation) oder zumeist gerade im entgegengesetzten Sinne (negative Korrelation) abgeändert werden. Die Folge dieser korrelativen Variabilität ist die Unvereinbarkeit (Inkompatibilität) aller Vorzüge in einer Sorte.

Nach KrafftAckerbaulehre«, 8. Aufl., Berl. 1906) wird die P. ausgeführt durch: 1) unabsichtliche oder empirische Zuchtwahl (Verwendung des durch Sortieren erhaltenen besten Saatgutes, Benutzung des Tennenausfalles, Vorschlages; Auswahl des Saatgutes auf dem Halme), 2) absichtliche oder methodische Zuchtwahl (Reinzucht von Pflanzenindividuen). Bei ersterer ergeben sich zumeist, wenn noch dazu Massenvermehrung unter den passendsten Wachstumsverhältnissen erfolgt, unbeständige Standortsmodifikationen, bei letzterer, die Einzelindividuen mit der Absicht aussucht, hervorragende Eigenschaften auf die Nachkommen als Rassenmerkmale zu vererben, beständige Sortenmodifikationen. Dabei darf nicht übersehen werden, daß die aus den wildwachsenden Pflanzen entstandenen Kulturpflanzen durch oft jahrhundertelange empirische Zuchtwahl leistungsfähige natürliche oder Landrassen liefern, die in ihren Nutzungseigenschaften viel unveränderlicher (konstanter) sind als die aus diesem oder anderm Material durch methodische Zuchtwahl in viel kürzerer Zeit weiterentwickelten künstlichen oder Kultur- (Züchtungs-) Rassen, die leicht durch Rückschläge oder neu auftretende Änderungen (spontane Variation) ihre Eigentümlichkeiten verlieren oder abändern. Die Verwendung von Originalsaatgut (Land- oder Züchtungsrassen) wird als (1., 2., 3. etc.) Nachbau, die Weiterveredelung von Originalsaatgut dagegen als Nach zucht, meist unter Vorsetzung des Züchternamens vor den Namen der meist mit dem Ortsnamen versehenen Originalforte, bezeichnet. Bei der methodischen Zuchtwahl werden die bei einer Pflanzenrasse vorhandenen nutzbaren Eigenschaften durch Ausscheidung des Unpassenden und Verwendung des Passenden zur Fortzucht ohne Änderung des Rassetypus in der Nachkommenschaft zu verbessern gesucht (Veredelungszüchtung), oder durch spontane Variation oder durch künstliche Kreuzung entstandene neue Formen zur Fortpflanzung verwendet, um neue Rassen hervorzubringen (Neuzüchtung).

Bei der Durchführung der Veredelungszucht wird zunächst aus einem ganzen Bestande das Saatgut (1. Auswahl, 1. Auslese, Elite) ausgewählt von der zweckentsprechendsten Mutterpflanze, oder mit zunehmender Einschränkung von dem besten (typischen) Fruchtstand, oder vom besten Fruchtstande der zweckentsprechendsten Pflanze der beste Samen (verschärfte Auslese). Von den ausgewählten Elitekörnern (Knollen, Wurzeln) werden entweder mehrere (1. Massenauslesezucht) oder nur eins (Individualauslesezüchtung) ausgesät, zum Schutze gegen Fremdbestäubung räumlich isoliert oder unter Glaskasten gehalten und die Selektion jedes Jahr gleichsinnig fortgeführt. Bei der Individualauslesezüchtung folgt der aus der 1. Auslese hervorgehenden 1. Generation in den weitern Generationen Massenauslese (2. gewöhnliche Stammbaumzucht), oder es werden bei der 1. Auslese mehrere Einzelkörner verwendet, deren weitere Generationen getrennt gehalten werden (3. Familienzucht), oder es werden jährlich in allen Generationen stets nur das beste Korn des besten Fruchtstandes weiter vermehrt (4. reine Stammbaumzucht, Pedigreezucht), wodurch aber zunehmend die Beständigkeit gegen Klima und Boden verringert wird. Die 1. Auslese wird in einem kleinen Zuchtgarten, die 1. Generation in etwas größerm Vermehrungsgarten und das Originalsaatgut (bei Körnerfrüchten 2., meist 3., seltener 4. Nachbau der Elite) für die eigne Wirtschaft und den Verkauf auf einem noch größern Saatgutfeld ausgesät. Um nicht Standortsmodifikationen zu erhalten, sind überdies die ausgewählten Sorten nicht garten-, sondern feldmäßig (ohne frische Düngung und Standortsvergrößerung) zu pflegen und, zur Vermeidung von minder entsprechenden Randpflanzen, der Zuchtgarten innerhalb eines geschlossenen Bestandes anzulegen.

Die Neuzüchtung durch Auswahl spontaner Variationen erfolgt durch Massenauslesezüchtung (van Neergaard, Nilsson etc.) oder Individualauslesezüchtung (Patrik Shireffs Zuchten etc.). Die Neuzüchtung mit Hilfe der künstlichen Kreuzung (Bastardierung) sucht Variabilität zur Hervorrufung erblicher Eigenschaften herbeizuführen oder die Vorzüge der zur künstlichen Vermehrung benutzten Individuen in der Nachzucht möglichst zu vereinigen. Hierbei ist Nachkommenschaft um so sicherer und reichlicher zu erwarten, je näher sich die Pflanzenformen stehen, daher bei Pflanzenmischlingen, die bei künstlicher Paarung innerhalb derselben Rasse entstehen, wahrscheinlicher als bei Bastarden aus der Paarung verschiedener Pflanzenarten. Für die Gestaltung und Vererbung der Mischlinge gelten die Hybridgesetze von Gregor Mendel, nach denen in der ersten Generation die Nachkommen, in jenem Falle die Blendlinge (Hybriden) und in diesem die Bastarde, große Gleichförmigkeit zeigen, auf die jedoch in den weitern Generationen meist zahlreiche Rückschläge nach beiden Eltern und die mannigfaltigsten Übergangsformen erscheinen. Die künstliche Übertragung des Blütenstaubes der Pflanze A auf die Narbe der Pflanze B ist oft ohne Erfolg, dagegen umgekehrt von Erfolg (Wechselkreuzung).

Bei der technischen Ausführung der künstlichen Befruchtung ist auf die natürliche Art der Bestäubung (Selbst- oder Fremdbestäubung der Blüte) Rücksicht zu nehmen. Von den als männlich ausgewählten Pflanzen wird der reife Pollenstaub durch Ausschütteln oder Herabfallen der in Wasser gestellten Blüten auf schwarzes Papier erhalten. Von den als weiblich ausgewählten werden der Sicherheit wegen sogar bei selbststerilen Sorten aus den Blüten die noch unreifen Staubbeutel mit den Staubfäden sorgfältig mit einer Pinzette oder spitzen Schere beseitigt und allsogleich, sowie nach 1–2 Tagen nochmals, der Pollen der zweiten Sorte durch Eintauchen der Blüten oder Aufstreichen mittels eines Pinsels oder auch durch Überstreichen mit einem in voller Blüte befindlichen Fruchtstand auf die vollentwickelte Narbe übertragen. Die künstlich befruchteten Blüten sind weiterhin in mit Baumwolle verschlossene Eprouvetten, Glas- oder Zelluloidballons, zu geben oder durch Pergamentpapierdüten, Gazehüllen gegen Fremdbestäubung zu schützen. Die entstehenden Samen werden im Mistbeet oder auf mit Wasser gefüllten Glasschalen keimen gelassen, auf freiem Feld oder am besten für weibliche Pflanzen im Zuchtgarten oder in Töpfen auf entsprechende Entfernung ausgepflanzt und die Pflanzen sorgfältig gepflegt. Während des Sommers ist eine genaue Auswahl der Pflanzenindividuen nach dem Verhalten während der Vegetation (Blatt-, Stengelfärbung, Üppigkeit, Höhe, Zeit des Blühens etc.) und nach der Ernte der Körner, bei Kartoffeln und Rüben der Knollen und Wurzeln (Form, Haut-, Fleischfarbe, Sitz der Augen, Stärke-, Zuckergehalt etc.) vorzunehmen und das Ergebnis für die ausgewählten Individuen, die zur Fortzucht bestimmt werden, in ein Zuchtregister einzutragen. Bei Kartoffeln, Rüben, Hopfen werden übrigens bestimmte Eigenschaften am sichersten vererbt durch ungeschlechtliche oder vegetative Vermehrung mit Ablegern, Pfropf- oder sonstigen Teilstücken; eine Verbesserung, ebensowohl aber auch eine Verschlechterung ist dabei ausgeschlossen, weil neue Varietäten nur auf geschlechtlichem Weg entstehen können. Vgl. Fruwirth, Züchtung der landwirtschaftlichen Kulturpflanzen (Bd. 1 in 2. Aufl., Berl. 1905; Bd. 2 u. 3,1904–06) und Wie kann sich der Landwirt P., Sortenversuche und Saatgutbau zunutze machen? (das. 1906); Rümker, Anleitung zur Getreidezüchtung (2. Aufl., das. 1903); Schindler, Die Lehre vom Pflanzenbau, 1. Teil (Wien 1896).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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