Pfahlbauten

Pfahlbauten

Pfahlbauten (hierzu die Tafeln »Pfahlbauten I u. II«), menschliche Ansiedelungen, die in Seen oder Sümpfe, seltener in Flüsse hineingebaut sind und in der Regel auf Pfählen ruhen. Solche P. sind weder an bestimmte Völker noch an bestimmte Zeiten gebunden: in der Schweiz und im übrigen Alpengebiet gehören sie der Stein- und der Bronzezeit an; Herodot spricht von ihnen im 5. Jahrh. v. Chr., die Reliefs von Deïr el Bahri in Oberägypten stammen aus dem 15. Jahrh. v. Chr.; in Syrien haben sie im 12. Jahrh. n. Chr. als Wohnung gedient; eine große Zahl von Naturvölkern schließlich wohnt heute noch in P. Am ausgedehntesten ist das der Fall innerhalb des Verbreitungsbezirks der Malaien, für die der Pfahlbau geradezu charakteristisch ist. Ein Rundblick über die Erde ergibt für die Gegenwart und die jüngere Vergangenheit folgende Verbreitung von P. In Amerika fand Hojeda 1499 P. an der Nordküste von Südamerika; nach ihnen wurde der ganze Küstenstrich, nach Analogie des ebenfalls auf Pfählen erbauten Venedigs, Venezuela genannt. An der Bucht von Maracaibo sind P. noch heute zu finden; ebenso anscheinend noch an vielen andern Punkten der Nordküste (Goajirohalbinsel, Guayana, Wastischiana im Innern). Wirkliche P. finden sich dann, neben den zum Schutz gegen den Pampashafen auf Pfählen errichteten Kornmagazinen der Pampas, am La Plata, wo z. B. das Dorf Boca del Riachuelo bei Buenos Aires ganz auf Pfählen steht. In Mittelamerika werden P. aus dem Mosquitoterritorium erwähnt; außerdem stand die alte Stadt Mexiko zum Teil auf Pfählen, zum Teil auf schwimmenden Inseln. Die oft als P. angesprochenen Häuser der Nordwestamerikaner stehen nicht eigentlich auf Pfählen, sondern haben nach der Wasserseite zu lediglich eine Art Terrasse, welche die dicht am Strande stehenden Gebäude zur Zeit der Flut vor dem Eindringen des Wassers schützt. In Afrika gibt es größere Pfahlbaugebiete fast gar nicht; derartige Bauten treten vielmehr in den verschiedensten Gebieten meist vereinzelt auf. Ziemlich allgemein verbreitet ist nur das auf Pfählen stehende Vorratshäuschen; die Bauart soll die Vorräte vor den Zähnen tierischer Feinde (Termiten, Ratten etc.), aber auch, durch Anbringung in Wald und Gestrüpp, vor den Blicken menschlicher Gegner schützen. Als Wohnung dienende P. sind in Afrika über folgende Gebiete verbreitet: am Lulongo, wo v. François sie fand; am Moryasee im Gebiete des obern Lualaba, wo die Hütten auf schwimmenden Inseln stehen; am obern Schire bei den Mangandja, wo Livingstone die leichten Hütten direkt auf die dichten Papyrusmassen gestellt fand; am Nordende des Nyassa (nach Giraud); am Rovuma im südlichen Deutsch-Ostafrika; im sumpfigen Flußtal des Mlagarassi im westlichen Unyamwesi. In der Nordhälfte des Erdteils sind P. nachgewiesen worden: in Kiboscho am Kilimandscharo (Schaurihaus); bei den Agahr, Lehssi und andern Völkern am Weißen Nil (Bongo, Niam-Niam); an einzelnen Stellen im Binuë, am untern Kongo und im Tsadsee; auf Madagaskar endlich bei manchen Sakalavenstämmen. An welcher Stelle Afrikas die von der Expedition der ägyptischen Königin Hatschepsut (Anfang des 15. Jahrh. v. Chr.) beobachteten, im Tempel von Deïr el Bahri verewigten P. zu suchen sind, steht noch dahin.

In Asien lassen sich zwei verschieden gerichtete Zonen von P. unterscheiden: eine große, vorwiegend westöstlich gerichtete, die sich von Kleinasien über Armenien, Syrien und Mesopotamien bis nach Ostindien und dem Indonesischen Archipel hinzieht, um erst weit im Osten des Stillen Ozeans zu enden. Die andre Zone steht rechtwinklig zur erstern; sie zieht sich von Hinterindien über das östliche Sibirien und Kamtschatka bis zur Nordostspitze Asiens und hat ihre fernsten schwachen Ausläufer erst im nordwestlichsten Amerika. Im einzelnen sind P. nachgewiesen worden: bei den Abchasen im westlichen Kaukasus, im Gygäischen See (jetzt Mermere-Ghöl) bei Sardes, am Orontes (nach Abulfeda), bei den Arabern in den Euphratmärschen, bei den Tadjiken am Amu Darja, in Indien in Kaschmir, im regenreichen Sikkim und Bhutan, in Assam und bei den Maga. Ungemein zahlreich sind P. dann in Hinterindien; am Irawadi sind selbst Tempel und Klöster auf Pfählen erbaut; in der Provinz Birma stehen derartige P. sogar auf dem Trocknen, ja auf Höhen. Bangkok ist eine auf Flößen schwimmende Stadt, das nahe Bathambong dagegen Pfahlbau. Endlich leben die Reisbauern am Menam und Mekhong auf Pfählen. Das malaiische Haus ist nicht überall in dem ungeheuern Verbreitungsgebiete dieser Rasse zum Pfahlbau geworden; dieser waltet indessen vor und hat sich zu den mannigfaltigsten Formen entwickelt, die in bestimmten, noch der genauern Untersuchung harrenden Provinzen auftreten. Sumatra hat deren mindestens vier: Atjeh, die Battaländer, die Padangschen Hochlande und den Süden der Insel. Dem Battatypus ist der von Nias verwandt. Eine selbständige Provinz bilden hingegen die Nikobaren; hier ist der Grundriß rund im Gegensatz zum rechteckigen malaiischen; außerdem tragen die Pfähle gleichzeitig Fußboden und Dach des Hauses. Jenes kann in beliebiger Höhe angebracht werden (Tafel I, Fig. 3, links). Erst in neuerer Zeit hat der Grundriß unter malaiischer Einwirkung rechteckige Gestalt angenommen (Fig. 3, rechts). Provinzen sehr einfacher malaiischer Bauart sind die Mentawai-Inseln, einzelne Teile Kambodschas und Nordborneos (Brunei); bei den Dajak dagegen lebt der ganze Stamm oder doch eine ganze Sippe gemeinsam in einem einzigen riesigen Bau, der bisweilen über 100 m lang und bis 15 m breit ist. Eine Veranda verbindet die Eingänge zu den einzelnen Familienwohnungen. Über Java hinaus ist der malaiische Pfahlbau bis nach Japan (über die Philippinen und Formosa) nach Nordosten, mit den Malaio-Polynesiern bis tief nach Ozeanien nach Osten gedrungen. Im japanischen Hause sind seine Spuren noch heute nachzuweisen; ebenfalls in dem der Karolinen. Der polynesische Pfahlbau (auf Tonga, Samoa, Neuseeland, den Markesas, Hawaï) ist dagegen sehr stark modifiziert, indem an Stelle der Pfähle meist ein steinerner Unterbau getreten ist. In der nordsüdlich gerichteten Pfahlbauzone Ostasiens ruhen die Bauten der Ostjaken nur auf Klötzen oder Steinen, alle übrigen P. dieser Region (bei den Giljaken, Aino, Korjaken, Kamtschadalen, Manegiren etc.) dagegen auf wirklichen Pfählen. Sie sind allesamt Sommerhäuser. Ob die Bauten der Nordwestamerikaner mit denen Nordostasiens genetisch zusammenhängen, ist eine noch offene Frage.

Ein Gebiet zum Teil selbständigen, zum Teil malaiisch beeinflußten Pfahlbaues ist schließlich Melanesien. Neuguinea ist überreich an ihnen an der Nordküste (Fig. 4) wie im Papuagolf; sie finden sich bei den Manus auf den Admiralitätsinseln, auf den Salomonen und den Fidschiinseln. Regel ist hier überall der Pfahlrost, auf den die Hütten oder Versammlungshäuser aufgesetzt sind.

P. sind also über alle Klimate verbreitet; einen einheitlichen Zweck darf man daher bei ihnen unter keinen Umständen suchen. Bemerkenswert ist jedoch der von Lehmann betonte Umstand, daß sie sich hauptsächlich in den Gebieten tropischer Niederschlagsmengen befinden, daß sie also, direkt oder indirekt, durch die Bodenfeuchtigkeit beeinflußt werden. Als wichtigste der verschiedenen Zwecke sind im übrigen nachgewiesen worden: Schutz vor Mensch und Tier, vor Überschwemmungen und Bodenfeuchtigkeit, vor Wanderdünen (Portugal), Insekten, Ungeziefer und Schmutz, Unabhängigkeit von den Unebenheiten des Bodens, Raumersparnis, bequemer Verkehr mit dem Wasser, angenehmer Aufenthalt über demselben, Übersehbarkeit der Nachbarschaft.

Eine Abart der P. sind die Baumhäuser, lustige Interimsbauten in den Kronen hoher, alleinstehender Bäume, die lediglich einem vorübergehenden Schutzbedürfnis entsprechen. Sie sind nachgewiesen worden in verschiedenen Teilen Vorderindiens (Kanikar), bei den Batta und Lubus im Malaiischen Archipel, auf Neuguinea, bei den Tadjik am obern Amu Darja, den Kummi in Hinterindien, auf den Fidschiinseln etc. Eine andre Abart sind endlich die schwimmenden Häuser, die in Hinterindien, im Malaiischen Archipel, vor allem aber im südlichen China recht häufig sind. Sie erleichtern einesteils den Wasserverkehr außerordentlich, sind aber im allgemeinen eine Folgeerscheinung der Übervölkerung.

In Europa liegt die Zeit der P. im allgemeinen weit zurück; gegenwärtig sind nur noch Venedig und Amsterdam allerdings großartige Vertreter dieser Bauart. Zwar hatte schon Herodot von den in Seedörfern wohnenden Päoniern berichtet, wirklich aufmerksam wurde man jedoch erst 1853, als Ausgrabungen im Züricher See eine Schicht ergaben, die in bestimmter Anordnung in den Seeboden eingerammte Pfähle und dazwischenliegende Geräte aus Stein, Knochen und Hirschhorn enthielt. 1866 waren bereits 200 solcher vorgeschichtlicher Seedörfer (Stationen) aufgedeckt; heute kennt man allein im Alpengebiet deren 284. Die größte Zahl derselben (160) liegt in der Schweiz (51 im Neuenburger See, 27 im Genfer See, 20 im Bieler See, 18 im See Morat); dann folgen Deutschland, Italien, Frankreich, Österreich. Der Bodensee mit allen seinen Verlängerungen zählt 51 Stationen, der Genfer See mit Einschluß der französischen 44. Die Pfahlbauregion befindet sich rings um die eigentliche Alpenkette in den Vorbergen oder den Randebenen, nicht im Innern des Gebirges. Am westlichsten liegen die Seen von Bourget und Clairvaux, am nördlichsten der Federsee und der Starnberger See, am östlichsten das Laibacher Moor, am südlichsten das Torfmoor von Lagozza. Die Untersuchungen von Keller, Messikomer, Forel Vater und Sohn, A. Colomb, Desor, Troyon, Schwab, V. Groß u.a. haben über die Kultur der Pfahlbauern Licht verbreitet; Rütimeyer hat die Fauna, O. Heer die Flora, deren Reste im Schlamm an der Stelle der Ansiedelungen angetroffen werden, erforscht. Die Ausdehnung der Seedörfer war zum Teil ganz beträchtlich; der Pfahlrost der Station Morges bedeckte eine Fläche von 40,000 qm (400 m lang, 100 m breit). Im Robenhausener Pfahl bau fand man mehr als 100,000 Pfähle, und die im Neuenburger See aufgedeckten Ansiedelungen boten Raum für eine Bevölkerung von 5000 Seelen.

Je nach der Konstruktion unterscheidet man 1) P. im engern Sinne, bei denen das Verdeck einfach auf in den Seeboden eingetriebenen Pfählen ruhte (Fig. 1 u. 2), und 2) Packwerkbauten, bei denen der Raum zwischen den Pfählen durch Erde, Steine und Knüttel ausgefüllt wurde. In der östlichen Schweiz und in Oberösterreich erreicht die Periode der P. mit dem ersten Erscheinen von Metall ein plötzliches Ende; in der westlichen Schweiz geht sie hingegen durch das ganze Bronzealter bis in die Eisenzeit hinein. Die steinzeitlichen P. der Westschweiz sind zahlreicher, aber kleiner als die der Bronzezeit; sie liegen näher am Ufer als diese, die oft 200–300 m von demselben entfernt in tieferm Wasser angelegt sind. Die Pfähle der steinzeitlichen P. bestehen aus ganzen, diejenigen der bronzezeitlichen P. meist aus gespaltenen Stämmen. Der Feuerstein, der in Nordeuropa die jungsteinzeitliche Kultur beherrscht, tritt in den steinzeitlichen P. der Alpenländer insofern etwas zurück, als die Geräte und Waffen nicht selten aus Diorit, Gabbro, Saussurit u. dgl., die meistens als Geröllsteine zur Verfügung standen, hergestellt sind. Die in den P. aufgefundenen Geräte aus Nephrit und Jadeit haben zu lebhaften Diskussionen bezüglich der Herkunft des Materials geführt. In einzelnen Stationen (Mörigen, Corcelettes) wurden neben Bronzewaffen und -Geräten Schmucksachen aus Bronze aufgefunden, die mit Eisen ausgelegt sind; Waffen oder Geräte aus Eisen selbst kennt man bis jetzt aus P. noch nicht; nur die Fundobjekte der Station Sipplingen am Bodensee zeigen, daß sie bis zur Römerzeit bewohnt war. Die steinzeitlichen P. wie diejenigen der Bronzezeit waren durch hölzerne Stege mit dem Gestade verbunden. Die auf den Plattformen aus Holz und Lehm errichteten Hütten waren von einfachster Bauart. Eine unweit Schussenried (Oberschwaben) ausgegrabene Hütte eines steinzeitlichen Pfahlbaues ist 10 m lang,7 m breit und enthält zwei Räume, von denen der eine durch den aus Steinen gebildeten Herd sich als Küche zu erkennen gibt. Die Bewohner der P. betrieben Ackerbau und Viehzucht, lagen aber auch (die ältern in überwiegendem Maß) der Jagd ob. Unter den Knochen des Wildes fanden sich am häufigsten solche vom Hirsch neben Reh-, Dachs-, Biber-, Igel- und vereinzelten Bären-, Wolfs-, Wisent- und Elenknochen. Das Schaf der P. ähnelt dem heutigen Gebirgsschaf. Neben Knochen des Hausschweins und des Wildschweins fanden sich Reste des Torfschweins (Sus palustris), das an das in Afrika lebende Senaarschwein (Sus sennariensis) erinnert. Durch die Züchtung am Schädel des Torfschweins hervorgerufene Veränderungen deuten darauf hin, daß zwischen der Gründung der ältern und jüngern Ansiedelungen ein beträchtlicher Zeitraum verstrichen sein muß. Das Rind ist durch den Urstier (Bos primigenius) und den Wisent (Bos bison) sowie durch vier zahme Varietäten: die Primigeniusrasse, die Trochokerosrasse, die Frontosusrasse und die Longifrons- (Brachykeros-) raffe, vertreten. Die spärlich aufgefundenen Pferdeknochen gehören dem Pferde der Jetztzeit (Equus caballus) an. Ob dasselbe zur Zeit der steinzeitlichen P. bereits gezähmt war, ist ungewiß; in den bronzezeitlichen P. wurde es zum Reiten, vielleicht auch zum Ziehen benutzt. Unter den pflanzlichen Überresten der P. befinden sich drei Weizensorten, darunter eine mit dem Mumienweizen der ägyptischen Königsgräber (Triticum turgidum) genau übereinstimmende; mehrere Hirse- und Gerstearten, unter letztern die dichte sechszeilige Gerste (Hordeum hexastichon). Roggen und Hafer fehlen in den steinzeitlichen P. gänzlich. Man hat Gebäck aus zerriebenen Weizen- und Hirsekörnern gefunden, außerdem zerlegte und getrocknete Äpfel, Steine von Süßkirschen und Ahlkirschen, Reste der Schlehe, Himbeer- und Brombeerkerne, Haselnuß- und Bucheckernschalen, Stämme der wilden Pflaume etc. Auch sind Pastinake, Möhre, Erbse und Linse nachgewiesen. Flachs diente zur Herstellung grober Gewebe (Tafel II, Fig. 22, 23 u. 23 a) und Fischnetze. Das Vorkommen der Silene cretica, eines heutzutage in der Schweiz nicht mehr wachsenden südeuropäischen Unkrauts, deutet auf Handelsverbindungen mit dem Süden unsers Erdteils.

Von Steingeräten der neolithischen P. sind besonders hervorzuheben Reib-, Mahl- und Schabsteine, mit der Hand leicht zu umfassende Kiesel, die als Hämmer Verwendung fanden, in Hülsen von Birkenrinde reihenförmig eingelagerte kleine Steine, die als Netzbeschwerer dienten, steinerne Gewichte zum Beschweren des Fadens beim Spinnen, Hämmer, Axthämmer, Steinmeißel aus den obengenannten Gesteinsarten (Fig. 4, 11 u. 12), Pfeil- und Lanzenspitzen aus Feuerstein (Fig. 13 u. 14) u. dgl. Hirschhorn diente zur Herstellung der Griffe von Messern, Meißeln und Sägen (Fig. 5, 8, 10 u. 19), zum Fassen der Klingen von Äxten, Axthämmern, Hacken (Fig. 1, 3, 6 u. 9), wobei der Knochenteil dann seinerseits in den Holzschaft eingefügt wurde; schließlich zur Herstellung von Schlägeln (Fig. 2), Angelhaken, Harpunen, Bechern, Knöpfen, Kratzern (Fig. 28) etc. Ein aus Hirschgeweih hergestelltes, einer Spitzhaue ähnelndes Instrument (Fig. 8) diente bei den ersten Anfängen des Ackerbaues zur Auflockerung des Bodens. Zur Herstellung von Dolchen, Pfriemen, Nadeln (Fig. 7 u. 15), Lanzen- und Pfeilspitzen (Fig. 16) wurden vielfach spitzige und geschärfte Knochen verwendet. Ein Kamm aus zugespitzten Kuhrippen diente zum Hecheln des Flachses. Von hölzernen Geräten der steinzeitlichen P. haben sich erhalten: Spindeln zum Spinnen des Flachses, Bogen und Pfeile, aus Buchsbaumholz hergestellte Kämme (Fig. 50), ein zum Kann ausgehöhlter Baumstamm sowie ein Joch zum Anschirren von Zugochsen. Recht primitiv ist nach Material und Technik noch die Töpferei, wenigstens in den ältern P.; die Form ist einfach (Fig. 17, 18, 20 u. 21), das Material grob, mit vielen Steinchen untermischt, schlecht gebrannt, bröckelig. Um so sauberer ist die Arbeit dafür in den jüngern Stationen (Fig. 51–54).

In den P. der Bronzezeit tritt uns eine weit fortgeschrittene Kultur entgegen. Geräte aus Stein, Horn und Knochen werden in dem Maße, wie der Gebrauch der Bronze sich ausbreitet, immer seltener. Daß ein großer Teil der Bronzeobjekte in der Schweiz selbst hergestellt wurde, beweisen die aufgefundenen Gußformen (Fig. 32 u. 33). Die geschmackvolle Ornamentation der Bronzeschwerter (Fig. 45) sowie die durch Mannigfaltigkeit der Form und Schönheit der Verzierung sich auszeichnenden Bronzemesser, Beile und Dolche (Fig. 25, 30, 48, 38, 39 u. 44), die vielgestaltigen Sicheln mit ihren Holzgriffen (Fig. 42 u. 31), die Pfeilspitzen, Meißel (Fig. 46 u. 43), ferner die aus demselben Material hergestellten, schön verzierten Amulette (Fig. 24), Gürtel und Gürtelschnallen, Agraffen, Arm- und Halsbänder (Fig. 47 u. 49), die außerordentlich mannigfaltigen Schmuckgehänge (Fig. 26, 27 u. 35), die Kämme (Fig. 37) und Haarnadeln (Fig. 40 u. 41), endlich die kunstvoll gefertigten Bronzegefäße (Fig. 36), die Geräte (Fig. 34 u. 29) und Erzeugnisse einer hochentwickelten Webkunst. Alles dies rechtfertigt vollkommen den Namen »le bel âge du bronze« für diesen Abschnitt der helvetischen Prähistorie. Der Zeitpunkt der ersten Errichtung von P. in den Seen der Schweiz läßt sich auch nicht annähernd bestimmen. Die zwischen der Bronzekultur des Grabfeldes von Hallstatt (vgl. Metallzeit, S. 683) und derjenigen der jüngern P. bestehende Verwandtschaft gibt aber einen gewissen Anhaltspunkt für die Chronologie, so daß man das Ende der Bronzekultur der P. etwa in das 8.–10. Jahrh. v. Chr. verlegen könnte.

Über die Rassenzugehörigkeit der Pfahlbauern existieren erklärlicherweise nur Vermutungen. Virchow hat aus dem vorhandenen Material den Schluß gezogen, daß in der Steinzeit die Kurzköpfe, in der Bronzezeit die Langköpfe die andern an Zahl überragt hätten. Aus der Steinzeit sind in der Tat lediglich Kurzköpfe erhalten, soz. B. aus den Stationen Schafis, Auvernier, Mörigen, Meilen; neben ihnen erscheinen dann in der sogen. Kupferperiode auch Langköpfe (Vinelz, Wüscherz, Lattrigen, Chevroux, Corcelettes). Die kurzköpfige Varietät gehört anscheinend zu der neuerdings unter dem Namen Homo alpinus zusammengefaßten Rasse.

Auch in den Seen Oberösterreichs und Kärntens, im Laibacher Moor (Krain), im Neusiedler See Ungarns, ferner in den Seen und Torfmooren der schwäbisch-bayrischen Hochebene (Chiemsee, Schliersee, Barmsee, Ammersee, auf der Roseninsel im Starnberger See etc.), in Torfbrüchen der bayrischen Pfalz, des Rhein- und Maintals sind P. nachgewiesen. Reste von P. befanden sich auch in Mecklenburg (Gägelow und Wismar), im Arrasch- und Czareysee Litauens sowie in den Seen und Torfmooren der östlichen Pyrenäen, Südfrankreichs, Savoyens und Oberitaliens. Auf dem Boden von London ist da, wo jetzt das Mansionhouse steht, ein Pfahlbau aufgedeckt worden; ein solcher fand sich auch bei auf dem Markt zu Würzburg und in der Stadt Elbing (Westpreußen) vorgenommenen Ausgrabungen. Die in Pommern, Posen und in der Mark Brandenburg aufgefundenen Reste von P. werden mit den Erbauern der vorgeschichtlichen Burgwälle in Verbindung gebracht und waren wahrscheinlich von Slawen bewohnt. Über Terramaren s. d.

Vgl. J. Lehmann, Die P. der Gegenwart, ihre Verbreitung und genetische Entwickelung (in den »Mitteilungen der Wiener Anthropologischen Gesellschaft«, 3. Folge, 4. Bd., 1904); J. Heierli, Verbreitung der P. außerhalb Europas (in der Züricher Monatsschrift »Antiqua«, 1890); Graf Zeppelin-Ebersberg, Was ist der allgemeine Grund und Zweck der P.? (im »Globus«, Bd. 72); Heierli, Urgeschichte der Schweiz (Zürich 1901); Keller, Die keltischen P. in den Schweizer Seen (das. 1854–79,8 Berichte); Jahn u. Uhlmann, Die Pfahlbaualtertümer von Moosseedorf (Bern 1857); Troyon, Habitations lacustres, etc. (Lausanne 1860); Rütimeyer, Die Fauna der P. in der Schweiz (Zürich 1861); His und Rütimeyer, Crania helvetica (Basel 1864); Heer, Die Pflanzen der P. (Zürich 1865); Staub, Die P. in den Schweizer Seen (Fluntern 1864); Desor, Die P. des Neuenburger Sees (deutsch von Mayer, Frankf. a. M. 1867); V. Groß, Les Protohelvètes, ou les premiers colons sur les bords des lacs de Bienne et Neuchâtel (Berl. 1883); v. Sacken, Der Pfahlbau im Gardasee (Wien 1865); Haßler, Die Pfahlbaufunde des Überlinger Sees (Ulm 1866); Lisch, Die P. in Mecklenburg (Schwerin 1865–67,2 Hefte); Wagner, Das Vorkommen von P. in Bayern (Münch. 1867); Frank, Die Pfahlbaustation Schussenried (Lindau 1877); Helbig, Die Italiker in der Poebene (Leipz. 1879); Pallmann, Die P. und ihre Bewohner (Greifsw. 1866); Virchow, Hünengräber und P. (Berl. 1866); R. Hartmann, Über P. der Schweiz (»Zeitschrift für Ethnologie«, 1870); v. Tröltsch, Die P. des Bodenseegebietes (Stuttg. 1902); M. Hoernes, Urgeschichte des Menschen (Wien 1891) und Urgeschichte der Menschheit (Leipz. 1897); Munro, The lake dwellings ot Europe (Lond. 1890); Mortillett, Age du bronze; Tourbières et habitations lacustres (Par. 1893) und Terramares (1894); van Muyden und Colomb, Antiquités lacustres (Lausanne 1896).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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