Zurechnungsfähigkeit

Zurechnungsfähigkeit

Zurechnungsfähigkeit (Verantwortlichkeit, Imputabilitas), die Fähigkeit, für einen rechtswidrigen Erfolg verantwortlich gemacht zu werden. Z. besitzt jeder erwachsene normale Mensch. Nichtzurechnungsfähig (unzurechnungsfähig) ist mithin: 1) der noch nicht erwachsene Mensch; und zwar a) unbedingt das Kind (bis zum vollendeten 12. Lebensjahre); b) bedingt, d. h. bei Fehlen des Unterscheidungsvermögens (discernement), der Jugendliche (vom vollendeten 12.–18. Jahre). S. Jugendliche Verbrecher. 2) Der Geisteskranke; 3) der Bewußtlose; beide aber nach Reichsstrafgesetzbuch nur dann, wenn durch den Zustand die freie Willensbetätigung ausgeschlossen war. 4) Der Taubstumme (Reichsstrafgesetzbuch, § 58) bei Mangel der zur Erkenntnis der Strafbarkeit erforderlichen Einsicht. Verminderte, d. h. nicht voll entwickelte Z. hat der Gesetzgeber nur bei jugendlichen Verbrechern strafmildernd berücksichtigt. Mit Recht erstrebt man schon seit längerer Zeit, daß auch bei Erwachsenen die verminderte Z. der sogen. geistig Minderwertigen eine mildere Bestrafung und vor allem eine andre Behandlung während des Strafvollzugs zur Folge haben sollte. Im Zivilrecht schließt mangelnde Z. die Haftung des Täters für seine Handlung aus. Der Bewußtlose oder wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sowie das Kind unter 7 Jahren ist für seine Handlung nicht verantwortlich, von da ab bis zum 18. Lebensjahr tritt Verantwortlichkeit nur ein, wenn die erforderliche Einsicht vorhanden ist (Bürgerliches Gesetzbuch, § 827, 828). Trotz Mangels der Z. wird jedoch aus Billigkeitsrücksichten gehaftet, wenn dem Täter durch Leistung des Schadenersatzes nicht die Mittel zum standesgemäßen Unterhalt und zur Erfüllung seiner gesetzlichen Unterhaltspflichten entzogen werden, wenn die Ersatzleistung nach den Umständen, insonderheit den Verhältnissen des Beteiligten, billig erscheint, und wenn der Ersatz nicht von einem aufsichtspflichtigen. Dritten erlangt werden kann (§ 829). Vgl. außer Hand- und Lehrbüchern des Strafrechts insbesondere: Gretener, Die Z. als Gesetzgebungsfrage (Berl. 1897); Zucker, Über Schuld und Strafe des jugendlichen Verbrechers (Stuttg. 1899); A. Forel, Über die Z. der normalen Menschen (6. Aufl., Münch. 1907); Günther, Die Zurechnung im Strafrecht und die gesetzliche Berücksichtigung der geistig Minderwertigen (2. Aufl., Berl. 1905); Kutella, Die Grenzen der Z. und die Kriminalanthropologie (Halle 1903); verschiedene Abhandlungen in den »Juristisch psychiatrischen Grenzfragen« (Halle); v. Bar, Gesetz und Schuld im Strafrecht, Bd. 2 (Berl. 1907).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

Игры ⚽ Нужно сделать НИР?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Zurechnungsfähigkeit — Zurechnungsfähigkeit, die Fähigkeit zur bewußten Selbstbestimmung und zur Einsicht in die Anordnungen der sittlichen oder Rechtsordnung. Unzurechnungsfähigkeit ist vorhanden, wenn der Täter zur Zeit der Begehung der Handlung sich in einem… …   Kleines Konversations-Lexikon

  • Zurechnungsfähigkeit — ↑Imputabilität …   Das große Fremdwörterbuch

  • Zurechnungsfähigkeit — Verantwortlichkeit; Verantwortung; Rechenschaft * * * Zu|rech|nungs|fä|hig|keit 〈f. 20; unz.〉 Fähigkeit, seine Handlungen zu erkennen, bewusst auszuführen u. zu verantworten ● verminderte Zurechnungsfähigkeit * * * Zu|rech|nungs|fä|hig|keit, die… …   Universal-Lexikon

  • Zurechnungsfähigkeit — Dieser Artikel oder Absatz stellt die Situation in Deutschland dar. Hilf mit, die Situation in anderen Ländern zu schildern. Schuldunfähigkeit (früher Zurechnungsunfähigkeit oder volkstümlich Unzurechnungsfähigkeit genannt) ist der wichtigste… …   Deutsch Wikipedia

  • Zurechnungsfähigkeit — Zu|rech|nungs|fä|hig|keit, die; …   Die deutsche Rechtschreibung

  • Rechenschaft — Zurechnungsfähigkeit; Verantwortlichkeit; Verantwortung * * * Re|chen|schaft [ rɛçn̩ʃaft], die; : Auskunft, die man jmdm. über etwas gibt, wofür man verantwortlich ist: über jeden ausgegebenen Cent Rechenschaft ablegen, geben; über sein… …   Universal-Lexikon

  • Johann Christian Woyzeck — (* 3. Januar 1780 in Leipzig; † 27. August 1824 ebenda) war ein deutscher Soldat, der wegen Mordes an seiner Liebhaberin Johanna Woost hingerichtet wurde. Seine Geschichte diente Georg Büchner als Vorlage für sein Drama Woyzeck …   Deutsch Wikipedia

  • Johann Christian August Clarus — (* 5. November 1774 in Coburg; † 13. Juli 1854 in Leipzig) war ein deutscher Mediziner. Er wurde durch seine Gutachten über die „Zurechnungsfähigkeit“ Johann Christian Woyzecks, deren Lektüre Georg Büchner zu seinem Drama Woyzeck anregte, bekannt …   Deutsch Wikipedia

  • Zurechnung — (Imputatio), 1) die Beziehung einer Handlung auf eine gewisse Person als deren Urheber, mithin die Verbindung zwischen Person u. That in der Richtung von Ursache u. Wirkung: bes. 2) im criminalrechtlichen Sinne die Gewißheit, daß Jemand der… …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Gerichtliche Medizin — (Medicina forensis), die Anwendung der medizinischen Wissenschaft auf die Rechtspflege und die Gesetzgebung. Die g. M. umfaßt im wesentlichen die Lehre von den gewaltsamen Todesursachen und den Körperverletzungen, die Lehre von den für die… …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”